Norwegen sieht sich in „Stromkrise“: Oslo übernimmt Teil der Rechnung
Elektrische Energie kostet auch im Wasserkraftland Norwegen immer mehr. Das liegt an seiner engen Verbindung zur EU.

„Außergewöhnliche Situationen erfordern außergewöhnliche Maßnahmen“, sagte der Regierungschef. Und eine „Stromkrise“ sei „wirklich außergewöhnlich“. Bislang waren Stromkrisen in Norwegen unbekannt, das nahezu ausschließlich seinen eigenen preisgünstigen Wasserkraftstrom verbraucht und mit einem Kilowattstundenpreis von meist unterhalb der 2 Eurocent-Marke zu den Ländern mit den niedrigsten Preisen gehörte.
Am Freitag jedoch hatte das staatliche Statistikbüro aktuelle Zahlen veröffentlicht, die die Regierung offensichtlich alarmierten. Das Amt meldete, im November sei der Strompreis im Vergleich zum gleichen Monat 2020 um 123,5 Prozent gestiegen. Die Energiepreise trieben die Inflationsrate für die vergangenen zwölf Monate auf 5,1 Prozent, so hoch war sie seit der Finanzkrise 2008 nicht mehr.
Die Hilfen sollen für 4 Monate und für einen Haushaltsstromverbrauch von monatlich bis zu 5.000 Kilowattstunden gelten.
Ist die EU schuld?
Nun ist Norwegens Wasserkraftproduktion nicht plötzlich viel teurer geworden, auch wenn ein trockener Sommer sich in sparsamer gefüllten Stauseen bemerkbar macht. Hinter dem Preisruck stecken die Strommärkte. Oder wie Trygve Slagsvold Vedum, Vorsitzender der Zentrumspartei, die zusammen mit Gahr Støres Sozialdemokraten das Land regiert, meint: „Die EU und die Stromkabel sind schuld.“
Tatsächlich hat Norwegen die Überführungskapazitäten mit neuen Unterwasserkabeln vor allem nach Deutschland und Großbritannien zuletzt kräftig ausgebaut. In der politischen Debatte war das von Anfang an umstritten. Die Elektrizitätswirtschaft mit der staatlichen Netzgesellschaft Statkraft an der Spitze war dafür. Das eröffne einen lukrativen Exportmarkt für überflüssigen Strom versprach Statkraft-Chef Christian Rynning-Tønnesen schon vor zehn Jahren: Gebe es in Norddeutschland einen Windkraftüberfluss, könne Norwegen den billig importieren, die eigene Wasserkraft sparen und die dann für gutes Geld nach Deutschland exportieren, wenn dort Bedarf bestehe.
Profitabler Export
Der Haken: Das Land öffnete sich zugleich dem EU-Strommarkt und dem dortigen Preisniveau. „Die Bevölkerung wurde hinters Licht geführt“, kommentiert die linke Tageszeitung Klassekampen nun. Und Ketil Solvik-Olsen, Vizechef der rechtspopulistischen Fortschrittspartei, klagt: „Die Deutschen heizen ihr Land mit Windkraft und vertrauen darauf, dass wir sie vorm Frieren bewahren, wenn es mal nicht bläst.“
Immerhin: Die norwegische Staatskasse profitiert. Norwegen hat noch nie so viel Geld mit dem Export von Erdgas und Elektrizität verdient wie in den vergangenen Monaten. Da sind die neuen Strompreishilfe, die auf umgerechnet eine halbe Milliarde Euro geschätzt werden, eher Peanuts.
Eine Koalition, die was bewegt: taz.de und ihre Leser:innen
Unsere Community ermöglicht den freien Zugang für alle. Dies unterscheidet uns von anderen Nachrichtenseiten. Wir begreifen Journalismus nicht nur als Produkt, sondern auch als öffentliches Gut. Unsere Artikel sollen möglichst vielen Menschen zugutekommen. Mit unserer Berichterstattung versuchen wir das zu tun, was wir können: guten, engagierten Journalismus. Alle Schwerpunkte, Berichte und Hintergründe stellen wir dabei frei zur Verfügung, ohne Paywall. Gerade jetzt müssen Einordnungen und Informationen allen zugänglich sein. Was uns noch unterscheidet: Unsere Leser:innen. Sie müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 50.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Es wäre ein schönes Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Leak zu Zwei-Klassen-Struktur beim BSW
Sahras Knechte
Klimaneutral bis 2045?
Grünes Wachstum ist wie Abnehmenwollen durch mehr Essen
Friedensforscherin
„Wir können nicht so tun, als lebten wir in Frieden“
Nach Hitlergruß von Trump-Berater Bannon
Rechtspopulist Bardella sagt Rede ab
CDU-Chef Friedrich Merz
Friedrich der Mittelgroße
Wahlentscheidung
Mit dem Wahl-O-Mat auf Weltrettung