Osnabrücker Stadtwerke in Schieflage: Gewerbekunden fliegen raus
Gewerbekunden der Stadtwerke Osnabrück bekommen kein Folgeangebot, wenn ihre Verträge auslaufen. Das hat teils hausgemachte Ursachen.
Mittlerweile ist Möllenkamp keine Kundin der Stadtwerke mehr. „Ab Januar habe ich eine Versorgung durch eine Edeka-Tochter“, sagt sie der taz. „Ich hoffe, dass andere gekündigte Unternehmen auch Lösungen finden, um die Handelslandschaft in Deutschland zu erhalten.“
Möllenkamp ist bei den Osnabrücker Stadtwerken kein Einzelfall. Aktuell sei es, bestätigt Stadtwerke-Sprecher Marco Hörmeyer der taz, „nahezu unmöglich“, Gewerbekunden, deren Vertrag zum Jahresende ausläuft, „ein verlässliches und abgesichertes Angebot zu verträglichen Konditionen zu unterbreiten“. Das ändere sich, „sobald sich die Märkte stabilisieren“. Die Versorgungssicherheit sei aber auch bei vertragslosen Gewerbetreibenden „jederzeit gegeben“, für sie greife eine Ersatzversorgung. Die wird allerdings teuer. „In der alten Welt, noch vor ein paar Monaten, wäre eine solche Situation undenkbar gewesen“, sagt Hörmeyer.
Neben der Überhitzung der Gas- und Strombörse haben die Stadtwerke Osnabrück aber noch ein anderes Problem, und das verschärft die Krise: Misswirtschaft. „Das Energiegeschäft der Stadtwerke war zuletzt nicht 'glücklich’“, sagt Volker Bajus, sozialpolitischer Sprecher der Landtagsfraktion der Grünen und Fraktionsvorsitzender im Osnabrücker Stadtrat. „Die klimapolitisch verfehlten Investitionen in Kohlekraft waren auch finanziell ein Desaster. Im letzten Jahr dann grobe Fehler im Energie-Ein- und Verkauf. Da wurde die Bandbreite der Preisentwicklung falsch eingeschätzt und zu spät die Reißleine gezogen.“ Mit solchen „Altlasten auf dem Rücken“ seien die Stadtwerke jetzt „besonders vorsichtig“.
Dass ihre derzeitige Lage teils durch sie selbst verursacht ist, räumen die Stadtwerke ein. Hörmeyer drückt das so aus: „Unser früherer Vorstandsvorsitzender Christoph Hüls hat die Verantwortung für unser schlechtes Jahresergebnis 2021 übernommen“, das „auch auf unternehmerische Fehlentscheidungen“ zurückzuführen sei. Im Klartext: Ende Juni schied Hüls, seit 2017 Kopf der Stadtwerke, eine Verlängerung bis Ende 2026 in der Tasche, aus. Ein Defizit in zweistelliger Millionenhöhe für das Geschäftsjahr 2021 hatte ihm das Genick gebrochen.
Das schlechte Ergebnis von 2021 stehe „in keinem Zusammenhang zur jetzigen Situation mit explodieren sowie zudem stark schwankenden und sprunghaften Preisen auf den Energiemärkten, unter denen derzeit alle Energielieferanten und somit auch die Kunden leiden“, sagt Hörmeyer. Aber es verstärkt sie.
Die Stadtwerke Osnabrück wissen, dass derzeit alle Blicke auf sie gerichtet sind. „Gerade in diesen Zeiten suchen die Menschen und Gewerbetreibende die Partnerschaft zu ihrem regionalen Versorger“, sagt Hörmeyer. „Discounter-Hopping“ gehe zurück. Jetzt ist Krisenkommunikation gefragt.
Und nicht nur, dass Möllenkamp kein Einzelfall bei den Stadtwerken Osnabrück ist. Die Stadtwerke sind kein Einzelfall im Markt. Gewerbetreibende, die bisher Wert auf die Flexibilität von Kurzverträgen gelegt haben, stehen überall vor Problemen.
„Ich höre fast täglich von ähnlichen Situationen“, sagt Mark Alexander Krack, Hauptgeschäftsführer des HNB. „Da heißt es dann: Ich weiß nicht, wie ich weitermachen soll, ob sich das für mich überhaupt noch lohnt.“ Konfliktlagen kumulieren, sagt Krack. „Ich sehe sehr angespannt in die kommenden Wochen und Monate.“
Privatkunden der Osnabrücker Stadtwerke, die meist längerfristige Verträge haben, brauchen Möllenkamps Glück vorerst nicht. Für sie beschaffe man, so Hörmeyer, „die benötigten Strommengen bereits Monate im Voraus, sodass die Versorgung definitiv gesichert ist“. Aber natürlich werden auch für sie die Preise steigen.
Lösbar ist all das nur über Bund und EU. Das dritte Entlastungspaket der Bundesregierung sieht so auch einen Strompreisdeckel vor. „Panik hilft nicht durch die Krise“, sagt Bajus. „Neben Entlastungen vom Bund für Haushalte mit niedrigerem Einkommen brauchen wir Härtefallfonds vom Land, um Arme vor Energiesperren zu schützen und sozialen Einrichtungen und kleinen Betrieben in Not zu helfen.“ Energiesparen und mehr erneuerbare Energien seien „das Gebot der Stunde“.
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