Parteinachwuchs zur Ampel: Die Stimmungskiller

Die Freude von Jusos und Grüner Jugend über die Ampelkoalition ist begrenzt. Ihren Frust laden sie beim Koalitionspartner FDP ab.

Junge Demonstrantinnen mit Schild: Eure Ampel muss grün werden

Vielen der jungen KlimaaktivistInnen ist die Ampelkoalition noch lange nicht grün genug Foto: Christian Mang/reuters

Nun mag die politische Schlechtgelauntheit der Jusos und der Grünen Jugend, die auf ihren Versammlungen zum Regierungsvertrag der künftigen Ampelkoalition spürbar wurde, sehr viel mit Corona zu tun haben. Es ist ja auch verstörend: Wesentliche Teile der bundesdeutschen Einwohnerschaft berufen sich auf ihre persönlichen Freiheiten, um sich einer Impfung zu verweigern und damit tatsächlich alle in Gefahr zu bringen.

Die Jusos und die Grüne Jugend jedenfalls verströmten mit ihren Beratungen ein Gefühl, als stünde mit der SPD/Grünen/FDP-Koalition ein Bündnis auf den Fußmatten der Ministerien und des Kanzleramts, das kaum der sich erfreuenden Rede wert sein kann. „Von Ampel-Euphorie keine Spur“, so fasste die Tagesschau ihren Bericht von den Nachwuchsökos zusammen. Zu den zeitgleich tagenden Jusos heißt es in der Überschrift nur lapidar „Die Union kritisieren, nicht die Ampel“.

Es ist deprimierend, aber wahr: Die Nachwuchseliten von zwei der drei künftigen Regierungsparteien tun so, als sei alles wie immer – ein Land unter der Glocke der Union. Dass es die FDP ist, an der sich beide Nachwuchsorganisation, wie bei einem schlechten Voodoozauber, abarbeiteten, ist dafür nur ein platzhalterischer Umstand: Jusos und Grüne Jugend vermögen sich nicht grundsätzlich, dass dieser 16 lange Jahre dauernde gewisse Spuk der von der Union dominierten Regierungen ein Ende hat.

Die FDP ist die Puppe, in die man spitze Nadeln steckte – die Bösen, die Lindner-Jünger*innen, die Antisozialen. Bis in heutige Tage gelten in linken und in den sozialen Netzwerken beflügelten Bubbles die Liberalen als „Rechte“. Ohne Sinn und Verstand werden Buzzwords ins Orbit gemeinsam verblödender Universen der Selbstbestätigung gesandt.

Dass diese Atmosphäre auf den zentralen Versammlungen des Regierungsnachwuchses weder empört noch achtsam zurückgewiesen wurde, muss zu denken geben. Woran das liegt, weshalb also die künftigen Mover und Maker kaum ein gutes Haar an den Erwachsenen in ihren Parteien lassen, hat mit einer sehr deutschen Tradition zu tun: mit dem, was hier „Konsequentismus“ genannt sei, quasi die Entsprechung in der (linken) Szene zum Impfverweigerermilieu in puncto Corona.

Die FDP muss den Kopf hinhalten

Pocht man hier auf die persönliche Freiheit zulasten aller anderen, kommentiert man im Politischen mit: „Viel zu wenig“. Eigentlich ist die Spezialistin in dieser Disziplin in jüngerer Vergangenheit stets die Linkspartei gewesen – nichts war ihr je hinreichend. Immer folgte ein Appell, „endlich“ und „konsequent“ durchzusetzen, was demoskopische Umfragen angeblich belegten. Die gültige Währung war und ist indes das Wahlergebnis, nicht irgendeine Umfrage:

Und dem Wahlergebnis nach gibt es eine Koalition, in der SPD und Grüne keine Mehrheit haben, von ihr gar weit entfernt sind. Insofern war das Backenaufgeblase der Jusos und der Grünen Jugend mehr als eine Spur von den politischen Fakten entfernt. Sei’s drum: Wählende erwarten von der Politik konkrete Besserungen ihrer Lebensbedingungen. Und für eine Mehrheit der proletarischen Schichten ist zwar kein Manna vom Himmel zu erwarten, aber immerhin 12 Euro Mindestlohn.

Mehr als zehn Millionen Beschäftigte werden von diesem Gesetz profitieren. Das wissen sie und freuen sich darauf. Rent­ne­r*in­nen haben das Signal bekommen, dass ihre Altersgelder nicht gekürzt werden, und wer möchte – das übrigens ist der FDP zu verdanken –, kann länger arbeiten. Wer das nicht kann, kommt zu besseren Bedingungen in die Gunst einer Erwerbsminderungsrente.

Der Paragraf 219a-StGB wird abgeschafft, eine grauslige Bestimmung, die für die Union identitär war. Das Elternrecht lesbischer Paare wird diskriminierungsfrei. Und, last but not least: Hunderttausende von neuen deutschen Bürger*innen, die in unserem Land als Flüchtlinge im rechtlich prekärsten Zustand und dauernder Angst vor Abschiebung leben, bekommen einfache Wege zum deutschen Pass aufgezeigt.

Auch das war mit der Union nicht zu haben – ebenso wenig einen halbwegs konsistenten Plan, wie eine Klimakrisenpolitik mit der fundamental wichtigen Industriestruktur der Bundesrepublik vereinbar sein kann. Dass nicht alles das Paradies auf Erden verheißt, ist doch selbstverständlich. Alles wird ein bisschen und ein bisschen mehr besser werden.

Blindheit wie bei den Ver­schwö­rungs­theo­re­ti­ke­r*in­nen

Wer bei den Linken und Linksökos ermessen möchte, was sie da zuwege bringen könnten, würden sie es nur beherzt anpacken und nicht nur stimmungskillend benörgeln, muss sich nur die Statements der Union, der AfD und Linkspartei anhören. Letztere scheint dem Dasein als Unwichtige weiter entgegenzudämmern, die AfD ist nur noch mit sich selbst beschäftigt – aber die eigentlich Entsetzten sind die Leute der Union.

Man lese die FAZ oder andere Medien aus den altbürgerlich-konservativen Milieus: Hier dominiert so viel Hoffnungslosigkeit, wie es sie in bundesdeutschen Zeiten noch nie gab. Das sollte doch die Linksmittigen stimulieren. 1998, mit Kanzler Schröder, haben es die linken Schlau­meie­r*in­nen schon einmal versemmelt: Von der ersten Sekunde kaum mehr als Zwist und Hader – vom ersten Tag an war es der Union möglich, die Reformregierung zu dämonisieren, die rassistische Kampagne gegen den Doppelpass (Roland Koch etc.) inklusive. Falls sich jemand noch erinnern möchte!

Olaf Scholz sagte unmittelbar nach dem Wahltag, ihm komme es darauf an, dass die Regierungsparteien in vier Jahren auch wiedergewählt werden; und Robert Habeck, der intellektuelle Avantgardist dieses Jahres, ergänzte in diesem Kontext, es komme auf den Prozess im Miteinander an, auf das Zuhören und Verstehen. Das darf als politisches Denken genommen werden. Jusos und Grüne Jugend übten sich in – Antipolitik. Also kein Madigmachen bitte. Der Ton macht die Musik – und den Erfolg.

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Postbote, Möbelverkäufer, Versicherungskartensortierer, Verlagskaufmann in spe, Zeitungsausträger, Autor und Säzzer verschiedener linker Medien, etwa "Arbeiterkampf" und "Moderne Zeiten", Volo bei der taz in Hamburg - seit 1996 in Berlin bei der taz, zunächst in der Meinungsredaktion, dann im Inlandsressort, schließlich Entwicklung und Aufbau des Wochenendmagazin taz mag von 1997 bis 2009. Seither Kurator des taz lab, des taz-Kongresses in Berlin, sonst mit Hingabe Autor und Interview besonders für die taz am Wochenende. Kurator des taz lab und des taz Talk. Interessen: Vergangenheitspolitik seit 1945, Popularkulturen aller Arten, besonders der Eurovision Song Contest, politische Analyse zu LGBTI*-Fragen sowie zu Fragen der Mittelschichtskritik. Er ist auch noch HSV-, inzwischen besonders RB Leipzig-Fan. Und er ist verheiratet seit 2011 mit dem Historiker Rainer Nicolaysen aus Hamburg.

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