„Nord Nord Mord“ liegt gut im Wind: Wer will schon nach Sylt?
Seit fast 15 Jahren sind TV-Ermittler auf der Lederslipper-Sanddüne Sylt unterwegs: Unaufgeregt und hemdsärmelig im Einsatz gegen Schampus-Trara.
Ganz ehrlich, wer will denn noch nach Sylt? Auch ohne die ekelhaft selbstverständliche Reiche-Nazis-Party unlängst. Aber selbst wenn es über 30 Jahre her ist, dass man zum ersten und letzten Mal dort war, und nichts, wirklich nichts auch nur annähernd verlockend wirkt an dieser zum Klischee geronnenen Insel: Als Szenerie für die ZDF-Krimi-Serie „Nord Nord Mord“ ist sie wirklich nicht übel. Vor allem, weil der ganze Blingbling-Klimbim hier immer nur am Rande auftaucht, wenn überhaupt.
Und das seit fast 15 Jahren. Das muss man auch erst mal schaffen. Die Ermittlungstruppe, bestehend aus Feldmann (Oliver Wnuk), Kollegin Ina Behrendsen (Julia Brendler) und Chef Sievers (Peter Heinrich Brix) ist derart unaufgeregt, geradezu hemdsärmelig lokalverbunden, dass es sehr leicht ist, das gängige Austern-Hummer-Schampus-Trara zu verdrängen.
Was für ein Glück, dass diese Serie (inklusive der ersten acht Folgen mit dem wirklich überflüssigen Robert Atzorn als Chef Clüver, sorry) in der Mediathek rumsteht. Und dass hier auf diesem Kolumnenplatz endlich mal Raum ist, jenseits von Programmaktualitäten mit zigtausend blinkenden Neonpfeilen darauf hinzuweisen.
Wir wissen’s doch alle: Es lässt sich bei all den internationalen Streaming-Knallern so leicht vergessen, dass es sie im deutschen TV-Serienkosmos wirklich noch gibt: diese raren Perlen, die so reich erzählt sind, mit dreidimensionalen Figuren, fantastisch gespielt obendrein, dass es vollkommen wumpe ist, wie oft man welche Staffel schon angeschaut hat. Oder welche Folge man wahllos antippt, um so heiter wie möglich durch nervige Sommergrippetage zu kommen oder sich beim Steuererklärungmachen bestens unterhalten zu fühlen.
Vielleicht bald eine Folge im Nazi-Setting
Eine kleine Fernsehkrimiwelt also, an der wirklich nix nervt, in der das Stammensemble sein darf, wie es ist, in immer neuen Facetten.
Wer also schon 17-mal „Mord mit Aussicht“ angeschaut hat, jene andere Perle, mit der jahrelang unschlagbaren ersten Besetzung (Caroline Peters, Petra Kleinert, Bjarne Mädel, Meike Droste, logo; nicht der nigelnagelneue Neuaufguss): „Nord Nord Mord“ ist eine Alternative.
Und ja, das ist eine pauschale Empfehlung, wie gesagt, es geht nicht um einzelne Folgen, sondern ums große Ganze. Um die freundschaftliche Dynamik zwischen Feldmann und Behrendsen, die beste TV-Ermittungsduo-WG neben Odenthal und Kopper, einst drüben beim Ludwigshafener „Tatort“. Um die grummelnd-wortarme Selbstreflexion von Chef Sievers.
Um die spürbare Priorität, selbst die Neben- und Episodenrollen wertschätzend zu besetzen, mit Victoria Trauttmansdorff, mit Heinz Erhardts Enkel Marek Erhardt, Henning Baum, Juliane Köhler. Und um die Fälle, die gerne die Alltäglichkeit von Existenziellem zeigen, zwischen Kitesurf-Truppen, Touris, Landwirtschaft und Hotelgewerbe. Zwischen windumtostem Strand, graugrünen Dünen und gischt-schäumendem Meer, zwischen Fähre und dem unvermeidlichen Autozug.
„Nord Nord Mord“
in der ZDF-Mediathek
Ehrlich, niemand muss selbst nach Sylt. Die Fernsehversion ist vermutlich an Charme eh nicht zu übertreffen. Dass Chef Sievers mit dem Rad zwischen Tatorten und Dienststelle hin und her zuckelt, die anderen mit einem olivfarbenen Lada Niva, ist sicher der entspannteste Gegenentwurf zum real gelebten Klischee. Und vielleicht gibt’s demnächst ja auch eine Folge im Nazi-Setting.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Erfolg gegen Eigenbedarfskündigungen
Gericht ebnet neue Wege für Mieter, sich zu wehren
Stockender Absatz von E-Autos
Woran liegt es?
Grünes Wahlprogramm 2025
Wirtschaft vor Klima
Tod des Fahrradaktivisten Natenom
Öffentliche Verhandlung vor Gericht entfällt
Energiewende in Deutschland
Erneuerbare erreichen Rekord-Anteil
Parteiprogramme für die Bundestagswahl
Die Groko ist noch nicht gesetzt