EU-Minister streiten über Atomkraft: Gas-Zoff erreicht Klimapolitik
Die EU-Energieminister einigen sich nicht auf Maßnahmen gegen teure Energie. Stattdessen streiten sie über die Rolle der Atomkraft für Klimapolitik.
Doch die Uneinigkeit bei der Energie strahlt auf die Klimapolitik aus. Mittlerweile ringen die EU-Länder nicht mehr nur um Maßnahmen gegen den Preisschock, sondern auch um die Rolle der Atomkraft und den „European Green Deal“.
Es habe eine „intensive Debatte“ über die Rolle der Atomkraft gegeben, sagte EU-Energiekommissarin Kadri Simson nach dem Krisentreffen in Luxemburg. Nukleare Energie werde von den meisten EU-Staaten „als eine kohlenstoffarme Energiequelle anerkannt, aber die Meinungen über die potenzielle Auswirkung auf die umweltpolitischen Ziele gehen auseinander“, so Simson.
Beim EU-Gipfel in der vergangenen Woche hatte sich erstmals eine Mehrheit dafür ausgesprochen, die Atomkraft als „grünen“ Energieträger zu werten und in einer sogenannten Taxonomie der förderungswürdigen Energien zu empfehlen. Nach dem Gipfel sprach sich dann auch noch Kommissionschefin Ursula von der Leyen für Kernkraft und Gas als „sichere Brückentechnologien“ aus.
Atomkraft als Strategie gegen den Klimawandel
Damit ging sie auf Frankreich zu, das den Ausbau der Atomkraft als Teil der europäischen Strategie gegen den Klimawandel betrachtet. Deutschland, Österreich und einige andere EU-Länder lehnen diese Einschätzung ab, verweisen auf Risiken und Nebenwirkungen der Kernenergie und blockieren die seit Wochen überfällige offizielle EU-Empfehlung.
Deutschland und acht weitere EU-Länder stehen auch bei der Reform des Energiemarktes auf der Bremse. Für eine solche Reform macht sich vor allem Spanien stark. Hintergrund ist der gestiegene Preis für Gas, das Spanien vorwiegend auf dem volatilen Spotmarkt einkauft. Es könne nicht sein, dass ein hoher Gaspreis sofort auf den Strompreis durchschlägt, heißt es in Madrid. In Paris sieht man das ähnlich.
Demgegenüber warnt Deutschland vor übereilten Eingriffen in den Markt. „Transparente und wettbewerbsfähige Märkte“ seien der Garant für wettbewerbsfähige Preise für die Endverbraucher, heißt es in einem Positionspapier, das die scheidende Bundesregierung vor dem Ministertreffen in Luxemburg verteilt hatte.
Gegen Debatte über „Nord Stream 2“
Statt die Märkte zu regulieren, solle die EU den Ausbau erneuerbarer Energien fördern. „Ein beschleunigter Ausbau der erneuerbaren Energien und mehr Energieeffizienz werden die Importabhängigkeit der EU reduzieren und einen wertvollen Beitrag zur Dekarbonisierung leisten“, erklärte der deutsche Staatssekretär Andreas Feicht. Allerdings hinkt Deutschland bei den Erneuerbaren europaweit hinterher; zudem ist das größte EU-Land von Gasimporten aus Russland abhängig.
Eine Debatte über die Gaspipeline „Nord Stream 2“ konnte Berlin bisher abwehren, doch die EU-Kommission will untersuchen, ob der russische Gaskonzern Gazprom den Wettbewerb behindert. Die Sorge über Manipulation oder Spekulation im Gasmarkt sei verbreitet, sagte Energiekommissarin Simson. Gazprom weist jede Schuld von sich – und verweist auf den Spotmarkt in den Niederlanden, wo die Preise zuletzt explodiert sind.
Ein weiteres Streitthema ist der EU-Klimaplan „Fit for 55“ und die darin ab 2026 vorgesehene Ausweitung des Emissionshandels auf Verkehr und Gebäude. Die Ampelkoalition in Berlin hat sich bereits für dieses Vorhaben ausgesprochen. Entschiedener Widerstand kommt aber aus Ungarn, Polen und Tschechien.
Die Pläne aus Brüssel würden Energie noch teurer machen und „die europäische Mittelschicht umbringen“, warnte Ungarns Regierungschef Viktor Orbán beim EU-Gipfel. Wenn er Ernst macht, dann wird auch „Fit for 55“ zum Zankapfel – und damit die gesamte EU-Klimapolitik.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Krise bei Volkswagen
1.000 Befristete müssen gehen
Ex-Wirtschaftsweiser Peter Bofinger
„Das deutsche Geschäftsmodell funktioniert nicht mehr“
Künftige US-Regierung
Donald Trumps Gruselkabinett
Housing First-Bilanz in Bremen
Auch wer spuckt, darf wohnen
Preiserhöhung bei der Deutschen Bahn
Kein Sparpreis, dafür schlechter Service
Scholz stellt Vertrauensfrage
Traut mir nicht