Notfallmedizin für Corona in Deutschland: Warum Covid-19 tötet
30 Prozent der schwerst an Covid-19 Erkrankten sterben. Die Ursachen: Vorerkrankungen, Behandlungsdauer und das Fehlen eines Medikaments.
Dennoch ist die Zahl der Covid-19-Intensivpatienten, die trotz Hochleistungsmedizin nicht gerettet werden können, hoch: Drei von zehn Patienten, die so schwer am Coronavirus erkrankt sind, dass sie auf einer Intensivstation behandelt werden müssen, sterben nach Angaben des DIVI in Deutschland. Warum?
„Eine solche Intensivsterblichkeit bei einer großen Kohorte von Patienten, das ist aus unserer Sicht sicherlich viel, findet sich aber auch bei anderen schwer verlaufenden Lungenentzündungen“, sagt DIVI-Präsident Uwe Janssens, Chefarzt der Klinik für Innere Medizin und Interdisziplinäre Intensivmedizin am St.-Antonius-Hospital im nordrhein-westfälischen Eschweiler.
Intensivmedizin hat keine Medikamente an der Hand
Die Sterblichkeitsrate bei anderen viralen oder bakteriellen Lungenentzündungen, die ebenfalls intensivmedizinisch behandelt werden, liege zwischen 25 und 50 Prozent. Unklar sei, ob die Covid-19-Sterblichkeitsrate auf Intensivstationen von derzeit 30 Prozent womöglich nach oben korrigiert werden müsse. Janssens: „Die Patienten liegen außerordentlich lange auf der Intensivstation, 14 bis 21 Tage im Mittel, und von vielen wissen wir zurzeit einfach noch nicht, ob sie es schaffen werden.“ In Großbritannien etwa, das zeigen Daten des Intensive Care National Audit and Research Center, liegt die Sterblichkeit von maschinell beatmeten Covid-19-Patienten bei 51,6 Prozent. Heißt brutal: Nur jeder zweite Intensivpatient in Großbritannien überlebt, in der Gruppe der über 80-Jährigen sogar nur jeder vierte.
Nun ist Deutschland nicht Großbritannien, wo Patienten häufig erst zu einem sehr viel späteren Zeitpunkt der Erkrankung, in einem weitaus kritischeren Allgemeinzustand und damit mit einer von vornherein schlechteren Prognose erstmals Zugang zu Intensivmedizin erhalten. Und dennoch, mahnt etwa Bernd Oliver Maier, Chefarzt für Palliativmedizin und interdisziplinäre Onkologie am St. Josefs-Hospital Wiesbaden und daneben Vizepräsident der Deutschen Gesellschaft für Palliativmedizin, sei es unerlässlich, Nutzen und Schaden, aber vor allem das Ziel einer Intensivtherapie für jeden Betroffenen individuell immer wieder abzuwägen: „Gerade bei multimorbiden, vorerkrankten Patienten sollte man darüber nachdenken, ob eine Intensivtherapie tatsächlich für deren persönliche Lebensrealität einen Sinn ergibt.“
Klar sei schon jetzt, sagt Intensivmediziner Uwe Janssens: „Wir sehen bei Covid-19 ein dramatischeres Bild als bei anderen Lungenerkrankungen.“ Dies liege auch daran, dass die Intensivmedizin im Fall von Covid-19, anders als bei anderen Lungenentzündungen, „keine Medikamente an der Hand hat, mit denen wir das Virus killen können. Wir können also nur darauf hoffen, dass die Abwehrkräfte des Körpers in der Lage sind, das Virus in den Griff zu kriegen, während wir den Organismus mit invasiver Beatmungstherapie unterstützen und diese so gestalten, dass sie möglichst geringe Nebenwirkungen hat.“
Nun muss glücklicherweise längst nicht jeder mit dem Coronavirus Infizierte befürchten, an einer Lungenentzündung zu erkranken und auf einer Intensivstation um sein Leben zu ringen. Nur für 3 Prozent der übermittelten Infektionsfälle ist dem Robert-Koch-Institut (RKI) bekannt, dass diese Personen eine Lungenentzündung entwickeln. Bei dem Löwenanteil der Erkrankten, 83 Prozent, sind die Verläufe so mild, dass sie nach Angaben des RKI zu Hause oder ambulant versorgt werden können.
Die übrigen 17 Prozent werden im Krankenhaus behandelt, 3 bis 5 Prozent auf der Intensivstation, sagt der Präsident der Deutschen Gesellschaft für Pneumologie und Beatmungsmedizin, Michael Pfeifer. Der Anteil der sehr schweren Verläufe ist also gering, aber in der insgesamt kleinen Gruppe, die deswegen einer Intensivtherapie bedürfen, müssen sieben bis acht von zehn Patienten maschinell beatmet werden.
Rechtzeitiges Reagieren entscheidend
Und diese Beatmung kann, selbst wenn man sie überlebt, schwere Schäden nach sich ziehen. Diese betreffen paradoxerweise weniger die Lunge denn andere, durch Covid-19 selbst gar nicht geschädigte Organe wie die Nieren, das Herz sowie das Gehirn.
„Einige Patienten sind hinterher dialysepflichtig, bei anderen ergeben sich Komplikationen aufgrund von Keimen, die das Herz oder das Gehirn befallen; es sind Risiken, die nicht speziell mit Covid-19 zusammenhängen, sondern die grundsätzlich bei jeder Beatmung bestehen“, sagt Pfeifer. „Die Lunge dagegen erholt sich in der Regel so gut, dass die funktionelle Einschränkung nicht messbar ist.“
Umso wichtiger sei es für Ärzte, sagen übereinstimmend Intensivmediziner Janssens, Lungenarzt Pfeifer und Palliativmediziner Maier, den Willen des Patienten zu kennen. „Viele“, sagt Bernd Oliver Maier, „haben eine sehr klare Vorstellung auch davon, wie sie leben, aber auch, wie sie sterben wollen.“ Die Aussicht, nach überstandener Intensivtherapie mit schwersten lebenslänglichen Behinderungen weiterzuleben, lehnten viele ab.
Was aber, wenn Ärzte nicht wissen, was der Patient unter einem für ihn lebenswerten Leben versteht, weil er bei der Einlieferung ins Krankenhaus nicht mehr ansprechbar ist? Was, wenn die Ärzte nur noch die Angehörigen fragen können – und diese in ihrer Angst, einen geliebten Menschen zu verlieren, womöglich Druck machen, die Therapie trotzt minimaler Erfolgsaussicht fortzusetzen? „Es wird häufig unterstellt, Ärzte betrieben die Intensivtherapie aus kommerziellen Gründen, quasi ohne Indikation und ohne Rücksicht auf den Patienten“, sagt der Palliativmediziner Maier. „Das kann ich nicht bestätigen.“
Michael Pfeifer, Lungenspezialist und Präsident der Deutschen Gesellschaft für Pneumologie und Beatmungsmedizin
Auch die Annahme, es würden zu viele Covid-19-Patienten intensivmedizinisch behandelt, sei „so pauschal nicht korrekt“. Wenn ein Patient plötzlich unter schwerster Atemnot leide und sich zuvor nicht explizit, etwa per Patientenverfügung, gegen eine Beatmung ausgesprochen habe, wäre es unethisch, so Maier, ihm nicht durch künstliche Sauerstoffzufuhr zu helfen. „In einer solchen Akutsituation“, sagt Maier, „kann man oft noch gar nicht differenzieren, wer von der Therapie profitieren wird und wer nicht.“ Dies stelle sich oft erst im Verlauf der Intensivtherapie heraus. „Und dann ist es natürlich wichtig, immer wieder zu fragen, welches das Therapieziel ist, ob es erreicht werden kann oder ob es eine Therapiezieländerung geben muss.“ Auch das Eingeständnis, die Maschinen dann besser abzustellen, könne dazugehören.
Für die Erfolgsaussicht der Beatmung bei Covid-19 entscheidend sei, sagt Lungenspezialist Pfeifer, dass sie rechtzeitig beginne, also nicht zu früh, aber auch nicht zu spät; häufig gerieten bis dahin stabile Patienten zwischen Tag 8 und 12 der Erkrankung quasi aus heiterem Himmel binnen weniger Stunden in eine lebensbedrohliche Situation.
Rechtzeitiges Reagieren aber erfordere zugleich eine engmaschige Überwachung der Patienten – sowie hoch spezialisiertes Personal, das in der Lage sein muss, Röntgenuntersuchungen und Computertomografien durchzuführen, Blutgasanalysen korrekt zu interpretieren und ein strenges Monitoring der Vital- und Blutwerte zu garantieren. „Wir hatten in der Intensivfachpflege schon vorher Personalmangel“, sagt Uwe Janssens. „In der Coronakrise ist es nicht besser geworden.“ Die Zahl der Intensivbetten allein sagt also wenig aus über die tatsächliche Qualität der Behandlung. Dazu kommt, so der Lungenspezialist Pfeifer: „Je mehr Begleiterkrankungen ein Patient hat, desto größer ist sein Risiko, zu versterben.“
Zu diesen Erkrankungen gehören etwa, das hat das Robert-Koch-Institut ermittelt, Herzerkrankungen und Bluthochdruck, Asthma und chronische Bronchitis, Lebererkrankungen, Diabetes und Krebs. Auch Menschen mit geschwächtem Immunsystem, etwa aufgrund einer Transplantation oder durch Einnahme von Medikamenten, die das Immunsystem schwächen, zählen zur Risikogruppe.
Das Wissenschaftliche Institut der Krankenkasse AOK (WIdO) hat anhand der Abrechnungsdaten des Jahres 2018 zur ambulanten und stationären Versorgung von Versicherten sowie zur ambulanten Arzneimitteltherapie errechnet, „dass unter den 83 Millionen Einwohnern Deutschlands bei insgesamt 21,9 Millionen Personen mindestens eine der berücksichtigten Vorerkrankungen vorliegt, sodass sie ein erhöhtes Risiko für schwere Verläufe von Covid-19 haben“.
Jeder vierte Bundesbürger ist also statistisch gesehen gefährdet. Dabei zeige sich aber, so das WIdO, „ein deutlicher Anstieg mit zunehmendem Lebensalter“. Bei den über 80-Jährigen etwa liege der Patientenanteil mit Vorerkrankungen bei 80 Prozent. Entsprechend wenig überraschend teilt das RKI mit, dass 87 Prozent aller Covid-19-Todesfälle und 19 Prozent aller Fälle älter als 70 Jahre sind.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Israelische Drohnen in Gaza
Testlabor des Grauens
Rekrutierung im Krieg gegen Russland
Von der Straße weg
Umfrage zu Sicherheitsgefühl
Das Problem mit den Gefühlen
Gewalt an Frauen
Ein Femizid ist ein Femizid und bleibt ein Femizid
Berliner Sparliste
Erhöht doch die Einnahmen!
„Freiheit“ von Angela Merkel
Die Macht hatte ihren Preis