piwik no script img

Neun Stimmen zur AmtsübergabeWas kommt nach Trump?

Joe Biden ist offiziell im Amt als 46. US-Präsident. Was bedeutet das für Menschen in Deutschland? Die taz hat neun Personen angerufen.

Amerikanische Flaggen weisen den Weg zum Capitol am Tag der Amtseinführung von Joe Biden Foto: Alex Brandon/ap

Donald Trump ist erst mal Geschichte. Die USA haben seit Mittwoch eine neue Regierung. Und was bedeutet das für uns auf der anderen Seite des Atlantiks? Neun Anrufe in Deutschland.

„Das Irangeschäft wurde schwieriger“

Im Interview: Sebastian Kerber

54, der Name ist ein Pseudonym. Da wirtschaftliche Konsequenzen bei Geschäften mit Iran weiterhin nicht auszuschließen sind, tritt der Unternehmer nur anonymisiert auf.

taz: Herr Kerber, Sie leiten ein mittelständisches Unternehmen, das in Raffinerien Turbinen wartet und repariert. Überall auf der Welt, auch im Iran. Wie haben Sie die vier Jahre Donald Trump erlebt?

Sebastian Kerber: Als Trump im Mai 2018 das Atomabkommen aufgekündigt hat, wurde das Irangeschäft für uns immer schwieriger. Wir hatten zunächst noch drei Banken, mit denen wir das Irangeschäft abwickeln konnten. Zuerst hat uns die Volksbank das Irangeschäft eingestellt, dann eine weitere Bank und zum Schluss die Sparkasse. Alle drei, weil sie aus Angst vor US-Sanktionen kein Geld aus dem Iran mehr annehmen wollten.

Die EU hat ja an dem Atomabkommen festgehalten und auch ein Gesetz erlassen, das es Firmen verbot, sich an die US-Sanktionen zu halten.

Offiziell haben die Banken nicht zugegeben, dass sie sich wegen der US-Sanktionen zurückziehen. Sonst hätte man sie verklagen können. Sie haben argumentiert, der Verwaltungsaufwand sei zu groß, weil Exporte in den Iran vom Bundesamt für Ausfuhrkontrolle genehmigt werden müssen – diese Genehmigungen hätten sie als Bank alle noch mal nachvollziehen müssen, das sei zu viel Arbeit. Wir haben früher 25 Prozent unseres Umsatzes mit Iran gemacht, heute sind es noch etwa 7 ­Prozent.

Und die Bezahlung dafür kam hier nicht an?

Wir haben eine Bankverbindung in den Vereinigten Arabischen Emiraten. Da liegt das Geld aus dem Iran und wartet auf bessere Zeiten.

Die jetzt mit Joe Bidens Amtsantritt kommen?

Hoffentlich. Ich gehe davon aus, dass die neue US-Regierung dem Atomabkommen früher oder später wieder beitritt und dann der wirtschaftliche Druck nachlässt. Dass von der EU weiter streng kontrolliert wird, was in den Iran exportiert wird, ist verständlich und auch richtig. Wir wollen dort nichts hinliefern, was zu Folterzwecken oder für die Atom­industrie missbraucht werden kann. Aber es gibt ja auch noch ein normales Leben im Iran, und irgendwie müssen die Menschen ja ihren Lebensunterhalt verdienen.

Was machen Sie jetzt als Nächstes?

Ich will mal bei meiner alten Sparkasse anrufen und hören, wie es nun aussieht. Ich vermute, dass sie vorsichtig das Geschäft wieder ankurbeln werden. Aber klar ist auch: Ich würde nie mein ganzes Geschäft auf den Iran setzen. Die Regierung dort ist auch unberechenbar. Es kann sein, dass die EU sich wegen irgendwelcher Rechtsverletzungen irgendwann zu neuen Sanktionen genötigt sieht.Interview: Jan Pfaff

Dramatische Lichtinszenierung einen Tag vor der Amteinführung von Joe Biden und Kamela Harris Foto: J. David Ake/dpa

„Meine Gastfamilie dort kenne ich schon seit 2002“

privat
Im Interview: Ruth Künzel

33, war mit 14 Jahren zum ersten Mal in Tennessee und koordiniert heute für den Internationalen Club Hamm die Städtepartnerschaft mit Chattanooga.

taz: Frau Künzel, Sie koordinieren ehrenamtlich die Städtepartnerschaft von Hamm mit Chattanooga in Tennessee. Was machen Sie da so?

Ruth Künzel: Kernstück sind ein Schüleraustausch und eine Erwachsenenreise, die wir alle zwei Jahre im Wechsel durchführen. In der Regel fliegen wir in den Herbstferien mit 15 Leuten in die USA, verbringen ein paar Tage mit Gastfamilien in Chattanooga und reisen dann noch durchs Land. Die Partnerschaft ist ziemlich lebendig.

Tennessee ist eine Hochburg der Republikaner, richtig?

Ja, auch wenn Chattanoo­ga noch eine relativ liberale Stadt ist.

Wie sind Sie damit während der Trump-Jahre umgegangen?

Meine Gastfamilie dort kenne ich seit 2002. Mit denen kann ich sehr offen über politische Themen reden, sie sind aber auch selbst keine großen Trump-Fans. Bei vielen anderen weiß ich gar nicht, wie sie politisch einzuordnen sind. Wenn man in Deutschland jemanden kennenlernt, fragt man ja auch nicht sofort: Wen hast du bei der letzten Wahl gewählt?

Die Trump-Präsidentschaft hat Ihrer Städtepartnerschaft also nicht geschadet?

Nein, wir merken eher Corona, weil wir jetzt alles absagen müssen. Nach Trumps Wahl im Herbst 2017 gab es zwar vereinzelt welche, die gesagt haben: Nee, beim nächsten Mal fliege ich nicht mit. Aber letztendlich waren wir doch wieder eine regulär große Gruppe.

Städtepartnerschaften können also auch in politisch schwierigen Zeiten eine Konstante sein?

Ja, gerade weil diese Partnerschaft schon so lange besteht, viele bei jeder Reise dabei sind und feste Gastfamilien haben. Ohne meine persönlichen Kontakte in die USA hätte ich mir in den letzten vier Jahren vielleicht manchmal gedacht: Die sind ja alle völlig verrückt. Aber so weiß ich, dass es dort auch Menschen gibt, die anders denken. Sogar in Tennessee. Interview: Tobias Schulze

Teri McClain aus Seattle wartet in der Nähe des Capitols auf die Amtseinführung von Joe Biden Foto: John Minchilo/dpa

Im Interview: Sonja Pucher

45, arbeitet für das Unternehmen „The American Dream – US Visa Service“, das Kunden in Visumfragen berät

„Buy American, hire American, das hat uns am meisten bewegt“

taz: Guten Tag Frau Pucher, wie geht es Ihnen?

Sonja Pucher: Bewegt. Ich bin froh, wenn vielleicht etwas mehr Ruhe einkehrt in unser Business hier. Unter Donald Trump gab es ständig einwanderungsrechtliche Ad-hoc-Entscheidungen, die dann von den Gerichten revidiert und hinterher doch wieder neu implementiert wurden. Es war also eine stürmische Zeit – für uns, aber insbesondere auch für unsere Kunden.

Wer sind Ihre Kunden?

Wir arbeiten im Schwerpunkt für Unternehmen, die Mitarbeiter in die USA entsenden. Für viele Firmen war das Problem, dass sie gar nicht wussten, was als Nächstes kommt, was neu eingeführt und was wieder umgestoßen wird.

Haben Sie ein Beispiel?

Am prominentesten war der sogenannte Muslim Ban, den Biden direkt kippen will. Also Reisereglementierungen für Staatsangehörige bestimmter Staaten mit Schwerpunkt auf muslimischen Ländern. Das wurde mehrmals von Gerichten gekippt und dann neu eingeführt. Unsere Arbeit hat das aber noch nicht mal so rasend tangiert, weil wir viele klassisch deutsche Unternehmen als Kunden haben. Uns hat zum Beispiel viel stärker die Aussetzung bestimmter Arbeitsvisa letztes Jahr betroffen.

Was hat es damit auf sich?

Es gibt bestimmte Visa wie die H-1B-Visa oder die L-1-Visa, die zum Beispiel bei vielen Tech-Unternehmen beliebt sind. Die können seit der Pandemie nicht mehr beantragt werden oder nur noch erschwert. Das gilt auch für bestimmte Green Cards. Dabei geht es weniger um den Infektionsschutz als mehr um den Schutz des Arbeitsmarkts in den USA, womit wir wieder bei Donald Trumps Lieblingsthema wären: America First. Buy American. Hire American. Das hat uns in den Jahren am meisten bewegt.

Und unter Joe Biden wird es wieder besser?

Es wird für uns erst mal wieder eine turbulente Zeit, weil er sicherlich einige Dinge, die Trump implementiert hat, wieder zurücknehmen wird. Wir erhoffen uns aber zumindest mittelfristig, dass man wieder ein etwas verlässlicheres Einwanderungsrecht hat, wenn diese Anfangszeit erst mal vorbei ist. Interview: Tobias Schulze

„Es wird kleinere Handelsmandate geben“

Alessa_Hartmann_Foto_Power_Shift
Alessa Hartmann

40, ist Expertin für Handels- und Investitionspolitik bei der NGO PowerShift

taz: Frau Hartmann, Frei­han­dels­kri­ti­ke­r:in­nen wurden in den vergangenen Jahren in eine Ecke gestellt mit Donald Trump, weil der mit Strafzöllen in den Freihandel eingegriffen hat. Sind Sie froh, dass das aufhört?

Alessa Hartmann: In diese Ecke wollen wir uns auf keinen Fall stellen lassen. Ich persönlich habe mich davon auch nicht angesprochen gefühlt. Denn was wir wollen, hat nichts damit zu tun, was Donald Trump will.

Wo ist der Unterschied?

Wir sind gegen den Welthandel in der jetzigen Form und für einen fairen Welthandel, der Menschen- und Klimaschutz voranbringt. Dazu gehören nachvollziehbare Lieferketten und dass Unternehmen Verantwortung für ihr Tun übernehmen. Das will Donald Trump nicht.

Ändert sich mit dem Amtsantritt von Joe Biden Ihre politische Arbeit?

Es wird sehr interessant. Joe Biden stellt am Donnerstag seine Handelsstrategie vor, dann sehen wir weiter. Wenn von ihm positive Impulse kommen, freuen wir uns. Wir werden seine Politik mit unserem europaweiten Netzwerk aus NGOs und unseren US-amerikanischen Part­ne­r:in­nen kritisch-konstruktiv begleiten.

Der Abschluss des transatlantischen Handelspakts zwischen der EU und den USA ist spätestens mit der Wahl von Donald Trump gescheitert. Wird es mit Joe Biden eine Wiederauferstehung von TTIP geben?

Zumindest in den ersten zwei Jahren nicht. Die EU will die öffentlichen Beschaffungsmärkte in den USA öffnen, das will Joe Biden nicht. Die USA wollen den Agrarsektor in ein Abkommen einbeziehen, das will die EU nicht. Wir rechnen damit, dass es kleinere Handelsmandate und Nebenabsprachen geben wird. Das Problem: Das ist noch intransparenter als ein großes Handelsabkommen.

Ist die Wahl von Joe Biden ein Schritt in Richtung eines gerechteren Welthandels?

Das steht ziemlich weit unten auf der Prioritätenliste von Joe Biden, aber auch auf der der EU. Was ich mir vorstellen könnte: dass Joe Biden Handelsverträge als Hebel benutzt, um Klimaziele zu erreichen. Er könnte zum Beispiel Zölle auf Importe erwägen, für die viel CO2 produziert wurde. Das wird ja auch in der EU diskutiert. Aber die Frage ist, ob er damit durchkommt, denn es gibt in den USA viel Gegenwehr dagegen. Interview: Anja Krüger

„Die Hochschulen agieren autonom“

privat
Im Interview: Gabriele Knieps

59, leitet das Referat Stipendienprogramme Nordamerika beim Deutschen Akademischen Austauschdienst (DAAD)

taz: Frau Knieps, Sie betreuen das Stipendienprogramm Nordamerika beim DAAD. Wie hat Trump Ihre Arbeit verändert?

Gabriele Knieps: Das Interesse der US-Hochschulen an Kooperationen mit Deutschland war groß, vielleicht sogar größer als vor Trump. Die Hochschulen waren sich bewusst, wie wichtig internationale Kontakte sind, auch wenn sie nicht mehr durch die Regierung gefördert wurden. Man muss bedenken, dass die Hochschulen in den USA sehr autonom agieren können, weil sie selbst über die Zulassung ihrer Studierenden und die Höhe der Studiengebühren entscheiden.

Wie gerne sah die Trump-Regierung den transatlantischen Wissenschaftsaustausch?

Unter Trump war die Willkommenskultur generell sehr stark beeinträchtigt. Es gab Versuche der US-Regierung, die akademische Mobilität durch eine restriktivere Visumvergabe zu reglementieren. Gleichzeitig sind die internationalen Studierenden ein großer Wirtschaftsfaktor. Die USA würden sich selbst schaden, wenn sie weniger ausländische Studierende ins Land ließen.

Wie interessiert waren deutsche Studierende und Wis­sen­schaft­le­r*in­nen zuletzt an den USA?

In den letzten Jahren gab es eine kontinuierliche Abnahme deutscher Bewerber für die USA. Dies lag sicherlich nicht nur an der Trump-Regierung, sondern insbesondere an den sehr hohen Kosten eines Studiums in den USA. Jedoch hat sich dieser Trend Ende 2020 komplett aufgelöst. Wir haben sowohl von US-Amerikanern als auch von Deutschen deutlich mehr Bewerbungen erhalten.

Was wird unter Biden anders?

Ich denke, es wird eine andere Willkommenskultur geben, die auch Einfluss auf Visumfragen hat. Außerdem plant der designierte Bildungsminister, öffentliche Bildungseinrichtungen zu stärken und mehr Bildungschancen für alle Teile der Gesellschaft zu schaffen.Interview: Franziska Schindler

„2019 ist hier eine F16 abgestürzt“

privat
Im Interview: Agnes Tillmann-Steinbuß

67, ist Kreisvorsitzende des Bundes für Umwelt und Naturschutz Deutschland im Kreis Bitburg-Prüm.

taz: Frau Tillmann-Steinbuß, Sie wohnen in der Nähe der US Air Base Spangdahlem und sind damit nicht ganz glücklich. Richtig?

Agnes Tillmann-Steinbuß: Richtig. Die Umweltgefahren der Air Base werden völlig unterschätzt. Grundwasser und Oberflächenwasser sind in der ganzen Region mit Schadstoffen kontaminiert, und das kann nur von der Base oberhalb unseres Wohnhauses kommen. 2019 ist hier eine F16 abgestürzt – in einem Waldgebiet, naturbelassen, wichtig für die Trinkwasserversorgung der ganzen Region. Offiziell wurde hinterher nichts gefunden, aber bei den BUND-Untersuchungen haben wir zum Beispiel unzulässige PFAS-Kontaminationen nachgewiesen.

Donald Trump wollte US-Truppen aus Deutschland abziehen. Die Flugzeuge aus Spangdahlem wollte er nach Italien verlegen. Für die Umwelt wäre es wohl gut gewesen, für die Wirtschaft in der Region aber eher ein Schlag.

Viele Leute hier meinen, die US Air Base brächte große wirtschaftliche Vorteile. Aber das ist sowieso schon rückläufig. Die Amerikaner ziehen sich aus Sicherheitsgründen schon länger zurück. Sie nutzen die Gastronomie und die Geschäfte hier nicht mehr so intensiv wie früher. Mehrere Bekannte haben jetzt ihre Immobilien verkaufen müssen, weil sie sie nicht mehr an die Amerikaner vermietet bekommen.

Unter Joe Biden wird aus dem Truppenabzug wohl nichts. Trauern Sie Donald Trump schon hinterher?

Nein! Für mich wäre die Welt untergegangen, wenn Trump die Wahl gewonnen hätte! Wie er bis zum Schluss noch seine Anhänger mobilisiert hat: fürchterlich! Natürlich sagen Kinder und Narren auch mal die Wahrheit, und was den Abzug angeht, lag er ausnahmsweise richtig. Aber das war auch schon alles. Ich bin heilfroh, dass er weg ist. Interview: Tobias Schulze

„Die Hausaufgaben nachholen“

privat
Im Interview: Rixa Schwarz

ist Teamleiterin für Internationale Klimapolitik bei der NGO Germanwatch.

taz: Frau Schwarz, Joe Biden will zurück ins Pariser Weltklimaabkommen. Was bedeutet das für die internationalen Klimaverhandlungen?

Rixa Schwarz: Erst mal ist es ein schönes Signal, dass Biden den Schritt gleich für seinen ersten Tag angekündigt hat, weil die Weltmacht USA immer noch ein Orientierungspunkt für viele Länder ist.

Auch noch nach vier Jahren aktiver Antiklimapolitik von Donald Trump?

Die USA müssen sich erst wieder in eine Position bringen, in der man sie beim Klima als führende Kraft wahrnehmen kann. Entscheidend dafür ist es, dass die USA ihre Hausaufgaben nachholen. Das heißt: Sie müssen einen nationalen Klimaaktionsplan für 2030 abliefern. Außerdem warten wir auf eine Langfriststrategie. Beides wäre bis Ende des Jahres fällig gewesen.

Das heißt, das Paris-Abkommen wird insgesamt wirksamer?

Genau, denn es geht um einen großen Emittenten, der in das Abkommen zurückkehrt. Die USA sind aber auch bei einem weiteren Punkt sehr wichtig – und zwar bei der internationalen Klimaschutzfinanzierung.

Alle Industriestaaten sind zur Zahlung von Klimahilfen an arme Länder verpflichtet, Trump hat die US-Zahlungen aber einstellen lassen.

Wenn wir wieder mit Beiträgen von den USA rechnen können, ist das hilfreich. Die Entwicklungsländer brauchen diese Gelder für ihren eigenen Klimaschutz und für die Anpassung an die Folgen des Klimawandels. In internationalen Klimaverhandlungen selbst hatte sich die US-Delegation während des Austritts etwas zurückgehalten, aber in einigen Bereichen, was etwa Regeln für internationale Transparenz beim Klimaschutz angeht, sogar durchaus eine konstruktive Rolle gespielt. Interview: Susanne Schwarz

„Die USA haben gefehlt“

B. Dietl
Im Interview: Juliane Rosin

40, ist Referentin für internationale Gleichstellungspolitik beim Deutschen Frauenrat.

taz: Frau Rosin, was bedeutet der Regierungswechsel für Ihre Arbeit?

Juliane Rosin: Für mich ist extrem wichtig, dass der Sexist Trump von der politischen Bildfläche verschwindet. Für den Deutschen Frauenrat bin ich bei den Vereinten Nationen oder in den Frauendialogen der G20 unterwegs. In den letzten vier Jahren haben dort die USA als Partner für progressive Ziele gefehlt. Die Trump-Administration hat alles blockiert, was mit sexuellen und reproduktiven Rechten zu tun hat. Sie haben die Zahlungen für UN-Programme eingestellt, die Frauen weltweit Zugang zu Verhütungsmitteln ermöglichen wollen. Das ist verheerend.

Spüren wir das auch in Europa?

Durch das Verhalten der USA in den vergangenen vier Jahren sind auch in Europa mehr Staaten aus einer progressiven Politik ausgeschert. Dass Island, Nicaragua oder Ruanda in Sachen Gleichstellung vorn liegen, interessiert niemanden – was die USA machen, schon. Polen will zum Beispiel die Istanbul Konvention aufkündigen, das Übereinkommen gegen Gewalt gegen Frauen. Wenn die Kleinen sehen, der Große macht es auch nicht besser, hat das enorme Fliehkräfte.

Was heißt Biden für die Gleichstellungspolitik in Deutschland?

Deutschland stellt sich gern als Land dar, in dem Gleichstellung längst erreicht ist. Das ist einfach, wenn der Vergleichsmaßstab ein Typ ist, der Gerichtsverfahren am Hals hat, weil er Frauen sexuell belästigt. Dass hierzulande PopulistInnen lauter werden, denen Frauenrechte ein Graus sind, hängt auch damit zusammen. Ich hoffe, dass die Wahl von Biden den Stellenwert von Gleichstellungspolitik auch hierzulande pusht. Interview: Patricia Hecht

„Die Familien haben Fragen“

DSV
Im Interview: Michael Eckstein

63, arbeitet seit dem Jahr 2000 zum Thema Schüleraustausche und ist Vorstandsvorsitzender der Deutschen Stiftung Völkerverständigung

taz: Herr Eckstein, Sie organisieren Informationsmessen für Schüleraustausch. Was hat sich während der Präsidentschaft von Donald Trump bei den Austauschprogrammen in die USA getan?

Michael Eckstein: Rein formal hat sich nichts geändert, auch die Einreisbestimmungen sind gleich geblieben. Denn parteiübergreifend – und das gilt wohl auch für Herrn Trump – besteht in den USA ein Konsens darüber, dass die Bildungsaufenthalte von Austauschschülern auch im Interesse des Landes sind. Aber die Nachfrage ist rückläufig, und das hat eindeutig mit Trump und seinen Äußerungen zu tun.

Was heißt das in Zahlen?

Die USA sind noch immer auf Platz 1 der beliebtesten Länder. Aber während sich vor 15 bis 20 Jahren 80 bis 90 Prozent der Schüler auf den Weg dorthin machten, sind es jetzt gerade noch ein Drittel. Dennoch ist der Rückgang nicht so stark, wie man hätte vermuten können, denn man muss bedenken: Die USA sind ein großes Land, und wenn Sie irgendwo im mittleren Westen leben, ist Washington weit weg.

Was hat sich ganz konkret an Ihrer Arbeit während der Trump-Jahre verändert?

Durch den Regierungswechsel in den USA haben die Familien viel mehr Fragen. Sie wollen ganz genau wissen, wie so ein Auslandsschuljahr abläuft und worauf sie sich einstellen müssen.

Welche Veränderungen für den Schüleraustausch in die USA erwarten Sie durch den Regierungswechsel, gesetzt den Fall, dass die Pandemie etwas abklingt?

Corona hatte auf den Schüleraustausch noch massivere Auswirkungen als die Frage, wer in Washington gerade Präsident ist, aber eines ist klar: Die Erwartung besteht, dass Biden die Abkapselung vom Rest der Welt zurücknimmt und sowohl auf die Amerikaner als auch die transatlantischen Partnerländer offener zugeht. Wenn das eintritt, wird das Interesse der Schüler und auch der Eltern Richtung USA wieder wachsen. Interview: Franziska Schindler

taz lesen kann jede:r

Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen

Mehr zum Thema

1 Kommentar

 / 
  • Kann eigentlich nur besser werden.



    Bzgl. Iran wäre es im Interesse der dortigen Menschen wünschenswert, dass die Sanktionen wenigstens so weit aufgehoben werden, dass die Bevölkerung mit vernünftigem Impfstoff versorgt werden kann.