Nikotinbeutel Snus: Wie ein Pflaster – aber mit Style
Nikotinbeutel, die einmal abgelutscht spuckeversetzt unter Schulbänken kleben – geht es uncooler? Oder sind Sie vielleicht einfach zu alt für: Snus.
J edem ist es schon mal passiert. Dieser ekelhafte Moment, wenn man in der Schule in eine klebrige Masse unterm Tisch fasst, die im schlimmsten Fall frisch angebracht und noch feucht ist. Früher war die Diagnose klar: Kaugummi. Doch jetzt gibt es einen neuen Chef im Ring der Tischunterseiten: Snus.
Klingt nach Schlaf, macht aber wach. Snus, das sind Nikotinbeutel, die Nikotinsalze enthalten und in verschiedenen Geschmacksrichtungen verkauft werden. Nicht in Deutschland aber, denn hier sind sie bisher verboten.
Besonders beliebt sind die Beutel in Skandinavien, doch der Snus-Markt wächst weltweit. Das beweist: Nikotin wird zur Privatsache. Denn man platziert die Beutel von außen unsichtbar aufs Zahnfleisch, bis sie nach 30 Minuten aufgebraucht und ausgelutscht sind und man sie wegwerfen oder an diverse Oberflächen kleben kann. Wer sich so ein Teil schon mal unter die Lippen geschoben hat, weiß, wie stark sie sind. Zwar gibt es keine vom Rauch erzeugten Schmerzen in Hals oder Lunge – dafür aber eine volle Ladung Nikotin, die einen vor Schwindel fast aus den Socken kippen lässt. Bis die Gewöhnung einsetzt.
Snus ist effektiv, stark und diskret. Das ist neu. Denn beim Nikotinkonsum galt bislang immer das Gegenteil: Die allererste Zigarette – und wenn man ehrlich ist auch die nächsten paar – hielt man nur deswegen durch, weil man wusste, wie cool es später irgendwann aussehen würde, qualmend an einer Ecke zu stehen. Wie in einem französischen Film, irgendwie mysteriös, melancholisch, nonchalant und rebellisch zugleich. Nichts so vollkommen wie „der kleine Parthenon einer geöffneten Zigarettenschachtel“, wie Leonard Cohen in „The Cigarette Issue“ schrieb. Diesen Traum hat uns die Tabakindustrie verkauft.
Aus dem Maul zu ziehen
Vergleicht man das mit Snus, einem leicht ins Beige neigenden Miniaturteebeutel, kann man sich keinen James Dean, keine Audrey Hepburn, keinen Clint Eastwood snusend vorstellen. Ein Snus schiebt man sich unter die aufgeklappte Lippe ans Zahnfleisch, um den labbrigen Beutel dann später in aufgeweichter Form – vielleicht hängt noch ein Spuckefaden dran – aus dem Maul zu ziehen. Das hat Charme.
Aber vielleicht ist Coolness auch einfach neu definiert. Cool ist es nämlich, nicht zu rauchen. Das hat auch die Tabakindustrie verstanden. Zigaretten werden bei den Jüngeren immer unbeliebter, aber da diese potentiellen Käufer_innen nicht einfach verloren gehen dürfen, braucht es Alternativen. Zuerst gab es Vapes in spaßigen Geschmacksrichtungen. „Apple Peach“, „Banana Ice“, „Pink Lemonde“ und andere fruchtige Namen. Wie gesund diese Powerbanks mit Totenkopfsymbol drauf sind, ist allerdings fraglich.
Dagegen hat Snus doch einige Vorteile: weniger Lungenkrebsrisiko, keine stinkenden Finger, keine vergilbten Schnurrbärte, und so viel Nikotin wie drei bis sechs Zigaretten. Im Grunde ist Snus ein Nikotinpflaster mit Style: einem coolen Namen und bunter Verpackung. Dass der Trend Richtung Nichtrauchen geht, weiß „Big-Tobacco“: Philipp Morris kaufte Swedish Match – den Mutterkonzern der Snus-Marke „Zyn“ – 2022 für etwa 16,6 Milliarden US-Dollar.
Auch der rechtspopulistische Moderator Tucker Carlson berichtet in einem Podcast, wie geil er Snus findet: „Es war eine riesige Bereicherung für mein Leben. Ich kann es nur empfehlen.“ Seine Lieblingsgeschmacksrichtung ist übrigens Minze. Eigentlich sollte als Faustregel gelten: Bei allem, wofür Carlson wirbt, muss man vorsichtig sein. Doch wenn snusen bedeutet, dass man weniger raucht, warum nicht?
Und aber Zahnausfall
Das findet auch das Bundesamt für Risikobewertung und sagt, das Schaden bei aktiven Rauchern gemindert werden könne. Damit anfangen sollte man aber nicht. Wegen des hohen Nikotingehalts macht Snus extrem süchtig. Zwar kriegt man vielleicht keinen Lungenkrebs oder Krankheiten, die Vapes irgendwann hervorbringen werden, doch auch pures Nikotin ist nicht gerade gesund. Es erhöht den Blutdruck, beschleunigt die Herzfrequenz und verengt die Arterien. Die Beutel können außerdem schlecht fürs Zahnfleisch sein und sogar zu Zahnausfall führen.
Also, auch was man sich heimlich an die Schleimhäute schiebt, ist nicht ganz Privatsache. Die Risiken sollte man nicht ignorieren und gerade bei jungen Leuten wäre die beste Prävention, den Konsum zu regulieren. Im Zweifelsfall gilt, wie bei so gut wie allen Drogen, lieber aufklären und legalisieren. Unter den Tischen kleben die Beutel sowieso schon.
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