Papst auf Lampedusa: Kritik an Europas Gleichgültigkeit
In einem demonstrativen Schritt besucht Papst Franziskus auf seiner ersten Fernreise die Flüchtlingsinsel. Er appelliert an mehr Solidarität.
ROM taz | Mit scharfen Worten geißelte Papst Franziskus am Montag auf der Insel Lampedusa das Flüchtlingsdrama, das sich seit Jahren an den Außengrenzen der Europäischen Union (EU) im Mittelmeer abspielt. Mit Bedacht hatte der im März gewählte Papst für seine erste dienstliche Reise überhaupt die südlichste Insel Italiens gewählt, auf der Jahr für Jahr tausende Menschen eintreffen.
Menschen aus den nordafrikanischen Ländern, aber auch aus Schwarzafrika, aus Afghanistan oder Irak, die von Libyen oder Tunesien oft genug auf wahren Seelenverkäufern die Überfahrt antreten. Nur eine halbe Stunde vor Eintreffen des Papstes war ein Schiff mit 166 boat people an Bord im Hafen von Lampedusa eingelaufen.
Es war Franziskus selbst, der während seiner Predigt im Stadion von Lampedusa daran erinnerte, dass etwa 20.000 dieser Menschen, die ihr Heil in Italien oder auch in Spanien suchen, während der letzten Jahre elend umkamen.
Die Bilder einer Tragödie, die sich erst vor wenigen Wochen ereignet hatte, hatten den Papst zu seinem Besuch bewogen: Damals hatten sich dutzende Flüchtlinge nach dem Kentern ihres Bootes an ein großes Thunfischfangnetz geklammert. Die tunesischen Fischer hatten schließlich das Tau von ihrem Kutter zum Netz durchschnitten – sieben Menschen ertranken.
Der Papst lobt die Inselbewohner
Franziskus fand am Montag einerseits herzliche Worte für die Bürger von Lampedusa. „Euch gilt aufrichtige Dankbarkeit“, sagte er, „ihr habt Aufmerksamkeit für die Menschen gezeigt, auf ihrer Reise hin zu etwas Besserem. Ihr seid ein Beispiel der Solidarität.“ In der Tat hatten die Inselbewohner zum Beispiel während des großen Flüchtlingsansturms im Frühjahr 2011, als gerade das Regime Ben Alis in Tunesien zusammengebrochen war, den auf ihrer Insel Gestrandeten nach Kräften geholfen, sie mit Lebensmitteln, Decken oder Kleidung versorgt.
Andererseits aber griff der Papst den generellen Umgang der reichen Länder mit den Flüchtlingen scharf an. Ihm gehe es darum, „das Gewissen wachzurütteln, damit sich die Tragödien nicht wiederholen“, erklärte er und brandmarkte die herrschende „Kultur der Gleichgültigkeit“: „Wer ist verantwortlich für das Blut dieser Brüder und Schwestern? Keiner! Wir alle antworten so: Ich bin es nicht, ich habe damit nichts zu tun.“
Die „Kultur des Wohlstands“ lasse die Menschen in Europa in einer Seifenblase leben und führe zu einer „Globalisierung der Gleichgültigkeit“: „Wir haben uns an das Leiden des Anderen gewöhnt, es geht uns nichts an, es interessiert uns nicht!“ Deshalb sei seine Messe eine Bußandacht, in der er auch um Vergebung bitten wolle für die, „die mit ihren Entscheidungen auf globaler Ebene Situationen geschaffen haben, die zu diesen Dramen führen“.
Giftige Bemerkungen der Rechten
Es überrascht deshalb kaum, dass Franziskus von rechts Kritik einstecken muss. Schon am Tag vor seinem Besuch hatte das Berlusconi-Blatt Il Giornale ihm die Titelschlagzeile gewidmet und giftig bemerkt, der Papst beteilige sich an der „Legitimierung der illegalen Einwanderung“.
In der Tat waren es vor allem die Regierungen Berlusconis, die seit dem Jahr 2001 die Abschottung vorantrieben und Abkommen sowohl mit Tunesien als auch mit Gaddafis Libyen unterzeichneten. Jene Abkommen sahen eine rigide Politik der Rückschaffung der auf hoher See aufgegriffenen Flüchtlinge vor. Diesem offen die Genfer Flüchtlingskonvention verletzenden Vorgehen steht die Botschaft des Papstes diametral entgegen.
Am 9. April 2011 besuchte der damalige Ministerpräsident Berlusconi die Insel und versprach, Lampedusa mit Golfplätzen und anderen Tourismus-Attraktionen zu segnen. Damals reagierten die Lampedusaner reserviert. Umso begeisterter feierten sie am Montag Papst Franziskus und seine klare Parteinahme für die Flüchtlinge.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Neuer Generalsekretär
Stures Weiter-so bei der FDP
Verkauf von E-Autos
Die Antriebswende braucht mehr Schwung
Außenministerin zu Besuch in China
Auf unmöglicher Mission in Peking
Warnstreiks bei VW
Der Vorstand ist schuld
Plädoyer im Prozess zu Polizeigewalt
Tödliche Schüsse, geringe Strafforderung
Olaf Scholz in der Ukraine
Nicht mit leeren Händen