Nofretete und Sahra Wagenknecht: Wie einst Hercule Poirot

Florian Illies wähnt sich in der „Zeit“ auf Expedition in Ägypten und vergleicht Wagenknecht mit Nofretete. Wäre die Wilhelminische Ära nicht passender?

Sahra Wagenknecht und Nofretete

Wie aufregend: Florian Illies vergleicht Wagenknecht mit Nofretete Foto: imago, Fabrizio Bench/reuters

Man war nach den niederschmetternden Ergebnissen der Landtagswahlen in Sachsen und Thüringen gerade noch damit beschäftigt, sich zu sammeln, nach Trost zu suchen in Songs, in guter Literatur, in Gesprächen mit Freund:innen, da kam Mitte der Woche ein Text hereingeweht, der sich gleich wie ein Gardebajonett vor einem aufpflanzte: Florian Illies diktiert den Untertanen darin ein Statement zur Lage der Nation.

Semiironisch vergleicht der Herausgeber der Hamburger Wochenzeitung Die Zeit in „Die Kalkstein-Königin“ Sahra Wagenknecht mit Nofretete. Die ostdeutsche Königsmacherin und Galionsfigur des nach ihr benannten BSW ähnele der Büste der ägyptischen Pharao­nin (vermutlich 14. Jahrhundert vor Christus) schon äußerlich, hob er an.

Uff, das kam trotz aller eingebauten Distanzierungstextbausteine auch ein klitzekleines bisschen schmierig rüber as in „feuchte Hände“. Man musste sich beim Lesen sehr stark winden.

Die Gedanken sind zwar frei, und, klar, darf sich auch so ein Reichsverweser aus dem Feuilleton beim Anblick einer deutschen Politikerin im Frühherbst 2024 selbstverständlich mal auf einer Ägyptenexpedition von 1912 wähnen oder beim investigativen Umkreisen von Sarkophagen in Gizeh wie einst Hercule Poirot bei Agatha Christie.

Steinzeit-Amerikanismus und Talkshowpopulismus

Aber ganz unter uns: Muss so ein Gedankenspiel, das sich anfühlte wie ein privates Sondierungsgespräch, wirklich an die breite Öffentlichkeit? Wo doch die inhaltliche Aus­einandersetzung mit den immer gleichen Argumenten von Wagenknecht und ihren weitgehend unbekannten Par­tei­genoss:innen nach wie vor viel zu kurz kommt trotz Talkshowpopulismus auf allen Kanälen.

„Die Vermögenskonzentration in Deutschland ist heute so hoch wie vor Beginn des Ersten Weltkriegs, als in Berlin noch der Kaiser regierte.“ Steht schwarz auf weiß im BSW-Parteiprogramm. Während sich jetzt alle auf den Begriff „Vermögenskonzentration“ ­stürzen, denkt wahrscheinlich niemand nach über den wilhelminischen Teil in diesem Satz. Zu dieser Ära passt nämlich auch Sahra Wagenknecht mit ihrer hochgeschlossenen Gouvernantendiktion.

Als ahnte es Florian Illies, versucht er vorausschauend Brücken zu bauen zwischen der westdeutschen Lesebrillenfraktion und dem ostdeutsch geprägten BSW. Sie sei doch eine „intelligente Stoikerin“, kommt ihm beim Personenkult um Wagenknecht noch in den Sinn. Und also bildet er im Geiste schon mal eine große Koalition aus Zeit lesenden Studienräten und Putinistinnen mit Weimarer Bildungsideal.

Damit die Westbindung der alten BRD nicht ganz flöten geht, wird am Ende noch schnell ­Beyoncé aufgeführt, der US-Superstar, der sich auch schon mal neben der Nofretete-Büste in Berlin hat ablichten lassen. Was erlaube Illies? Der Steinzeit-Antiamerikanismus von ­Wagenknecht hat mit der upliftenden afroamerikanischen PR-Ägyptologie rein gar nichts am Hut.

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