Obdachlosigkeit in Griechenland: Keine Spur von sozialer Hängematte
Auf Arbeitslosigkeit folgt für viele Obdachlosigkeit. Der Staat hilft schon lange nicht mehr. Auch den Elektriker Kostas hat es getroffen.
Der hochgewachsene Mann in Jeans und hellgrauem Dufflecoat zieht die Strickmütze tiefer in die Stirn. Die letzten Nächte waren sehr hart, erzählt er, denn die Temperaturen bewegten sich um den Gefrierpunkt. Sein Schlafsack ist durch den Nieselregen und den Wind trotz der Überdachung der Sitzbänke nass geworden und hängt nun zum Trocknen über einer Banklehne. Nein, in die Schlafstätten der Stadt oder der Hilfsorganisationen geht er nicht gerne. Da seien viele zwielichtige Gestalten.
Kostas zeigt auf seinen Rucksack. Dort sei sein Laptop drin. Auch ein Tablet habe er dabei. Reste aus seinem normalen Leben, sagt Kostas leise und lächelt schief. Auf drei anderen Bänken sitzen vier weitere Männer mit ähnlichem Schicksal. „Wir halten hier zusammen“, sagt Kostas und nickt seinen Freunden zu. Ab und an gehen die Männer gemeinsam in diese Unterkünfte, um gegenseitig aufeinander aufzupassen. Einer aus der Gruppe hat es geschafft, sich aus der Obdachlosigkeit zu befreien. Immer wieder holt er die Männer zu sich in die Wohnung.
„Ich lebe seit knapp einem Jahr auf der Straße“, berichtet Kostas. Immer wieder schüttelt der in sich gekehrte Mann den Kopf. Nie hätte er gedacht, dass ihm das mal passieren würde. „Ich hatte ein ganz normales Leben“, sagt der 52-Jährige und lächelt leise. Nichts Besonderes, aber ab und zu mal essen gehen, ins Kino, mit Freunden etwas trinken gehen, verreisen – ein Dach über dem Kopf haben. Er hält inne, scheint sich an die Zeit zu erinnern, lächelt wehmütig. Ein Motorrad hatte er! Kostas lacht. Jetzt kommt ihm so etwas unwichtig vor.
Ein typischer Fall der Neuobdachlosen
Der gelernte Elektriker ist einer der Tausenden oft gut ausgebildeten Menschen, die infolge der Wirtschaftskrise obdachlos wurden. Das Sozialsystem in Griechenland trägt schon lange nicht mehr. Und so waren bereits im Jahr 2011 rund 20.000 Personen laut einer Studie der griechischen NGO „Klimaka“ obdachlos. Etwa 15.000 von ihnen lebten in der Hauptstadt Athen. Die Organisation betont, dass die Zahl nur als Richtwert gesehen werden soll, denn die genaue Zahl der Obdachlosen sei nur schwer zu ermitteln.
„Zu den sogenannten Neuobdachlosen gehören nicht nur diejenigen, die bereits auf der Straße leben“, sagt Anta Alamanou, Sprecherin von Klimaka. Zu den neuen Obdachlosen würden auch jene gezählt, die bei Freunden oder Verwandten Unterschlupf suchen müssen. „Denn auch sie haben kein eigenes Dach über dem Kopf“, so Alamanou.
Kostas ist ein typischer Fall der Neuobdachlosen. Jeder Vierte im Land ist arbeitslos. Kostas macht sich oft etwas jünger, um ab und an Jobs für Ausbesserungsarbeiten zu ergattern. Die bekommt er nur, weil er ohne Rechnung arbeitet. „15 oder 20 Euro gibt es für einen Auftrag“, seufzt er. Vor gut fünf Jahren wurde die Krise spürbar, erinnert er sich. Die Aufträge wurden immer weniger, bis sie fast ganz ausblieben. Seine Frau und seinen heute 18-jährigen Sohn schickte er damals nach Australien, wo die Griechin mit australischen Wurzeln eine Wohnung geerbt hat. Sein Sohn hat gerade angefangen zu studieren, lächelt er.
Kostas zog damals zu seiner Mutter, um Miete zu sparen. Er selbst hat nicht die australische Staatsbürgerschaft und musste hierbleiben. Für umgerechnet etwa 6.000 Euro kann er sich die Staatsbürgerschaft erkaufen. Das war der Plan. Dann starb seine Mutter. Die Miete der Wohnung konnte Kostas nicht aufbringen. Sein Sohn weiß nicht, dass sein Vater heute auf der Straße lebt.
40.000 mal Danke!
40.000 Menschen beteiligen sich bei taz zahl ich – weil unabhängiger, kritischer Journalismus in diesen Zeiten gebraucht wird. Weil es die taz braucht. Dafür möchten wir uns herzlich bedanken! Ihre Solidarität sorgt dafür, dass taz.de für alle frei zugänglich bleibt. Denn wir verstehen Journalismus nicht nur als Ware, sondern als öffentliches Gut. Was uns besonders macht? Sie, unsere Leser*innen. Sie wissen: Zahlen muss niemand, aber guter Journalismus hat seinen Preis. Und immer mehr machen mit und entscheiden sich für eine freiwillige Unterstützung der taz! Dieser Schub trägt uns gemeinsam in die Zukunft. Wir suchen auch weiterhin Unterstützung: suchen wir auch weiterhin Ihre Unterstützung. Setzen auch Sie jetzt ein Zeichen für kritischen Journalismus – schon mit 5 Euro im Monat! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Tabubruch der CDU
Einst eine Partei mit Werten
Social-Media-Star im Bundestagswahlkampf
Wie ein Phoenix aus der roten Asche
Trump und die Ukraine
Europa hat die Ukraine verraten
Trump und Putin
Bei Anruf Frieden
80 Jahre nach der Bombardierung
Neonazidemo läuft durch Dresden
Krieg und Rüstung
Klingelnde Kassen