Neurechter Jubel über Thüringen: Das rechte Komplott
Vom Trubel in Thüringen profitiert bisher nur: die AfD. Mit ihnen jubelt die ganze neurechte Szene – und nimmt nach Ramelow neue Gegner ins Visier.
Und „Ein Prozent“ war nicht allein. Seit dem Trick der AfD – die Partei gab im dritten Wahlgang nicht mehr ihrem Kandidaten, sondern FDP-Mann Kemmerich alle Stimmen und verhalf ihm so zum Sieg – herrscht in der neurechten und rechtsextremen Szene Hochstimmung. Von einer „Sensation“ spricht der Identitäre Martin Sellner. Der neurechte Vordenker Götz Kubitschek preist seinen Vertrauten Björn Höcke, Thüringens AfD-Chef: „Das taktische Arsenal der AfD ist um eine feine Variante reicher.“ Und Philipp Stein, Kopf von „Ein Prozent“, jubelt über einen „Paradigmenwechsel“.
Der Jubel kommt nicht von ungefähr. Denn all diese neurechten Protagonisten sind eng mit der AfD verbandelt – und sehen sich als gemeinsames Netzwerk. Die AfD als parlamentarischer Arm, Kubitscheks Institut für Staatspolitik als Denkfabrik sowie „Ein Prozent“ und die Identitären als außerparlamentarische Kraft. Ihr Ziel: eine Kulturrevolution von rechts.
Mit dem Coup in Thüringen sieht man sich nun einen Schritt vorangekommen – auch wenn noch offen ist, wie viel der Sieg Kemmerichs ihnen am Ende tatsächlich nutzt, wenn es nun zu Neuwahlen kommt.
„Figur, die König Ramelow matt setzte, mehr nicht“
Kubitschek preist den Wahlakt jedenfalls als strategischen Schachzug. Kemmerich sei „die Figur, die König Ramelow matt setzte, mehr nicht, und er hat sich – so ist das bei Figuren – nicht selbst geführt“, schreibt er auf seinem Blog. Es sei Höckes AfD gewesen, die Mehrheiten gesucht und den „Gegner überrumpelt“ hätte. „So konstruktiv-destruktiv wie Höcke hat aus dieser Partei heraus noch keiner agiert“, so Kubitschek. „Von solchen Momenten erhofft man sich Wirkung.“
Nicht anders klingt Philipp Stein, der „Ein Prozent“-Chef. Die AfD-Fraktion habe das, „was im Vorfeld geplant wurde, in minutiöser Art umgesetzt“. Statt um eine Regierungsbeteiligung zu „betteln“, habe die AfD selbst gehandelt. Die Abwahl Ramelows habe „Symbolwirkung“. Dies zeige, wie man aus der Opposition gestalten könne.
Auch Stein, der mit seinem Netzwerk rechte Protestbewegungen wie Pegida pusht, ist kein Unbeteiligter. Noch am Abend der Thüringen-Wahl im Oktober posierte er mit Höcke in einem Video. „Ihr seid die, die uns den Rücken freihalten“, richtete der AfD-Mann seinen Dank an Stein. Stein selbst sprach seine Agenda auf einer Pegida-Kundgebung offen aus: Es gehe um einen „politischen Wandel im Land“. Bald gebe es hierzulande eine andere Stimmung. „Und darauf könnt ihr euch freuen.“
Gab es ein geplantes Komplott?
Der Jubel der Neurechten kommt daher erwartet. Wie viel langfristige Strategie hinter der Wahl Kemmerichs steckt, bleibt indes noch unklar. Thüringens AfD-Co-Chef Stefan Möller behauptet, seine Partei habe Kemmerich bewusst „aufs Podium“ gelockt und ihn dann „planmäßig gewählt“. Auch Alice Weidel, AfD-Fraktionschefin im Bundestag, spricht vom „Schmieden einer bürgerlichen Allianz“. Nach dem Wahlgang twitterte sie prompt: „An der AfD führt kein Weg mehr vorbei!“
Klar ist, dass Höcke bereits im November einen Brief an Kemmerich schrieb und eine Zusammenarbeit anbot. Denkbar wären eine „gemeinsam getragene Expertenregierung“ oder eine von der AfD gestützte Minderheitsregierung. Auch nachdem Kemmerich seinen Antritt als Ministerpräsidentenkandidat kundtat, kursierte im Landtag schnell, dass die AfD nicht ihren Kandidaten, den parteilosen Dorfbürgermeister Christoph Kindervater, wählen könnte, sondern den FDP-Mann. Als der tatsächlich gewählt war, brandete nur bei einer Fraktion Jubel auf: der AfD.
In der ersten Reihe neben Höcke saß da Torben Braga, Geschäftsführer der AfD-Fraktion, ein Burschenschaftler. Er ist es nun, den Stein als „Strategen“ hinter dem Wahltrick bezeichnet. Beide sind gut bekannt, waren Sprecher des Dachverbands „Deutsche Burschenschaft“, in der sich auch rechtsextreme Verbände tummeln.
Braga gibt sich am Donnerstag wortkarg. Auch er nennt den Wahlsieg Kemmerichs einen „Erfolg“ für die AfD. Warum ihn Stein als Stratege dahinter bezeichne, wisse er nicht, sagt Braga der taz. Dieser sei aber „ein kluger Mann“. Auch wie die AfD den Wahltag vorbereitete, will Braga nicht verraten. Nur so viel: „Es gab keine Absprachen mit anderen Parteien.“
Die Euphorie über den Raumgewinn der Neurechten dämpft Braga indes, womöglich vorgeblich. Was dieser Wahltag für den „vorparlamentarischen Raum“ bedeute, würden die nächsten Wochen zeigen. Es gehe ja bisher nur um eine Ministerpräsidentenwahl. „Was soll da folgen?“
Höcke will Geschichte geschrieben haben
Björn Höcke selbst beklagt am Donnerstag vorerst nur den Protest nach Kemmerichs Wahl: die „Belagerung“ des Landtags, eine Kanzlerin, die „wie zu Untanen redet“ und „brennende Autos“. Gemeint ist ein nächtlicher Brandanschlag auf zwei Autos von Burschenschaftlern in Jena.
Am Vortag aber frohlockte auch er, dass seine Partei die „taktische Karte gespielt“ und „ein kleines Stück Geschichte geschrieben“ habe. „Noch sind wir nicht stark genug, einen eigenen Ministerpräsidenten zu wählen.“ Aber man sei stark genug, „rote Ministerpräsidenten“ abzulösen. „Darauf können wir alle stolz sein.“
Klar ist: Innerparteilich sind Höcke und sein radikaler „Flügel“ nun nochmals gestärkt – und auch innerhalb der neurechten Bewegung. Man sei „stolz“ auf die Thüringer Parteifreunde, jubelte denn auch der „Flügel“. Diese hätten „Idealismus gepaart mit taktischem Geschick bewiesen“. Für die AfD ist dieser Machtgewinn indes auch nicht ohne Gefahr: Denn der Verfassungsschutz führt den „Flügel“ derzeit als extremistischen Verdachtsfall. Gewinnt dieser weiter an Einfluss, könnte das bald auch der Gesamtpartei drohen.
Noch aber beherrscht die Neurechten die Euphorie. Und dass Ramelow nun weg ist, reicht ihnen nicht. Philipp Stein machte sofort ein neues Ziel aus: Mit dem Ende von Rot-Rot-Grün sei es nun möglich, auch deren „Klüngelnetzwerke“ aufzulösen. Stein benannte sogleich einen Adressaten, gegen den sein Netzwerk seit Monaten schießt: den Rechtsextremismusexperten Matthias Quent und dessen Institut für Demokratie und Zivilgesellschaft. Mit dessen Förderung „kann und muss jetzt Schluss sein“.
„Die Neurechten wollen eine kulturelle Hegemonie“
Für Quent kommt das nicht überraschend. „Es geht den Neurechten um eine kulturelle Hegemonie. Sie wollen das Vertrauen in die Demokratie und Zivilgesellschaft zerstören.“ Nach ihrem „Geländegewinn“ würden sie nun diejenigen unter Druck setzen, die diese Strategie offenlegen. „Das trifft auch die Kirchen oder kritische Unternehmer.“ Umso wichtiger sei der Protest, der sich nun landesweit für die Demokratie erhebe, so Quent. „Das ist ein ganz wichtiges Zeichen.“
Dass es nun womöglich zu Neuwahlen kommt, beunruhigt die Neurechten noch nicht. AfD-Mann Braga sagt, man wäre dafür gewesen, dem neugewählten Ministerpräsidenten Kemmerich eine Chance zu geben. Und eine Neuwahl würde wohl nichts an den Mehrheitsverhältnissen ändern. Käme es aber doch dazu, verweist Braga auf die Umfragen: „Wir wären da nicht gerade die Verlierer.“
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