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Neuübersetzung von „Die Farbe Lila“Schreiben als Selbstermächtigung

Klassiker über Segregation in den USA: Alice Walkers Roman „Die Farbe Lila“ wird in seiner neuen Übersetzung dem lakonischen Ton der Vorlage gerecht.

Ein Barbecue, rassistisch getrennt entlang der Colorline im US-Südstaat Alabama, 1935 Foto: Everett Collection/picture alliance

Die uns lieben, lassen uns mit unserem Schmerz nie allein. Sie zeigen uns unsere Wunde, und zugleich eröffnen sie uns, dass sie das Heilmittel haben“, hat die afroamerikanische Schriftstellerin Alice Walker 2018 im Vorwort zu „Barracoon“ postuliert, der Feldforschung von Zora Neale Hurston über den letzten als Sklaven auf einem Schiff in die USA verschleppten Afrikaner, der in den späten 1920ern noch im Süden des Landes, im Bundesstaat Alabama, lebte.

Alice Walker stammt ebenfalls aus dem Süden, sie wuchs in Eatonton, Georgia, auf. Und sie ist diejenige, die das Werk der afroamerikanischen Schriftstellerin und Wissenschaftlerin Zora Neale Hurston wiederentdeckt hat. 1973, als junge, noch unbekannte Autorin und Redakteurin des feministischen, von Gloria Steinem herausgegebenen Magazins MS in New York, publizierte sie ein Essay, das Hurston, die 1960 verstorben und dann in Vergessenheit geraten war, mit einem Schlag wieder bekannt gemacht hat. ­

Walker half, sie als gleichberechtigte weibliche Stimme der männlichen Künstler-Gemeinschaft Harlem Renaissance und als selbstbestimmte schwarze Autorin ins Gedächtnis zu rufen. Und sie sammelte Spenden, damit Hurston, die zuletzt als Krankenschwester arbeitete und in einem Armengrab beigesetzt worden war, einen Grabstein erhielt.

Pulitzerpreisträgerin 1983

Für „Die Farbe Lila“, 1982 im US-Original als ihr zweiter Roman veröffentlicht, wurde Alice Walker im Jahr darauf als eine der ersten afroamerikanische Autorinnen mit dem Pulitzer-Preis ausgezeichnet. In Deutschland wurde das Werk erst im Zuge seiner Verfilmung durch Steven Spielberg (mit Whoopi Goldberg in der Hauptrolle) 1986 übersetzt. Nun hat es Cornelia Holfelder-von der Tann als einen Arbeitsauftrag im Rahmen des Projekts „Neustart Kultur“ erneut ins Deutsche übertragen. Und sie hat das sehr sorgfältig getan. Den lakonischen Ton, den das Original vorgibt, hat sie in einer kunstvollen, aber nie zu aufdringlichen Umgangssprache gut getroffen.

Die Farbe Lila

Alice Walker: „Die Farbe Lila“. Aus dem amerikanischen Englisch von Cornelia Holfelder-von der Tann. Ecco Verlag, Hamburg 2021, 319 Seiten, 20 Euro

„Die Farbe Lila“ ist im Süden der USA angesiedelt. Seine Handlung zieht sich von 1900 bis 1940, durch eine Zeit also, in der Afro­ame­ri­ka­ne­r:In­nen in der US-Gesellschaft durch die Segregation auf perfideste Weise in allen Belangen des öffentlichen Lebens diskriminiert wurden und gleichzeitig in die forcierte Industrialisierung als Arbeitskräfte geworfen und im Ersten Weltkrieg an vorderster Front als Soldaten in Europa zum Einsatz kamen. Zu Hause wurde vor allem in den Städten der Ruf nach Teilhabe lauter, während die Segregation dort genau wie auf dem Land strikt gehandhabt wurde.

In der Folge kam es zu zahlreichen Krawallen, auch Lynchmorde waren bis weit in die 1930er Jahre an der Tagesordnung. Ehen zwischen Menschen unterschiedlicher Hautfarbe waren in den USA damals untersagt. Durch die höchstrichterliche Entscheidung „Plessy vs. Ferguson“ wurde 1896 der 14. Verfassungszusatz „Alle Bürger sind gleich“ der US-Konstitution de facto ausgehebelt und durch „separate but equal“ ersetzt. „Rassentrennung“ galt etwa auf Parkbänken, in Schwimmbädern und Kinos.

Separater Eingang

Auch Alice Walker, geboren 1944, musste in ihrer Kindheit noch in Kinos den „N* Heaven“ genannten separaten Balkon aufsuchen, dort lagen die den Schwarzen zugewiesenen Oberränge. Die Praxis der Segregation ist auch in „Die Farbe Lila“ in einer grotesken Situation präsent: Schwarze dürfen nicht neben Weißen auf dem Beifahrersitz im Auto fahren, sondern müssen hinten einsteigen. Celie, die Protagonistin, die eine Weile als Kindermädchen bei einer weißen Frau arbeitet, kann ihrer ahnungslosen „Herrin“ daher nicht verständlich machen, wie diese den Rückwärtsgang der Gangschaltung einlegt.

Weiße tauchen in „Die Farbe Lila“ nur in Nebenrollen auf. Bestimmend für die Handlung sind die dysfunktionalen Familienverhältnisse Celies, die in einer Kleinstadt im Süden der USA lebt. Nach dem Tod ihrer Mutter wird sie von ihrem Stiefvater im Teenageralter missbraucht und zweimal geschwängert, ehe sie von zu Hause rausgeworfen und mit einem anderen Mann verheiratet wird.

Panisch stellt sich Celie vor ihre jüngere Schwester Nettie, damit dieser ihr Schicksal erspart bleibt. Und sie versucht, Kontakt zu ihren Kindern zu halten, die ihr von der Fürsorge weggenommen werden. Aus Verzweiflung über ihre Machtlosigkeit beginnt sie zu schreiben.

Zusammenhänge erschreibend verstehen

Es ist dieser simple Griff, der der Handlung den Kick gibt und Celie als Figur im Verlauf der Story an sich selbst wachsen lässt: Sie gewinnt die Herrschaft über ihren Körper zurück. Sie schreibt, wie ihr der Schnabel gewachsen ist, und sie beginnt – schreibend – Zusammenhänge zu verstehen und sich selbst in der Gesellschaft zu verorten. Zunächst formuliert sie an Gott gerichtete kurze Briefe, später an Nettie, die es mithilfe ihrer Schwester schafft, aus dem wirtschaftlich prekären Leben auszubrechen, die Schule abzuschließen und mit einer Missionarsfamilie nach Afrika zu gehen.

Celie kann sich der häuslichen Gewaltspirale entziehen: Durch Shug, einer Bluessängerin und Geliebten ihres späteren Ehemanns Albert, wird sie in ihrem Selbstbewusstsein gestärkt. Aus Liebe zu dieser schillernden Künstlerin entwirft sie schließlich Klamotten für die Community. Eine Entwicklung gesteht Walker sogar Albert, dem Ehemann zu, der sich vom einfältigen Macho zu einem Menschen wandelt, der Frauen zuhören und ihre Meinung ernst nehmen kann.

„Die Farbe Lila“ ist ein feministischer Entwicklungsroman, der in den 1980er Jahren durch seine Darstellung von lesbischer Liebe und häuslicher Gewalt Kontroversen aufgeworfen hat. Seine Verfilmung durch Steven Spielberg hat die Rezeption der Romanvorlage in den Schatten gestellt, damals wurde oftmals auf die afroamerikanischen „Täter-Männer“ Bezug genommen.

Nur ist „Die Farbe Lila“ ein Buch über weiblichen Selbstschutz, die Erzählperspektive ist weiblich, die Hauptfiguren sind es auch. Als Walkers Roman erstveröffentlicht wurde, galt die Zielgruppe für Belletristik in den USA immer noch in der Hauptsache als weiß. Umso bedeutsamer war der Mainstream-Erfolg ihres Romans.

Der Literaturwissenschaftler James Snead hat Rassismus einmal als „normatives Herrschaftsrezept“ bezeichnet, „geschaffen von Sprechern, die sich rhetorischen Taktiken bedienen“. Alice Walker bringt andere Stimmen zum Sprechen. Ohne ihr Engagement wäre auch „Barracoon“ von Zora Neale Hurston nie veröffentlicht worden.

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