Oasis sind wieder da: Mit herablassendem Blick
Ihre Texte, ihre Frisuren, ihr Gehabe: Mittelalte Männer erklären, warum Oasis immer schon scheiße waren. Echt jetzt?
I ch hätte das auch nicht gebraucht. Ich hatte mich damit abgefunden, dass ich Oasis und R.E.M., zwei der größten und wichtigsten Bands meiner Adoleszenz, nie live gesehen haben würde. Ich war mir absolut sicher, dass die beiden Bands wirklich nie wieder zusammenfinden und Konzerte spielen würden. Und das war okay.
Dann kamen der Countdown, die Gerüchte und die Ankündigung, dass die zerstrittenen Gallagher-Brüder im kommenden Jahr wieder gemeinsame Konzerte spielen werden, der katastrophale Online-Vorverkauf – und mit ihnen das überraschende journalistische Subgenre „Warum Oasis immer schon scheiße waren“.
Während britische Kommentatoren wie Simon Price im Guardian den Gallaghers wenigstens konservative bis homophobe Gesinnungen nachwiesen (um dann mit dem Vorwurf zu enden, ihre Songs hätten nie gerockt), erklärten mittelalte deutsche Journalisten (nur Zeit Online hat eine Frau auf das Thema angesetzt) eilfertig ihrem mittelalten Publikum, warum die Band schon zu ihrer Blütezeit (oder spätestens nach diesen zwei, drei Jahren) unwichtig und egal gewesen sei. Und deren Fans eh ganz schlimm.
Das klingt – um im leicht prolligen Duktus prototypisch imaginierter Oasis-Anhänger zu sprechen – verdächtig, als hätte ihnen ihre „Alte“ verboten, das Familienurlaubsbudget für eine einzelne Stehplatzkarte im Wembley Stadium auszugeben, und sie müssten jetzt wie ein patziger Teenager begründen (vor allem vor sich selbst), warum sie „sowieso keine Lust“ gehabt hätten hinzugehen.
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Also wird alles gegen die Band verwendet, was sie damals ausgemacht hat: ihre Texte, ihre Frisuren, ihr Gehabe. Und überhaupt: Oasis hätten ja eh nur bei den Beatles abgeschrieben. No shit, Sherlock! Vielleicht muss man das für die Nachgeborenen noch mal erklären (als ob die Feuilleton-Artikel über Oasis lesen würden, hahaha), aber: Das war damals schon allen Beteiligten – inklusive Noel und Liam Gallagher – klar. Es war, wie Liam sagen würde, the fooking point.
In diesen Besinnungsaufsätzen, auf die deutlich weniger Leute gewartet hatten als auf eine Oasis-Reunion, findet so viel Projektion statt, dass ich hier einfach damit weitermache: So kann man doch eigentlich nur schreiben, wenn man sich entweder für seine eigene Jugend schämt oder damals schon ein elitärer Schnösel war, der nur Sonic Youth, Blumfeld und Nick Cave hörte und seitdem keinerlei Persönlichkeitsentwicklung durchgemacht hat.
Dabei ist das Einzige, was noch mehr 90er ist als Oasis, doch der herablassende Blick auf andere, die einen „schlechteren“ Geschmack haben (vgl. Hornby u. a.), und das Feindbild Sellout, das damals auf jede Band angewendet wurde, die einen Vertrag bei einem Major-Label unterschrieb oder plötzlich in die Charts einzog. Ich hatte gehofft, dass wir so peinliche Distinktionsgedanken lange hinter uns gelassen hätten, aber jetzt feiern sie ein Comeback, das wirklich keiner braucht.
Beim deutschen Rolling Stone, dem Zentralorgan für Rock-Nostalgie, das mindestens einmal im Jahr Bruce Springsteen auf dem Cover hat, mutmaßt ein Autor, ob die Band überhaupt genug gute Songs hätte, die einen solchen Aufwand rechtfertigten.
In der taz warf der Kollege den Gallaghers gar die „musikalische Vorwegnahme des Brexits“ vor, weil ihr Habitus die Selbstfixierung Großbritanniens forciert habe. Bevor man Oasis den Brexit in die Schuhe schiebt, könnte man David Hasselhoff erst mal in einem Indizienprozess nachweisen, dass er wirklich den Mauerfall herbeigeführt hat.
In der Welt der Politik nehmen alle Rücksicht auf „gefühlte Wahrheiten“, aber auf dem einen Feld, wo Emotionen im Vordergrund stehen sollten, der Popmusik, werden plötzlich ganze Historikerkommissionen aus dem Schrank geholt und auf das Schaffen der Band angesetzt. Schlechte Nachrichten gibt es genug, da ist eine Mischung aus Nostalgie und Vorfreude nicht zwingend das, was man geißeln muss. Dass Menschen, Männer gar, ausnahmsweise mal positive Emotionen in den sozialen Medien teilen, könnte man ja auch einfach wohlwollend zur Kenntnis nehmen.
Wie wär’s, wenn alle mal durchatmen, wir mit Gin Tonic anstoßen und uns nach dem ersten Akkord eines Oasis-Songs in den Armen liegen? Sein Titel: „Don’t Look Back In Anger.“ Lukas Heinser
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