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Parlamentswahl in GriechenlandMitsotakis deklassiert die Linke

Mit riesigem Vorsprung gewinnt der konservative Premier Kyriakos Mitsotakis. Nun setzt er auf Neuwahlen, um weiter allein regieren zu können.

Affären und Skandale haben ihm nichts anhaben können: Kyriakos Mitsotakis ist der große Wahlsieger Foto: Pascal Beucker

Athen taz | Als Kyriakos Mitsotakis am späten Sonntagabend von einem „politischen Erdbeben“ sprach, war das keine Übertreibung. Mit einem haushohen Vorsprung hat die Nea Dimokratia des konservativen griechischen Ministerpräsidenten die Parlamentswahl in Griechenland gewonnen. Die linke Syriza seines Vorgängers Alexis Tsipras wurde unerwartet heftig deklassiert. „Ganz Griechenland trägt heute die blaue Farbe“, schwärmte Mitsotakis in Anspielung auf die Parteifarbe der Nea Dimokratia. Auch wenn es kurios klingt: Nun strebt er schnelle Neuwahlen an.

Nach Auszählung fast aller Stimmen kommt die Nea Dimokratia auf 40,8 Prozent der Stimmen. Damit übertraf sie um rund einen Prozentpunkt ihr bereits hervorragendes Ergebnis bei der Parlamentswahl 2019. Noch entscheidender für Mitsotakis ist jedoch der Absturz der politischen Konkurrenz. Denn die zweitplatzierte Syriza, die vor vier Jahren noch 31,5 Prozent erreichte, brach dramatisch ein. Sie kommt jetzt nur noch auf 20,1 Prozent der Stimmen. Im neuen Parlament wird sie gegenüber der Mitsotakis-Partei nicht mal auf die Hälfte der Abgeordneten kommen.

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„Die Bürger wollen eine starke Regierung“, sagte Mitsotakis. Er sei „stolz und gerührt“. Der 55-jährige ehemalige Bankmanager, Spross einer der mächtigsten Politdynastien in Griechenland, wertete das Wahlergebnis als Auftrag der Bürger:innen, allein weiter zu regieren. Da bei dieser Wahl jedoch einmalig das reine Verhältniswahlrecht angewendet wurde, reicht sein Wahlerfolg dafür nicht aus. Die Nea Dimokratia kommt nur auf 146 der insgesamt 300 Sitze. Deswegen kündigte Mitsotakis schnelle Neuwahlen an. Bereits am 25. Juni oder am 2. Juli könnte der nächste Urnengang anstehen. Dann gilt wieder das alte Wahlrecht, das der stärksten Partei einen Bonus von bis zu 50 Mandaten beschert.

Debakel für Syriza

Völlig versagt haben – mal wieder – die griechischen Demoskop:innen. In all ihren Umfragen hatten sie ein weitaus engeres Rennen prognostiziert. Schon bei den vergangenen Wahlen hatten die Meinungsforschungsinstitute gravierend falsch gelegen – allerdings stets zulasten von Syriza, die sie stets unterbewertet hatten. Diesmal war es genau umgekehrt. In den letzten Umfragen rangierte die Partei noch zwischen 28,1 und 30,3 Prozent, die Nea Dimokratia zwischen 35,4 und 38 Prozent. Selbst bei den ersten Exitpolls nach Schließung der Wahllokale um 19 Uhr sahen sie Syriza noch weitaus stärker, nämlich zwischen 25 und 29 Prozent. Tatsächlich waren es noch weit weniger.

Vor der Athener Syriza-Zentrale warteten die Jour­na­lis­t:in­nen vergeblich auf Alexis Tsipras Foto: Pascal Beucker

Für Syriza ist der Wahlausgang ein absolutes Debakel. Nur noch 1,18 Millionen Wäh­le­r:in­nen stimmten für die Partei, die von 2015 bis 2019 die Geschicke Griechenlands bestimmt hatte. Das sind 600.000 weniger als beim letzten Mal. Die Nea Dimokratia behielt dabei in allen Wäh­le­r:in­nen­grup­pen die Oberhand. Sogar bei den Jung­wäh­le­r:in­nenn im Alter von 17 bis 24 Jahren lag die ND mit 31,5 Prozent der Stimmen vor ihrer Herausfordererin mit 28,8 Prozent.

Dabei war die Schwester der deutschen Linkspartei zuversichtlich in die Wahlen gegangen. Ob die miserable Pandemie-Bilanz der Regierung Mitsotakis mit knapp 37.000 Corona-Toten bei gut zehn Millionen Einwohner:innen, ein ausgewachsener Abhörskandal mit einem Lauschangriff auf mutmaßlich mehr als einhundert Politiker:innen, Unternehmer:innen, Jour­na­lis­t:in­nen und Militärangehörige, ferner die allein im vorigen Jahr um 7,4 Prozent geschrumpfte Kaufkraft der Ver­brau­che­r:in­nen sowie die chronische Vetternwirtschaft und Korruption oder das verheerende Zugunglück im zentralgriechischen Tempital mit 57 Toten: Es hätte eigentlich genug Gründe für die Wäh­le­r:in­nen gegeben, die Nea Dimokratia abzustrafen. Doch stattdessen kehrten sie Syriza den Rücken.

Als einer der Gründe gilt, dass Syriza einen hauptsächlich auf die Fehler und Versäumnisse der Regierung Mitsotakis zielenden Konfrontationskurs fuhr, ohne ihr ein eigenes überzeugendes Programm entgegensetzen zu können. Syriza konnte vor allem nicht die Frage klären, wie die Finanzierung der von ihr angestrebten Mehrausgaben des Staates solide gesichert werden kann. Wenige Tage vor dem Urnengang sorgte zudem eine Äußerung von Ex-Arbeits- und Sozialminister Georgios Katrougalos (Syriza) bei den Freiberuflern und Selbstständigen in Griechenland für Verwirrung, wonach eine Syriza-Regierung deren Sozialbeiträge wieder stark anheben würde. Ein „Eigentor in letzter Minute“, wie Athener Polit-Analysten unisono befanden.

Ferner vermochte es Syriza-Frontmann Tsipras nicht, den Wäh­le­r:in­nen mögliche Koalitionspartner zu zeigen, mit denen er Mitsotakis hätte ablösen können. Konkret sprach sich Tsipras zwar immer wieder für eine „Koalition der fortschrittlichen Kräfte“ aus, um der Regierung Mitsotakis, der „übelsten Regierung der Rechten, die Griechenland je hatte“ (O-Ton Tsipras), ein Ende zu setzen. Aber sowohl die sozialdemokratische Pasok als auch MeRA 25, die Partei von Yanis Varoufakis, erteilten ihm eine schroffe Absage. Und die traditionskommunistische KKE steht ohnehin lieber stets außen vor.

Im Syriza-Lager am Athener Klafthmonos-Platz herrschte bereits kurz nach Bekanntgabe der ersten Stimmenauszählungen Friedhofsstimmung. Angesichts der schweren Niederlage ließ sich Tsipras nicht bei den wenigen An­hän­ge­r:in­nen blicken, sondern blieb lieber in der Parteizentrale. Auch dort trat er nicht vor die Presse, sondern sendete nur eine einminütige Videobotschaft aus dem Haus. „Bei Wahlen gibt es sowohl Siege als auch Niederlagen“, teilte er mit. „Unsere kollektiven Gremien werden sofort einberufen, um die Wahlergebnisse zu bewerten“, kündigte Tsipras an. Noch sei der Wahlzyklus nicht abgeschlossen. „Wir müssen sofort alle notwendigen Änderungen vornehmen, um im nächsten und entscheidenden Wahlkampf die besten Voraussetzungen zu schaffen.“

Varoufakis abgestürzt

Der zweite große Wahlverlierer ist Yanis Varoufakis, der einstige Weggefährte von Alexis Tsipras. Der eigenwillige Wirtschaftswissenschaftler mit dem Popstarflair, der nach der Kapitulation der Syriza-Regierung vor der Eurogruppe im Juli 2015 als Finanzminister zurücktrat und zum politischen Gegner von Tsipras mutierte, war fest davon ausgegangen, dass seine Partei MeRA25 gestärkt im neuen Parlament vertreten sein würde. Sein Optimismus speiste sich nicht zuletzt daraus, dass er diesmal ein Bündnis mit den Resten der linksradikalen und EU-feindlichen Laiki Enotita („Volkseinheit“), einer anderen Abspaltung von Syriza, eingegangen war. Und alle Umfragen schienen ihm recht zu geben. Im taz-Interview vor knapp zwei Wochen hatte Varoufakis noch getönt: „Wir wollen regieren.“

Bei seiner Wahlkampfabschlussveranstaltung war Yanis Varoufakis noch hoffnungsfroh Foto: Pascal Beucker

Doch stattdessen scheiterte seine „Allianz für den Bruch“ krachend. Bei der Wahl 2019 war MeRA25 noch auf 3,4 Prozent gekommen, nun stürzte sie auf 2,6 Prozent ab und scheiterte damit an der in Griechenland geltenden Dreiprozenthürde. Von einem „unglaublichen Tsunami des Konservatismus“ sprach Varoufakis am Wahlabend sichtlich schockiert. „Die Erdoğanisierung und Orbánisierung Griechenlands ist nun abgeschlossen“, sagte er zu seinen tief frustrierten Anhänger:innen, die sich in der Nähe der U-Bahn-Station in Panepistimio gegenüber der Athener Wirtschaftsuniversität versammelt hatten.

Einen kleinen Überraschungserfolg konnte demgegenüber eine weitere frühere Syriza-Politikerin verbuchen: die ehemalige Parlamentspräsidentin Zoi Konstantopoulou. Die griechische Variante von Sahra Wagenknecht konnte sich mit ihrer linksnationalistischen Partei Plefsi Eleftherias („Kurs der Freiheit“) von 1,5 auf 2,9 Prozent steigern – was, wenn auch knapp, allerdings auch nicht zum Einzug ins Parlament reichte.

Neben der Nea Dimokratia können sich die Pasok und die KKE als Gewinnerinnen der Wahl sehen. Die Pasok, die jahrzehntelang die griechische Politik maßgeblich bestimmt, jedoch mit der Eurokrise ihren Status als Volkspartei verloren hatte, steigerte ihren Stimmenanteil von 8,1 auf knapp 11,5 Prozent. Der Zuspruch für die KKE, die ideologisch mit der DKP in Deutschland vergleichbar ist und für eine prinzipielle Fundamentalopposition gegenüber allen anderen Parteien steht, wuchs von 5,3 auf 7,2 Prozent an. Bei beiden Parteien herrschte am Wahlabend Hochstimmung.

Der Pasok-Vorsitzende Nikos Androulakis lässt sich am Wahlabend von seinen An­hän­ge­r:in­nen feiern Foto: Pascal Beucker

Das Abschneiden seiner Partei sei eine „hoffnungsvolle Botschaft“ und zeige eine neue Dynamik im Kampf „gegen Monopole, Kapital und Kapitalismus“, sagte der KKE-Generalsekretär Dimitris Koutsoumpas. Der Pasok-Chef Nikos Androulakis, der sich von seinen An­hän­ge­r:in­nen vor der Parteizentrale im Athener Stadtteil Excharia feiern ließ, verkündete: „Wir greifen den Faden der Geschichte wieder auf.“ Das Wahlergebnis sei ein „großer Schritt“, um die Pasok wieder zur zweitstärksten Partei in Griechenland zu machen. Das sei das Ziel bei den voraussichtlichen Neuwahlen im Sommer.

Grüne chancenlos

Zu den Parlamentswahlen traten insgesamt 27 Parteien, 8 Wahlbündnisse und ein Einzelkandidat an. Nicht zugelassen hatte der Arios Pagos, der Oberste Gerichtshof, die Ethniko Komma-Ellines, eine Abspaltung der inzwischen verbotenen neofaschistischen Partei Chrysi Avgi. Davon profitiert hat zum einen die extrem rechte Elliniki Lysi, die sich von 3,7 auf 4,5 Prozent steigern konnte und damit den Wiedereinzug ins Parlament schaffte. Zum anderen gingen die Stimmen von ganz rechts zu der nationalistischen und ultrareligiösen Partei NIKH, die von Teilen des orthodoxen Klerus unterstützt wurde und mit 2,9 Prozent nur denkbar knapp den Sprung über die Dreiprozenthürde verfehlt hat.

Ebenfalls nicht zugelassen wurde aus formalen Gründen das Wahlbündnis Grün & Lila, in dem sich unter anderem Volt, die Piratenpartei, die Partei für Tiere und eine Abspaltung der Grünen zusammengeschlossen hatten. Die griechischen Grünen, die sich mit einer anderen ökologischen Partei zu einem Wahlbündnis zusammengeschlossen hatten, durften zwar kandidieren, erhielten jedoch nur 0,6 Prozent der Stimmen. Bei der Parlamentswahl 2019 waren sie noch auf den Wahllisten von Syriza angetreten. Außerdem kandidierte noch die Grüne Bewegung, die auf 0,25 Prozent kam. In Hellas ist das politische Umweltspektrum kaum weniger gespalten als das linke, bewegt sich in der Wäh­le­r:in­n­en­gunst aber auf weitaus niedrigerem Niveau.

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9 Kommentare

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  • Wie eigentlich alle Länder entlang der Route nach Deutschland ist die Orbanisierung jetzt also auch in Griechenland abgeschlossen. Die Rückkehr des Nationalismus auf die europäische Bühne haben wir uns selbst zuzurechnen.



    Für meine griechischen Nachbarn auf Kreta ist der Grund für den Wahlausgang auch völlig klar, obwohl es in der Analyse des Artikels bezeichnenderweise nur verschämt angedeutet wird.



    Zur Frage wann Deutschland endlich zur Vernunft kommt, kann ich dann allerdings nur einwenden, dass unseren Politikern ein drohender Gesichtsverlust anscheinend wichtiger ist als das Fortbestehen der EU. Deshalb muss Deutschland scheinbar von Außen gezwungen werden einzulenken, was ja aber gerade in Brüssel in den aktuellen Verhandlungen auch zu geschehen scheint.

  • Offenbar waren die Leute zufrieden. Anders als bei der Regierung davor, die viel versprochen und wenig bis nichts gehalten hat.

    • @Dr. McSchreck:

      Die vorherige linke Regierung wurde von der EU an die Wand gedrückt und weitgehend handlungsunfähig gemacht. Die damalige Staatskrise wurde jedoch von den Konservativen mitverursacht

      • @Marlon22:

        Nö, die wurde von der EU finanziert und die Zinsen massiv runtergedrückt. Ohne das hätte Varoufakis einpacken können. Der EU-Hass ist reiner Populismus.

      • @Marlon22:

        Das sehe ich anders. Die linke Regierung hat Versprechungen gemacht, die andere bezahlen sollten - nämlich die EU. Die hat dann deutlich "nein" gesagt.

        Dann hätte es den Weg von Varoufakis gegeben (der da mit der FDP und der damaligen AfD, die mit der heutigen wenig zu tun hatte) identisch war. Griechenland steigt aus dem Euro aus und macht einen krassen Schuldenschnitt. Bezahlt hätten vor allem die Gläubiger (Banken, Pensionsfonds usw). Das wollte man aber auch wieder nicht.



        Jetzt haben die Griechen selbst bezahlen müssen, dass sie im Euroraum bleiben durften/sollten/mussten.

    • @Dr. McSchreck:

      oder die Leute haben die Partei für das kleinste Übel gehalten.

      "Zufriedenheit" oder gar "Begeisterung" würde ich bei dieser Wahlbeteiligung eher weniger vermuten.

      • @sociajizzm:

        Zufriedenheit kann auch bedeuten, dass die geringen Erwartungen erfüllt wurden, man größere Hoffnungen schon gar nicht mehr hat. Sowas hat aber meist Gründe - siehe auch das Wahlergebnis in Berlin. Da könnte es beim nächsten Mal ähnlich laufen. Wenn man aus dem Minus-Bereich kommt (kompensiert mit vielen großen Versprechungen auf irgendwann) ist man oft mit sehr sehr wenig auf einmal zufrieden.

      • @sociajizzm:

        Wie hoch war denn die Wahlbeteiligung? Ich kann dazu im Text nichts finden...