Outdoor-Sport zu Coronazeiten: Wie schön sie ihre Runden ziehen
Ohne das Internet wäre alles schwer zu ertragen, zugleich sind die selbsternannten Coronaexperten eine Pest. Ach, hätte man nur einen Neoprenanzug!
I rgendwie ist man dieser Tage ja doch froh, dass es das olle Internet gibt. Gleichzeitig nerven in der Echokammer diejenigen besonders, die immer nerven – und genau das sagen, was sie schon gesagt haben. Nur dass sie jetzt Corona zur Beweisführung im Gepäck haben.
Die einen halten das Virus für eine logische Reaktion des Planeten auf die Gewalt, die wir ihm antun. Die anderen finden gerecht, dass dieses Virus mit den Jüngeren gnädiger umspringt als mit den Alten. Am nervigsten ist jedoch das Geraune, das sich für querdenkerisch hält. Oft wird zudem vorauseilender Gehorsam gewittert. Letzteres vielleicht mit einem gewissen Recht.
Also doch mal lieber raus in die echte Welt. Im Park gucken die Leute interessiert hin, wie alle anderen das Regelwerk handhaben. Denn man darf draußen offiziell nur zur sportlichen Ertüchtigung sein, aber nicht auf einer Decke sitzen. Auf der Sonnenterrasse im Gleisdreickpark, die natürlich trotzdem gut gefüllt ist, wenn auch unter Einhaltung der Abstandsregeln, kommentieren Menschen das Treiben ihrer Mitmenschen wie die Herren Waldorf und Statler aus der Muppet Show. Aus der Halbdistanz gewinnt man den Eindruck: Menschen im Park reden dieser Tage am liebsten über andere Menschen im Park.
Zumindest all jene, die Zeit für so was haben. Das Virus scheint die Gesellschaft nicht nur zu einen, sondern auch zu spalten: in die, welche plötzlich viel Zeit haben, und jene, die keine mehr haben, weil sie zwischen Homeoffice und Homeschooling jonglieren. Das erste Mal seit Jahrzehnten gehöre ich zu den Erstgenannten. Etliche meiner durchs Kulturleben getakteten Jobs liegen darnieder.
Zwischen Sorge und Urlaubsmomenten
Wenigstens hat es der Freund aus England noch hergeschafft, so muss ich die Zeit nicht allein rumbringen. Und schwanke Tag für Tag zwischen der Sorge, dass sich da mittelfristig eine große Scheiße zusammenbraut; dass vieles, was man am Alltags- und Arbeitsleben schätzt, nicht mehr da sein wird. Und Momenten, die sich wie Urlaub anfühlen. Wenn die Sonne scheint und wir mit dem Fahrrad quer durch die entschleunigte Stadt gondeln. Oder um den Schlachtensee spazieren.
Dort sind drei Schwimmer im Neoprenanzug unterwegs. Wie schön sie in der goldenen Sonne ihre Runden ziehen. Ich bin sauer auf mich selbst, dass ich meinen lange gehegten, chronisch vagen Plan, secondhand einen solchen Anzug zu finden, um weniger von den Bäderbetrieben abhängig zu sein, nicht beizeiten in die Tat umgesetzt habe.
Werden in diesem Jahr die Freibäder überhaupt öffnen? Aktuell kann man ja schlecht kreuz und quer durch die Stadt fahren, um in zugigen Hausfluren Neoprenanzüge anzuprobieren, die Menschen über Ebay anbieten.
Erstaunlich, wie schnell die Zeit vergeht, obwohl man wie aus der Zeit gefallen ist. Die Wohnung ist auch in Woche drei des Shutdown noch nicht aufgeräumt. Abends skypt uns eine Londoner Freundin an. Eine Woche lag sie flach, jetzt geht es besser. In Anbetracht der Symptomatik ist sie sicher: Es war das Virus, auch wenn sie nicht getestet wurde – wie so viele auf der Insel: „It's really shit. Don't get it.“
Doch müssen wir es ja alle früher oder später kriegen, zwei Drittel der Bevölkerung, auf dass die Pandemie keine Pandemie mehr sein kann. Also doch mehr Outdoor-Sport treiben, damit die Lunge gerüstet ist, wenn es so weit ist? Seit Herr Drosten im Kontext der Risikoabwägung erwähnte, dass es auch 40-Jährige gibt, die beim Treppensteigen außer Atem kommen, denke ich: Vielleicht ist jetzt der Moment, mit dem Joggen anzufangen.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Kritik am Deutschen Ethikrat
Bisschen viel Gott
Toxische Bro-Kultur
Stoppt die Muskulinisten!
Altersgrenze für Führerschein
Testosteron und PS
Scholz telefoniert mit Putin
Scholz gibt den „Friedenskanzler“
Von wegen Untergang des Liberalismus
Wird der Wahlkampf eine nationale Katastrophe?
Vermeintliches Pogrom nach Fußballspiel
Mediale Zerrbilder in Amsterdam