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Nukleare Aufrüstung in DeutschlandDie permanente Drohkulisse

Gastkommentar von Julia Engels

Wer die atomare Aufrüstung ablehnt, ist nicht „naiv“ oder „Putins Sprachrohr“. Abschreckung schafft zwar kurzfristige Stabilität, verhindert aber Friedensordnungen.

Nukleare Abschreckung beruht letztlich auf der Drohung massiver Vernichtung Foto: M.Gann/McPhoto/imago

S eit dem russischen Angriff auf die Ukraine im Februar 2022 hat sich in Deutschland der Ton in Sachen Sicherheitspolitik verändert. Abschreckung, Aufrüstung und nukleare Teilhabe werden heute weitgehend als verantwortungsvoll, realistisch und alternativlos dargestellt. Was als neue Ernsthaftigkeit gefeiert wird, ist jedoch auch eine beunruhigende Normalisierung von Gewaltpotenzial – nicht zuletzt durch die Wiederbelebung der nuklearen Abschreckung. Während frühere Debatten um Abrüstung, Zivilklauseln und Rüstungsexporte kontrovers geführt wurden, gelten friedenspolitische Positionen heute oft als weltfremd, moralisch überhöht oder gar gefährlich.

Besonders deutlich zeigt sich dieser Wandel in der Debatte um die Modernisierung der US-Atombomben in Büchel und den Ankauf von F35-Kampfflugzeugen. Die deutsche Beteiligung an der nuklearen Teilhabe wird inzwischen kaum noch hinterfragt. Stattdessen dominieren Begriffe wie „Verantwortung“, „Führungsrolle“ oder „Sicherheit durch Stärke“. Dass nukleare Abschreckung letztlich auf der Drohung massiver Vernichtung beruht, scheint in der öffentlichen Debatte kaum noch eine Rolle zu spielen.

Es ist also eine Art „Frieden im Alarmzustand“: Abschreckung schafft zwar kurzfristige Stabilität, verhindert aber langfristige Friedensordnungen. Wer sich für atomare Abrüstung oder alternative Sicherheitskonzepte ausspricht, wird oft diskursiv ausgegrenzt – nicht durch Argumente, sondern durch Etiketten: Man sei „naiv“, „realitätsfern“, oder gar „Putins Sprachrohr“, heißt es dann häufig.

Dabei braucht es gerade jetzt eine Rückbesinnung auf die ethischen Grundlagen politischer Verantwortung. Sicherheitspolitik darf nicht allein von militärischer Logik bestimmt werden – sie ist gestaltbar, verhandelbar, demokratisch kritisierbar. Atomwaffen sind keine moralisch neutralen Schutzschilde, sondern permanente Drohkulissen. Wer das aussprechen will, sollte nicht als Gefahr gelten – sondern als Stimme der Vernunft.

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14 Kommentare

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  • Wer sich für atomare Abrüstung oder alternative Sicherheitskonzepte ausspricht, wird oft diskursiv ausgegrenzt – nicht durch Argumente, sondern durch Etiketten: Man sei „naiv“, „realitätsfern“, oder gar „Putins Sprachrohr“, heißt es dann häufig.

    Und welches Argument kommt jetzt, wie es ohne diese Abschreckung geht? Ich finde kein einziges Argument, wie denn eine Friedensordnung mit Putin funktioniert ohne ihn abzuschrecken. Und ja, wenn kein Argument kommt, ist die bloße Behauptung naiv.

  • "Wer sich für atomare Abrüstung oder alternative Sicherheitskonzepte ausspricht, wird oft diskursiv ausgegrenzt – nicht durch Argumente, sondern durch Etiketten: ..."

    Die Etiketten verdient man sich, wenn man die - sattsam bekannten - Argumente schlicht ignoriert. Aber ich kaue sie gern nochmal vor:

    Friedensordnungen, die auf Abrüstung basieren, können nur funktionieren, wenn ALLE hochgerüsteten potenziellen Kriegsgegner sich selbst abrüstend an ihnen beteiligen. Das gilt ganz besonders für jene Mächte, die den offensiven(!) Einsatz ihres Waffenarsenals für eine reelle Option zur internationalen Eigeninteressenvertretung halten. Zu nennen wären da aktuell Russland, China, die USA, Nordkorea, Israel, die Türkei, Indien, Pakistan und im Zweifel noch Andere, die gerne würden, wenn sie könnten. Die aber rüsten nur ab, wenn ein ähnlich gerüsteter Gegner es auch tut.

    Gegen solche predatorischen Militärmächte hilft daher letzlich nur Waffengleichheit, gegen predatorische NUKLEARmächte hilft nur NUKLEARE Waffengleichheit. Unter den genannten Aggressionsgeneigten sind nicht zufällig alle Nuklearmächte außer UK und Frankreich.

    Ergo: Abrüstung, bevor Waffengleichheit herrscht, wäre naiv.

  • Als ob ein Expertengremium sich bloß über die Waffenhersteller verständigen müsste, wird die Debatte (nicht) geführt. Als Apriori wird die Notwendigkeit nuklearer Aufrüstung immer impliziert. Das X in den Szenarien des Experten-Labs wird allein durch eine „Putin“-Konstante spezifiziert. Risiken wie Trump/Vance/ihre Sympathisanten in der EU? Merz schließt mit Trump an die 9/11-Feindbilder eines „Westens“ an, der sich vom Völkerrecht verabschiedet, Dobrindt macht diesen Job im „Inneren“. Inwieweit die „Migration = Invasion“-Doktrin von Vance/das Universal-Feindbild „Ausländer“ nicht längst andere gebräuchliche Feindbilder in den Schatten stellt – wird nicht kritisch reflektiert. Was will/was wird der sog. „Westen“ gegen wen/was und, nicht zuletzt, WO verteidigen, wenn eigene Aufrüstung ihn von diesen USA „unabhängig“ gemacht hat? Mit der Vance-Doktrin lässt sich der „Grenzschutz“ beliebig entgrenzen und militarisieren. Er kann an den Grenzen der EU/der Mitgliedsstaaten, in Tunesien oder auch, nach Trump-Vance-Vorbild (L.A. et al.), im jeweils „Landesinneren“, kriegerisch exekutiert werden. „Innen“ und „Außen“ werden sich im Zeitalter identitären Merchandisings nicht trennen lassen.

  • Friedensordnungen. Der Begriff ist leider nur aus dem Kontext des beendeten Krieges heraus denkbar. Wiener Kongress. (Post Napoleon) / Westphälischer Friede (Post 30y War). League of Nations (Post WW1). UN (post WW2) Pax Romana (Post Römischer Bürgerkrieg) Pax Mongolica (Post djingis khan) etc etc...

    Es gibt nur überaus wenige Beispiele in denen aus einem zumindest offiziellen Frieden heraus, eine neue Friedensordnung entstand.

    Denn die Veränderung einer Ordnung führt zu Konflikt. Die Erschaffung einer neuen Ordnung erfolgt durch den Konflikt.

  • Auf die wichtigste Frage bei diesem Thema geht die Autorin leider nicht ein: Hätte der imperialistische Faschist und Kriegsverbrecher Putin die Ukraine auch angegriffen, wenn diese nach der Unabhängigkeit die Atomwaffen behalten hätte?

    Wie schreckt man einen größenwahnsinnigen Diktator davon ab, einen Krieg zu starten, mit Blümchen in der Hand oder doch eher mit der Fähigkeit, das Land des Angreifers ebenfalls einzuäschern?

    Es ist traurig, dass ich so etwas schreiben muss, denn mir gefällt es sehr gut in Frieden zu leben und ich wünsche das jedem einzelnen Menschen auf dieser Welt, aber solange es Psychopathen in Machtpositionen gibt, die Krieg als Mittel einsetzen, ist wehrlosigkeit fatal.

  • "Man sei „naiv“, „realitätsfern“, oder gar „Putins Sprachrohr“, heißt es dann häufig."

    Niemand, der glaubwürdig diplomatische Bemühungen in der Sicherheitspolitik fordert wird so bezeichnet. Es werden die Leute so bezeichnet, die angesichts einer objektiv existenten Bedrohungslage, einer klar artikulierten NATO Müdigkeit der USA und einem desolaten Zustand der eigenen Streitkräfte, Aufrüstung als Militarismus oder Kriegstreiberei bezeichnen. Die Putins unverholenen Unwillen zur Verhandlung genauso ignorieren, wie sie die Warnungen vor einer russischen Invasion in der Ukraine ignoriert haben. Die aus diplomatischen Grünen gern wieder näher an Russland heranrücken würden und dafür über die Köpfe der Ukrainer hinweg über Gebietsabtretungen eines anderen Staates schwadronieren. Die angesichts einer russischen Kriegswirtschaft, offene Drohungen gegen europäische Staaten und Dauerbombardements in der Ukraine davon reden, eigene Aufrüstung würden eine Friedensordnung verhindern. Die nie ins Detail gehen, wenns um Alternativen geht. Und die sich, bei all den Widersprüchlichkeiten, die sich aus Realität und ihren Forderungen ergeben, als "Stimme der Vernunft" produzieren.

    • @Deep South:

      Sehr treffende Klarstellung. Wie heißt es hier so schön - anschließe mich!

  • Natürlich wird man über Etikette abgewimmelt.



    Narrative brauchen keinen Widerspruch.



    Er könnte ihr Ende bedeuten.



    Dass diese Menschen dann auch noch die Demokratie mit ihrer Aufrüstung retten wollen, obwohl sie nicht einmal zum demokratischen Diskurss in der Lage sind, bemerken sie wahrscheinlich selbst nicht. Es ist ihnen einfach nicht bewusst.



    Mad World!

  • "Abschreckung schafft zwar kurzfristige Stabilität, verhindert aber Friedensordnungen."

    Inwiefern soll Abschreckung Friedensordnungen verhindern? Das erläutert die Autorin leider nicht.



    Historisch gesehen liegt der umgekehrte Schluss näher:



    Das Abschreckungspotential der 80er Jahre hatte Abrüstung, vertrauensbildende Maßnahmen etc zur Folge.

    Frieden kann entstehen, wenn sich die Kräfte der Kontrahenten etwa im Gleichgewicht befinden. Wenn eine Seite überzeugt ist, sich ohne großes Risiko gewaltsam gegen die andere Seite durchsetzen zu können, wird sie es tun - vorausgesetzt sie ist skrupellos genug dafür.



    Was den Blick auf Putin und Russland lenkt...

  • Aufrüstung verhindert eine neue Friedensordnung ? Wie naiv ist das denn. Solange Putin ungeniert sein Zerstörungswerk fortsetzt, wird es keine Friedensnordung geben. Ich glaube nicht, dass Putin die Ukraine angegriffen hätte, wäre dieses Land eine hochgerüstete Atommacht. Der russische Kriegverbrecher beweist uns täglich, das er nur eine Sprache versteht, die Sprache der Gewalt. Das Wort Friedensordnung kommt in seinem Vokabular nicht vor.

    • @Wolfgang Laux:

      Wahrscheinlich hätte Putin das nicht getan, weil er weiß, wohin das führt.

      Im Gegensatz zur Ukraine, deren Mut eine hochgerüstete Nuklearmacht, auf eigem Gebiet anzugreifen, lässt wohl auf wesentlich mehr Vertrauen ins Gegenüber schließen, wenn Ihnen



      Das Risiko Risiko trugen sie ja sicher bewusst.

    • @Wolfgang Laux:

      Es gibt mehr als genug Atomwaffen um diesen Planeten zig mal zu sprengen. Da muss man nicht noch aufrüsten. Komplett Hirnrissig.

      • @Andreas J:

        Nur gehören diese Waffen weitgehend Ländern, bei denen real die Gefahr besteht, bzw. in mindestens zwei Fällen sogar aktuell verwirklicht ist, dass ihnen die eiserne Faust (wenn auch dankenswerterweise bislang "nur" konventionell) ganz kräftig ausrutscht. Gerade mal zwei von neun Atommächten zeigen derzeit KEINE akute Neigung, ihre Militärmacht auch kriegerisch zum Machtausbau einzusetzen - UK und Frankreich. Die sind aber zu klein, um den aggressiveren Mitgliedern des Clubs dauerhaft Einhalt zu gebieten und notfalls den Rest der Welt vor ihnen zu schützen.

        Man sagt ja auch nicht der Polizei, die Kriminellen hätten schon genug Waffen, sie bräuchte daher selbst keine, oder?

      • @Andreas J:

        Es gibt auch genug Essen und trotzdem leiden die Menschen Hunger. Atomwaffen mögen hirnrissig sein. Wenn sie aber der Feind hat, ist es doof, wenn man selbst keine hat.