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Neuregelung der KrankenhäuserBundestag beschließt größte Gesundheitsreform seit 20 Jahren

Nach über zwei Jahren hat die Ampel das Gesetz zur Krankenhausreform verabschiedet. Opposition und einige Länder kritisieren das Vorgehen der Regierung.

Foto: Bernd von Jutrczenka/dpa

Es ist die größte Gesundheitsreform seit 20 Jahren: Am Donnerstag hat der Bundestag mit den Stimmen der Ampel-Fraktionen ein Gesetz zur Krankenhausreform beschlossen. Die Oppositions-Fraktionen stimmten dagegen. Einige Bundesländer haben angekündigt, im Bundesrat den Vermittlungsausschuss anzurufen.

Vor der Abstimmung warb Gesundheitsminister Karl Lauterbach (SPD) bei den Abgeordneten um ihre Stimme. „Wir brauchen diese Reform, und zwar jetzt“, sagte Lauterbach. Die derzeitige Versorgung sei teuer und dennoch nur mittelmäßig im europäischen Vergleich. „Wir haben ein Nebeneinander von Über-, Unter- und Fehlversorgung“, sagete er. Manche Kliniken seien nicht ausreichend spezialisiert, „kein Arzt würde sich dort selbst behandeln lassen“, so Lauterbrach. Gleichzeitig gebe es eine Überversorgung, insbesondere Knie- und Hüftoperationen würden häufig als „Cashcows“ betrachtet.

Durch die 50 Milliarden Euro schwere Reform soll das kriselnde Gesundheitssystem umstrukturiert, die Kliniken stärker spezialisiert und der ökonomische Druck verringert werden. Über die Notwendigkeit von Verbesserungen sind sich Ge­sund­heits­ex­per­t:in­nen weitgehend einig. Zur konkreten Umsetzung hatten jedoch Krankenversicherungen, die Krankenhausgesellschaft, Ärz­te­ver­tre­te­r:in­nen und die Bundesländer immer wieder vielstimmige Kritik geäußert.

Nicht das ob, aber das wie

Reichlich davon kam auch aus der Opposition. Für Unmut bei den Abgeordneten von CDU/CSU, AfD, Linke und BSW sowie den anwesenden Ver­tre­te­r:in­nen der Landesministerien sorgte insbesondere die fehlende Auswirkungsanalyse. Durch sie sollen künftig die Folgen für jedes Krankenhaus in Deutschland berechnet werden. Zum Zeitpunkt der Abstimmung lag sie Opposition und Ländern jedoch nicht vor. Tino Sorge, gesundheitspolitischer Sprecher der Unions-Fraktion, nannte das einen „Tiefpunkt und Missachtung des Parlaments“.

Wir haben ein Nebeneinander von Über-, Unter- und Fehlversorgung

Gesundheitsminister Lauterbach (SPD)

Sorge gestand zwar ein, dass es eine Reform brauche. Fügte aber hinzu: „Die Art und Weise, das Wie, das ist eine Farce.“ Es werde erwartet, dass das Parlament völlig im Blindflug entscheide. Die Union forderte eine Brückenfinanzierung, um Krankenhäuser kurzfristig zu stützen. Ein weiterer Kritikpunkt war mangelnde Kommunikation: Die Zustimmungspflicht der Länder im Bundesrat sei umgangen worden. Nordrhein-Westfalens Gesundheitsminister Karl-Josef Laumann (CDU) sprach gar von einem „Wortbruch“.

Die Ge­sund­heits­po­li­ti­ke­r:in­nen der SPD, Grünen und FDP wiesen die Kritik zurück und erhoben ihrerseits Vorwürfe. Einige Länder hätten wichtige Reformgrundlagen, wie das Krankenhaustransparenzgesetz, blockiert. Für die Krise machten sie auch die Vorgängerregierungen verantwortlich. Sie lobten die Reform, insbesondere die Ergänzungen im Bereich der Kinderversorgung und der Hebammen-geleiteten Kreissäle.

Spezialisierung und Entökonomisierung

Seit über zwei Jahren wird an dem Gesetz zur Krankenhausreform gearbeitet. Finanziert wird die Reform durch einen Transformationsfonds, je zur Hälfte getragen von den Bundesländern und den gesetzlichen Krankenversicherungen. Die Privaten sind aufgerufen, sich freiwillig zu beteiligen.

Ein zentraler Punkt ist die Abkehr von den 2004 eingeführten Fallpauschalen, also der Behandlung nach zuvor festgelegten Pauschalpreisen. Künftig sollen sich Krankenhäuser überwiegend durch eine Vorhaltevergütung finanzieren. Sie erhalten dann bereits Geld, wenn sie Kapazitäten für Behandlungen bereithalten.

Zugleich sollen sich die Krankenhäuser stärker spezialisieren. Dafür wurden 65 Leistungsgruppen mit klar definierten Qualitätskriterien eingeführt. Ab sofort können Kliniken nur Behandlungen in den ihnen zugewiesenen Leistungsgruppen durchführen. Wichtige Krankenhäuser für die Daseinsvorsorge im ländlichen Raum sollen mit zusätzlichen Mitteln unterstützt werden.

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3 Kommentare

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  • Die Kassenbeiträge steigen. Ärzte vergeben teilweise nur noch Termine, bieten aber, wenn es keinen Termin gibt, eigentliche Kassenleistungen gegen zusätzliches Entgelt an. Andere leisten gar keinen Beitrag zum System.



    Erfolgt jetzt mit der Spezialisierung eine weitere Verknappung des Angebotes für Kassenpatienten?

  • Die Reform hätte noch viel radikaler sein müssen, da soll der Staat lieber Taxifahrten für Angehörige zu den Spezialkliniken bezahlen.

  • Schnürt das Volk wieder Pakete für ewige Gutverdiener? Dieses Mal im Namen einer grundsätzlich selbstlos-heiligen und unantastbaren Lobby?