Palliativmedizin und assistierter Suizid: Noch mal einen Schluck Whiskey
Jede krankenversicherte Person in Deutschland hat Anspruch auf Palliativversorgung. Das wissen nur leider die Wenigsten – und das ist nicht gut.
J edes Mal, wenn ich etwas zum Thema Sterbehilfe lese, werde ich müde. Sie können sich also vorstellen, dass ich im vergangenen Jahr sehr müde war. Genau genommen seit Februar 2020, als das Bundesverfassungsgericht die bis dahin geltende Regelung zum assistierten Suizid gekippt hat.
Müde werde ich deshalb, weil ich es nicht schaffe, mir eine klare Haltung zu dem Thema zuzulegen, obwohl ich denke, dass ich das sollte. Ich halte die Selbstbestimmung des Menschen für ein hohes Gut. Gleichzeitig glaube ich, dass die Risiken, die mit einer Liberalisierung der Sterbehilfe einhergehen, immens sind. Vor allem im Hinblick auf den Druck, der auf alten und kranken Menschen lasten würde, wenn es – ja, wenn es eben doch diesen anderen Ausweg gäbe.
In den Diskussionen wird oft darauf verwiesen, dass sich eine deutliche Mehrheit der Bevölkerung dafür ausspricht, Schwerstkranke beim Suizid zu unterstützen. Wenn ich so etwas lese, bin ich plötzlich hellwach. Denn wozu ich eine klare Haltung habe, ist das: Es fehlt uns an Aufklärung über die Möglichkeiten der modernen Palliativ- und Hospizversorgung.
Ich arbeite selbst für einen ambulanten Hospizdienst. Dort haben wir oft mit todkranken Menschen zu tun, die den Wunsch äußern, ihrem Leben ein Ende zu setzen. In den allermeisten Fällen ändern sie allerdings ihre Meinung – einfach nur, indem wir aufzeigen, welche Mittel und Wege es jenseits des assistierten Suizids gibt, würdevoll und selbstbestimmt zu sterben.
Anspruch und Wirklichkeit
Jede krankenversicherte Person in Deutschland hat Anspruch auf eine Spezialisierte Ambulante Palliativversorgung (SAPV), die die Pflege und ärztliche Betreuung rund um die Uhr an sieben Tagen die Woche gewährleistet – zu Hause. Hand in Hand mit dem SAPV-Team arbeiten ambulante Hospizdienste, die schwerstkranke Menschen und ihre Angehörigen in allen psychischen und sozialen Belangen unterstützen und so eine intensive Begleitung ermöglichen. Das wissen oft nicht einmal die Hausärzte, die es verschreiben könnten.
Ich glaube, dass es wichtig ist, die Gründe zu verstehen, die hinter dem Ruf nach assistiertem Suizid stehen. Oftmals ist es Angst: vor Schmerzen und unerträglichem Leid, davor, im Krankenhaus an Schläuchen vor sich hin zu vegetieren.
Die Vorstellung, dass der Tod qualvoll sein muss, hält sich hartnäckig. Palliativmediziner hingegen sind Spezialisten für Schmerz- und Symptomkontrolle. Ihre Arbeit fängt da erst so richtig an, wo andere medizinische Fachrichtungen aufhören. Gemeinsam mit den Hospizdiensten ist es nicht ihr Ziel, das Leben zu verlängern, sondern die bestmögliche Lebensqualität bis zum Tod zu gewährleisten.
Manchmal sind das auch kleine Dinge. Noch mal am Kanal in der Sonne sitzen, einen Schluck des Lieblingswhiskeys genießen, und vor allem: in alldem nicht alleine sein.
Wir sollten über Sterbehilfe diskutieren – aber auch wissen, was ansonsten alles möglich ist.
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