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Olaf Scholz’ RentenappellMal hü, mal hott

Kommentar von Gunnar Hinck

Kanzler Scholz will, dass ArbeitnehmerInnen nicht mehr früh in Rente gehen. Dabei hat seine Partei die Probleme großenteils selbst erzeugt.

Gehen für Scholz' Geschmack zu früh in Rente: Leute bei harter Arbeit (in Brunsbüttel) Foto: Marcus Brandt / dpa

G äbe es einen Preis für die Kategorie „verdruckst, widersprüchlich und inkonsistent“ bei Politikthemen – er würde verlässlich jedes Jahr an die Rentenpolitik gehen. Neuestes Beispiel: Kanzler Olaf Scholz will wegen des Arbeitskräftemangels mehr Leute dazu bewegen, bis zum offiziellen Rentenalter zu arbeiten – und nicht vorher in Rente zu gehen. Nachdem das tatsächliche Rentenalter in der Vergangenheit allmählich angestiegen war, wollen wieder mehr Beschäftigte vorzeitig aus dem Arbeitsleben aussteigen.

Ein Grund ist die Rente mit 63, einst ein Lieblingsprojekt von Scholz’ Partei SPD. Vor gut acht Jahren haben SPD-PolitikerInnen jedem, der nicht bei drei auf den Bäumen war, mit bebender Stimme von den „Lebensleistungen der Menschen“ erzählt, um die abschlagsfreie Rente mit 63 nach 45 Beitragsjahren zu begründen. Lebensleistung – eine seltsame moralische Kategorie für das große Rechenwerk namens Rente, als ob nicht jeder Mensch etwas in seinem Leben leistet.

Gemeint waren die berühmten hart arbeitenden Facharbeiter und Krankenschwestern: Bei der Rente mit 63 hatte die SPD ihre ehemalige Kernklientel im Blick, die ihr zuvor wegen Hartz IV und, genau, Rentenkürzungen im Zuge der Rentenreform unter Rot-Grün und der späteren Rente mit 67 von der Fahne gegangen war.

Besser als eine chaotische Rentenpolitik, in der es mal „hü“ und mal „hott“ heißt, wäre eine ehrliche Analyse: Warum so viele ältere BeitragszahlerInnen vom Berufsleben die Nase voll haben und sogar Abschläge bei der Rente in Kauf nehmen. Wie man das Arbeitsleben für Ältere attraktiver machen kann. Warum das individuelle Einstiegsalter in die Rente immer noch ein Randthema ist. Warum potenzielle Arbeitskräfte wie Asylsuchende ausgeschlossen werden, weil sie meist nicht arbeiten dürfen.

Ach so: Was sagt eigentlich Andrea Nahles dazu? Als Arbeitsministerin setzte sie die Rente mit 63 durch. Heute kämpft sie als Arbeitsagentur-Chefin mit dem Fachkräftemangel, den sie einst als Ministerin selbst mit verstärkt hat. Eine, nun ja, hübsche Pointe.

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ist Redakteur im taz-Ressort Meinung.
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9 Kommentare

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  • Und direkt aus einem Unternehmen: zu viele Überstunden, zu viele Umstrukturierungen (jetzt müssen wir alle "agile" werden) und zu viel Digitalisierung. Am Ende stellen viele Beschäftigte Mitte 50 fest, dass ein Leben ohne Arbeit möglich ist und noch nicht einmal sinnlos.



    Und: mal grundsätzlich, gibt es uns Menschen nur als Arbeitskräfte, die sich für die "Volkswirtschaft" verausgaben müssen oder wäre es mal an der Zeit, sich Menschen als Menschen und nicht als Arbeitstiere vorzustellen?

  • Abgesehen von der üblichen SPD Kritik des Autors, ist am Arbeitsmarkt Flexibilität gefragt.



    Der Autor spricht das Thema Flüchtlings an. Die Regierung agiert hier, indem die Million ukrainischen Flüchtlinge direkt in die Sozialsysteme integriert wurden und somit vermittelbar sind.



    Außerdem sollten Menschen, die schon länger in Deutschland leben ein dauerhaftes Bleiberecht erhalten.



    Die Einwanderung nach Deutschland wird neu geregelt.



    All dies sind, in der Tat, Projekte der SPD, die den Arbeitsmarkt reformiert.



    Ob " Jeder etwas leistet" in seinem Leben, sei dahin gestellt. Klar dürfte aber auch dem konservativsten Artikelverfasser sein, dass beispielsweise Arbeit auf dem Bau den Körper schneller verschleißt, als am Laptop, auf dem Sofa. Dieser Tatsache wurde mit dem möglichen früheren Renteneintrittsalter Rechnung getragen.



    Der Kanzler appelliert nun also dafür, länger zu arbeiten und somit " den Laden am laufen" zu halten.



    Was spricht dagegen?



    Er wurde dafür gewählt, dass es läuft.



    Er wird kaum die Menschen mit Bandscheibenvorfällen und Knieproblemen meinen.



    Zu einer anderen Zeit wurde die Frührente propagiert, weil es viele (jugendliche ) Arbeitslose gab.



    Viele RenterInnen fühlten sich aber, trotz Leistungsfähigkeit " zum alten Eisen" geworfen.



    Letztlich verlor die Volkswirtschaft dadurch auch eine Menge Berufserfahrung, die nicht mehr weiter gegeben werden konnte .



    Nun werden Menschen, die 40 Jahre schwer gearbeitet haben, für Ihre Lebensleistung gelobt. Das finde ich richtig. Außerdem appelliert der Kanzler an die Unentschiedenen, dass wir Sie noch brauchen. Es ist nicht das schlechteste Gefühl, gebraucht zu werden.



    Was dem Autor, abgesehen vom parteipolitischen Geplänkel , auf der Seele liegt, bleibt im Dunkeln.



    Wer aber über RentnerInnen redet, sollte die Menschen in den Blick nehmen.

    • @Philippo1000:

      "Was dem Autor, abgesehen vom parteipolitischen Geplänkel , auf der Seele liegt, bleibt im Dunkeln."



      Ich finde der Punkt des Autors ist leicht verständlich. Die SPD sorgt dafür, dass man früher in Rente gehen kann und redet dann auf die Leute ein, es nicht zu tun.



      Wenn es nur um die "hart arbeitenden" Dachdecker etc. ginge, könnte ich es verstehen.



      Aber ich erlebe selbst, wie Leute, die ihr Arbeitsleben hinter dem Schreibtisch verbracht haben, das Angebot der ungekürzten Frührente gerne annehmen.

  • 4G
    49732 (Profil gelöscht)

    Warum soll ich nochmal bis 70 arbeiten um zukünftiges BGE um Bürgergeld zu finanzieren?

  • Für mich halt auch ein deutliches Zeichen, dass es vielen Leuten mit der Rente finanziell sehr gut geht! Also eine Gesellschaft in Altersarmut ist das offensichtlich nicht!



    Zudem zeigt es auch, dass es sich wohl nach Abwägung aller Gründe für viele 'nicht mehr lohnt'. Steuer und Abgaben zu hoch? Chef und Anforderung zu nervig? Belastung zu hoch? Lohn zu niedrig? ... usw. Für jede Theorie, von FDP bis Linke ist da was dabei.



    Das mal wissenschaftluch aufzuarbeiten wäre zwingend für effiziente Ansätze eine gut finanzierte Gesellschaft der Zukunft zu gestalten. Es ist aber wie oben geschrieben mal wieder zu befürchten dass jede Partei ihre Dampflauderer nun rumproleten lässt was angeblich zu tun ist. Schaumermal.

    • @Tom Farmer:

      Beantworten sie doch mal ihre Fragen selber. Nölen bringt da gar nichts..



      Wie wärs mit frischen Vorschlägen?



      Ach so, Stubengelehrter.



      Offensichtlich ist es für die meisten Arbeitnehmer nicht so, das es um 10.00Uhr losgeht, und um 16.00Uhr übers Abendessen nachgedacht wird.



      Wie muss Arbeit sein, das man sie macht, bis 67?



      Bei finanziellen Anreizen fragen wir einfach Fondmanager, die kennen sich aus.



      Ich habe fünfzig Jahre und drei Monate im Arbeitsverhältnis gestanden. Bei der Bahn im Fahrdienst.Ich bin froh, eine gute Rente zu bekommen.



      Müssen alle so lange arbeiten, um eine gute Rente zu bekommen?



      Überhaupt, was ist eine gute Rente?



      Die Politik hier stolpert täglich über selbst gelegte Fallstricke.



      Sollte man da von Dummheit reden, oder von Absicht, oder gar von einer Mischung?

  • Der unsägliche Herr Scholz sollte als oberster Staatsbediensteten-Arbeitgeber gerne mal drüber nachdenken, warum so viele Beamte wegen Dienstunfähigkeit teilweise schon mit 50 in Pension gehen, und trotzdem weit mehr Pension bekommen als normale Arbeitnehmer, die tatsächlich bis zum Rentenalter arbeiten.

    Seit 40 Jahren die Lüge von nicht finanzierbarer Systemumstellung auf ein Altersversorgungssystem, in das alle einzahlen. Komisch, Österreich hat das geschafft.

    Ansonsten sind des ja hauptsächlich die öffentlichen Arbeitgeber, also die Gemeinden, die Städte, die Länder und der Staat, die Probleme habe, ihre Arbeitsplätze zu besetzen, zum nicht unerheblichen Teil wegen erschreckenden Mängeln bei der Personalplanung.

    • @Torben2018:

      Es sind in erster Linie die öffentlichen Arbeitgeber, die Ihre Stellen nicht besetzen können?



      Interessante Wahrnehmung.



      Mir fielen in den letzten Jahren da eher die Menschen auf, die ein Jahr und länger auf Ihre neue Heizung oder Photovoltaik Anlage warten mussten.

      • @Philippo1000:

        Heute im Lokalblatt in BW großes Thema, dass im Ländle, welches sehr viele mittlere Unternehmen im Technikbereich hat, massenhaft Ingenieure fehlen. Mit diesem Ingenieurmangel ist eine Umstellung auf weniger Co2-Produktion nicht zu schaffen. Traditionell war BW ein "Tüftler- und Ingenieurland"; es scheint derzeit wohl viel weniger Menschen anzusprechen, einen solchen Weg zu gehen.