Oslo schiebt Flüchtlinge nach Russland ab: Bruch der Menschenrechtskonvention

Norwegen stuft Russland als „sicheres Drittland“ ein und schickt Flüchtlinge in den Osten. Ein Inder ist bereits erfroren.

Flüchtlinge stehen im Schnee vor einer Polizistin

Flüchtlinge an der norwegisch-russischen Grenze in Storskog. Foto: dpa

STOCKHOLM taz | „Soviel ich weiß, ist so etwas in Norwegen seit der Deportation von Juden im Zweiten Weltkrieg nicht mehr passiert“, sagt Halvor Frihagen. Der Osloer Rechtsanwalt weiß, dass das ein unzulässiger Vergleich ist. Aber hier würden Menschen interniert und außer Landes geschafft, ohne die Möglichkeit zu haben, dagegen zu klagen. Das sei ein klarer Bruch der Rechte, die durch die Europäische Menschenrechtskonvention garantiert sei.

Auf Anordnung der Regierung in Oslo hat die Polizei jetzt mit der „Operation Winter 2“ begonnen. Am Dienstagabend wurde eine erste Gruppe von Asylsuchenden in einem Bus über die norwegisch-russische Grenzstation Storskog nach Russland abgeschoben. „Wir haben nicht für möglich gehalten, dass so etwas bei uns möglich ist“, sagt Linn Herland Landro von Refugees Welcome to the Arctic. Und der Aktivist Eirik Nilsen berichtet, dass den Flüchtlingen nichts weiter mitgeteilt wurde, als dass sie zum Bahnhof im russischen Murmansk gebracht würden: „Sie weinen, sind verängstigt und apathisch.“

Refugees Welcome to the Arctic hatte sich in den letzten Monaten um die Asylsuchenden gekümmert, die seit Spätsommer über die „arktische Fluchtroute“ per Fahrrad aus Russland nach Norwegen gekommen waren. Fast 5.500 waren es, bevor die konservativ-rechtspopulistische Regierung in Oslo Ende November den einzigen Grenzübergang mit Russland für Flüchtlinge praktisch komplett abgeriegelt hatte. Beamte wurden unmittelbar an der Grenzlinie postiert und ließen keine Person ohne Einreisevisum mehr norwegischen Boden betreten, um einen Asylantrag zu stellen. Und Russland wurde kurzerhand zum „sicheren Drittland“ erklärt.

Sylvi Listhaug von der rechtspopulistischen Fortschrittspartei, seit Dezember Einwanderungs- und Integrationsministerin des Landes, erklärte gleich, dass „die Zügel angezogen werden“. Sie ordnete zudem an, die Ausländerbehörde UDI solle alle Asylanträge von Personen, die über die „arktische Fluchtroute“ gekommen sind, mit der „Drittland-Begründung“ als unzulässig abweisen. Diese Asylsuchenden hätten sich ja zeitweise im „sicheren“ Russland aufgehalten und damit schon Schutz gefunden.

UN-Hochkommissariat

Russland als „sicheres Drittland“ einzustufen verbietet sich

Eine solche Einstufung Russland als „sicheres Drittland“ verbiete sich, meint aber das Hochkommissariat für Flüchtlinge der Vereinten Nationen (UNHCR). Ende vergangener Woche erklärte Europachef Vincent Cochetel, dem UNHCR seien Fälle bekannt, bei denen Flüchtlinge mit Schutzbedarf – auch solche aus Syrien – von Russland einfach in ihre Heimatländer abgeschoben worden seien.

Asylsuchende ohne individuelle Antragsprüfung zurückzuschicken, wie es Norwegen nun praktiziere, sei ein eklatanter Bruch der Genfer Flüchtlingskonvention. Trotz mehrfacher Bitte habe man dem UNHCR verweigert, sich über die Verhältnisse in Russland zu informieren.

Ministerin drückt sich um Begründung

Die Befürchtung des UNHCR-Vertreters, dass die Flüchtlinge in einem „eiskalten Niemandsland“ buchstäblich „riskieren zu erfrieren“, sollte sich schon zwei Tage später bewahrheiten. Am Montag berichtete der Independent Barents Observer unter Bezug auf russische Polizeiquellen, ein 33-jähriger Inder, der auf der Straße zur russisch-finnischen Grenzstation Salla fünf Tage bei Temperaturen von bis zu minus 30 Grad auf eine Möglichkeit zur Weiterreise gewartet habe, sei am Sonntag erfroren aufgefunden worden.

In einer aktuellen Stunde des Parlaments am Dienstagabend weigerte sich Ministerin Listhaug zu begründen, wieso Oslo Russland als „sicheres Drittland“ einstufe. Sie wollte auch ausdrücklich keine Garantie dafür übernehmen, dass die abgeschobenen Flüchtlinge dort wirklich Schutz finden würden.

Am Mittwochabend versammelten sich 100 OrtsbewohnerInnen vor dem Zaun des Flüchtlingslagers in Kirkenes, um bei minus 27 Grad mit einem Fackelzug gegen die Abschiebungen zu protestieren und ihre Solidarität mit den Asylsuchenden zum Ausdruck zu bringen.

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