Opfer von Rasern in Städten: Autos ausbremsen
Erneut führt ein vermutlich illegales Rennen zum Horrorcrash und Raser können sich sicher fühlen. Es wird Zeit, dass die Verkehrspolitik radikal wird.
Zwei Frauen werden am Ende mit lebensgefährlichen Verletzungen ins Krankenhaus gebracht. Die ältere der beiden muss vor Ort zunächst wiederbelebt werden. Auch die jüngere kann erst befreit werden, nachdem ihr durch den Aufprall umgestürztes Auto von Ersthelfern wieder auf die Räder gestellt wird. Teile der Fahrzeuge fliegen bis zu 100 Meter weit durch die Gegend und verletzen zwei Passanten.
Das ist die Bilanz eines Verkehrsunfalls auf dem Berliner Kurfürstendamm am späten Montagabend. Obwohl, Unfall, das klingt ja immer ein wenig nach Schicksal, nach Unvermeidbarkeit. Als ob alle Beteiligten vielleicht nicht korrekt, aber immerhin nicht mit Absicht falsch gehandelt haben.
Hier aber war vermutlich das Gegenteil der Fall. Wieder einmal. Laut Polizei haben Zeugen berichtet, dass sich drei Autos auf dem Ku’damm ein nächtliches Rennen geliefert hätten. Eins krachte in den Kleinwagen der beiden nun schwer verletzten Frauen. Die InsassInnen des zum Rennwagen umfunktionierten BMW flüchteten zu Fuß. Die FahrerInnen der beiden anderen Autos machten sich unerkannt aus dem Staub.
Dieses Spiel mit dem Tod erfreut sich unter durchgeknallten Temposüchtigen wachsender Beliebtheit. In Dresden wurde vor einer Woche ein sechsjähriger Junge überfahren. Die Polizei ermittelt. Wegen eines illegalen Rennens. In Hannover wurden vor drei Wochen zwei Personen verletzt, weil sie in ein anderes Fahrzeug krachten, als sie vor der Polizei flüchteten. Nach einem illegalen Rennen. In Leipzig wurde Mitte Juli eine Frau verletzt, als ihr Auto gerammt wurde. Auch hier ist der Ermittlungsstand: illegales Rennen. Und das sind nur einige Meldungen aus den letzten Wochen.
Sie zeigen ein beunruhigendes Schema. Opfer sind zumeist Unbeteiligte. Fußgänger und Insassen kleinerer Fahrzeuge. Die Raser in ihren hochgerüsteten Mobilmonstern kommen meist unverletzt davon. Denn sie spüren ja nicht nur den Kitzel der Power beim Druck aufs Gaspedal. Sie dürfen sich Dank Airbags und superstabilen Karosserien auch noch ungefährdet, unantastbar fühlen. Ein technisch begründeter Übermut mit fatalen Folgen.
Was aber soll man dagegen tun? Reicht es schon, wenn man den Autofahren die zweite Spur nimmt, damit ihnen schlicht der Platz fehlt, um nebeneinander zu rasen? Soll man den Kurfürstendamm zur Fußgängerzone umwandeln? Oder besser noch gleich die ganze Stadt? Aus der alle Autos verbannt werden? Oder Raser nach einem Unfall wenigstens als Mörder verurteilen?
Die Selbstverständlichkeit, mit der solche Forderungen nach jedem weiteren mörderischen Horrorcrash mittlerweile vorgetragen werden, ist ein guter Anfang. Das zeigt, dass sich etwas tut in Sachen Verkehrswende. Längst nicht mehr nur in den Köpfen radikaler Ökos, sondern auch auf den Straßen – wenn auch noch in homöopathischen Dosen.
Da poppen hier ein paar hundert Meter Radweg auf, da wird dort ein kleines Stück einer wichtigen Straße vom Auto befreit. Aber all diese netten und absolut lobenswerten Ansätze sind ja keine Lösung. Sie verdeutlichen vielmehr jedes Mal aufs Neue das eigentliche Problem: das Vorhandensein von übermotorisierten Autos.
Denn solange es sie gibt, solange sie in Städten eingesetzt werden dürfen, so lange wird es auch Raser geben. Eine mutige, eine zeitgemäße, eine überaus angemessene Verkehrspolitik müsste also als erstens dafür sorgen, dass alle Fahrzeuge, die schneller als die maximal erlaubten 50 Stundenkilometer fahren können, in geschlossenen Ortschaften nichts mehr zu suchen haben.
Das ist rechtlich schwierig? Nun, wenn Raucher aus Restaurants und Dieselfahrer aus Innenstädten verbannt werden können, weil sie mit ihrem Schadstoffausstoß eine tödliche Gefahr für ihre Mitmenschen darstellen, dann sollte das mit Fahrzeugen, die schneller als die erlaubten 50 km/h fahren können, auch möglich sein.
Ach, mag man nun einwenden, die gibt es doch gar nicht. Stimmt. Aber die Herstellung von innenstadtadäquaten Fahrzeugen wäre doch mal eine echte Herausforderung für die darbende Autoindustrie. Und bis die so weit ist, würden Innenstädte plötzlich zum Paradies für PassantInnen. Da könnte es sogar mal wieder interessant sein, über den Ku’damm zu flanieren.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Israelische Drohnen in Gaza
Testlabor des Grauens
Proteste bei Nan Goldin
Logiken des Boykotts
Bundeskongress der Jusos
Was Scholz von Esken lernen kann
Rekrutierung im Krieg gegen Russland
Von der Straße weg
Bündnis Sahra Wagenknecht
Ein Bestsellerautor will in den Bundestag
Schwedens Energiepolitik
Blind für die Gefahren