Odyssee durch das Schulsystem: Sebastians weiter Weg

Ein autistischer Junge in Hamburg soll einen Schulplatz am anderen Ende der Stadt erhalten. In der Autistenklasse eines Gymnasiums darf er nicht bleiben.

Würde gerne auf seinem Gymnasium bleiben: Sebastian R. Bild: Miguel Ferraz

HAMBURG taz | Der Konflikt um den 15-jährigen Autisten Sebastian R. ist noch nicht gelöst. Wie berichtet, musste der Junge im April eine Spezialklasse für autistische Kinder nach zwei Monaten wieder verlassen, weil diese an einem Gymnasium angegliedert ist und seine Schulleistungen kein Abitur erwarten ließen. Bei einem Treffen mit dem Landesschulrat wurde den Eltern erklärt, dass eine Rückkehr in diese Klasse ausgeschlossen sei. Sebastian könne einen Platz an einer Schule für Hörgeschädigte in Othmarschen erhalten, das liegt am westlichsten Zipfel Hamburgs.

Doch das ist weit weg von seinem Zuhause in Hamburg-Allermöhe am südöstlichen Stadtrand. „Es heißt, es sei ein Platz im Schulbus frei“, sagt Mutter Melanie R. Eine einfache Fahrt dauere mindestens 80 Minuten. „Wir sind mit der Lösung nicht zufrieden, aber wir haben keine andere Wahl“, sagt Vater Sven R.

Sebastian hat Asperger-Autismus und hatte schon eine längere Odyssee durch das Schulsystem hinter sich, als er im Februar in die „A-Klasse“ des Brahms-Gymnasium in Hamburg-Bramfeld kam. Dort lehren auf Autismus spezialisierte Fachkräfte. Die Klassen sind sehr klein, jeder Schüler hat neben dem Platz am Gruppentisch noch einen abgeschirmten Einzelarbeitsplatz und kann schrittweise am Fachunterricht teilnehmen.

„Ich will in diese Klasse zurück“, sagt Sebastian. Er habe dort viel mehr gelernt als an der Regelschule, sagt seine Mutter. Das Angebot der Stadt, den Jungen mit sonderpädagogischer Einzelunterstützung an einer der Stadtteilschulen zu integrieren, lehnen die Eltern ab.

Der in Aussicht gestellte Schulplatz soll sich am „Bildungszentrum Hören und Kommunikation“ befinden, einem Kompetenzzentrum für schwerhörige und gehörlose Kinder. „Wir haben das Angebot so verstanden, dass dort eine neue Autisten-Klasse einrichtet wird“, sagt Melanie R.

Die Eltern sehen dabei einige Probleme. So verständigen sich gehörlose Schüler mit Gesten und Mimik, gerade diese zu deuten falle ihrem Kind schwer, was zu Missverständnissen führen könne. Auch sehen sie in dem weiten Schulweg eine Belastung. Sie hoffen immer noch, dass ihr Sohn in die bereits erfolgreich etablierte A-Klasse zurück kann. Da Gerichte in dieser Frage der Schulbehörde Recht gaben, hätte Sebastian formal keinen Anspruch darauf, sagt Vater Sven R. „Das heißt aber nicht, dass die Behörde ihn dort nicht beschulen darf.“

Keine Präzedenzfälle

Eine Rückkehr zum Brahms-Gymnasium sei nicht möglich, sagt Schulbehördensprecher Peter Albrecht. „Sonst würde man einen Präzedenzfall schaffen.“ Zum Schulort erklärt Albrecht, es handle sich hier um eine Einzellösung in einem komplizierten Fall. „Fragen zu Details können wir nicht beantworten, weil noch Gespräche stattfinden.“

Die Grüne Schulpolitikerin Stefanie von Berg kennt weitere Familien mit autistischen Kindern, die Probleme mit der Schulsuche haben. „Viele dieser Schüler leiden an den Lernbedingungen der allgemeinen Schulen“, sagt sie. Inklusion bedeute für die Grünen nicht, alle gemeinsam vor die gleichen Aufgaben zu stellen, sondern Kindern die Bedingungen zu schaffen, die sie für gutes Lernen brauchen.

Die Grünen beantragen nun, dass es eine weitere A-Klasse an einer Stadtteilschule gibt. „Sie müsste am besten in der Mitte der Stadt liegen“, sagt von Berg. Außerdem fordern sie die stärkere Beteiligung der Gymnasien an der Inklusion. Sollte es nach der Hamburg-Wahl Verhandlungen über eine Koalition geben, werde die Einführung eines entsprechenden Modellversuchs „eine Bedingung sein“.

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