Nobelpreis für feministische Ökonomie: Die Detektivin des Gender Pay Gaps
Claudia Goldin erhält den Wirtschaftsnobelpreis – als erst dritte Frau. Die US-Ökonomin hat erforscht, wieso Männer besser bezahlt werden.
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Die Ungerechtigkeit hat Struktur – weltweit, quer durch fast alle Kulturkreise und Branchen. Goldin ist nicht nur die erst dritte Frau unter bislang 90 Träger:innen der mit umgerechnet 920.000 Euro dotierten Auszeichnung. Das Komitee hob auch hervor, dass weltweit nur etwa 50 Prozent der Frauen auf dem Arbeitsmarkt vertreten sind, verglichen mit 80 Prozent der Männer. Zugleich verdienen Frauen weniger und erreichen seltener Spitzenjobs. Goldins Arbeit sei deshalb so wichtig, weil sie „die erste umfassende Darstellung des Verdienstes und der Arbeitsmarktbeteiligung von Frauen über die Jahrhunderte hinweg“ geleistet habe.
Goldin habe dafür „die Archive durchforstet“, erklärte die Jury weiter. „Sie hat etwas untersucht, was viele Menschen, zum Beispiel viele Historiker, vorher einfach nicht untersucht haben, weil sie nicht glaubten, dass diese Daten existieren“, sagte Randi Hjalmarsson, Mitglied des Nobelkomitees. Goldin sei „eine Detektivin“ des Gender Pay Gaps.
Die riesige Datenmenge, die sie zum Teil bereits in den 80er und 90er Jahren sammelte, belegt für die USA, was heute für viele Industriestaaten als Allgemeinwissen gilt: Zum einen, dass die Löhne der Frauen trotz zunehmender Wirtschaftskraft geringer gestiegen sind als die der Männer.
Einkommensunterschiede kaum verringert
Zum anderen, dass Frauen am Arbeitsmarkt schlechter dastehen und daher stärker von Arbeitslosigkeit betroffen sind. Eine wesentliche Ursache sieht Goldin darin, dass „die Wahlmöglichkeiten von Frauen häufig durch Ehe und die Verantwortung für Haushalt und Familie eingeschränkt waren und sind“. Trotz Modernisierung hätten sich vielerorts die Einkommensunterschiede zwischen Männern und Frauen kaum verringert.
Jutta Allmedinger, WZB- Präsidentin
Laut Goldin liege „ein Teil der Erklärung darin, dass Bildungsentscheidungen, die sich auf die Karrierechancen eines ganzen Lebens auswirken, in einem relativ jungen Alter getroffen werden“, erklärte die Jury. Und hob noch ein weiteres ihrer Werke hervor: Die 2002 erschienene Untersuchung „Die Macht der Pille“. In der Studie, die sie zusammen mit ihrem Mann Lawrence F. Katz schrieb, kam heraus, dass der Zugang zur Antibabypille eine „wichtige Rolle bei der Beschleunigung des Anstiegs des Bildungsniveaus“ im 20. Jahrhundert gespielt habe.
Wissenschaftler:innen weltweit begrüßten die Wahl Goldins. „Die Nobelpreisträgerin macht Mut im Kampf gegen den Abbau von Diskriminierung“, sagte der Bremer Ökonom Rudolf Hickel zur taz. „Ihre Forschungsergebnisse sollten endlich in die allgemeinen Lehrbücher und auch in das wirtschaftswissenschaftliche Studium aufgenommen werden“, forderte der Bremer Emeritus.
Lohnlücke in Deutschland bei 18 Prozent
„Ich freue mich sehr für Claudia“, schrieb die Präsidentin des Wissenschaftszentrums Berlin, Jutta Allmedinger, auf X, vormals Twitter. „Möge ihre Forschung unser Handeln leiten & uns die Motivation geben, dafür einzutreten“.
In kaum einem vergleichbaren Land sei die Lohnlücke zwischen Mann und Frau mit im Schnitt 18 Prozent so groß wie in Deutschland, sagte der Präsident des Deutschen Instituts für Wirtschaftsforschung, Marcel Fratzscher. Der Preis für Goldin „sollte ein Weckruf für Wirtschaft und Gesellschaft in Deutschland für mehr Chancengleichheit sein“. Mangelnde Betreuung in Kitas und Schulen oder die überfällige Reformen des Ehegattensplittings müssten angegangen werden.
Der „Wirtschaftsnobelpreis“ ist der einzige der Nobelpreise, der nicht auf das Testament von Dynamit-Erfinder und Preisstifter Alfred Nobel (1833-1896) zurückgeht. Er wird erst seit Ende der 1960er Jahre von der schwedischen Reichsbank gestiftet und zählt somit nicht zu den klassischen Nobelpreisen.
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