Neues Charles-Bukowski-Buch: Vor jeder Lesung gekotzt
Bislang unveröffentlichte Texte des „Dirty Old Man“ der US-Literatur: Über den Band „Ein Dollar für Carl Larsen“ von Charles Bukowski.
Allem Gerede vom einsamen Wolf zum Trotz hatte Charles Bukowski literarische Verbündete. Dazu zählten etwa die Schriftsteller Steve Richmond, Al Purdy, William Wantling und nicht zuletzt Douglas Blazek, der Bukowski und anderen mit seiner auflageschwachen, aber einflussreichen Undergroundzeitschrift Ole' eine Plattform bot.
Bukowski unterstützte seine Leute mit lobenden Kritiken und Vorworten, er betrachtete sich als Teil einer „Poetischen Revolution“ gegen die etablierte Dichtung, die nun endlich „die Muse auf die Tellerwäscher, Tankwarte, Bauern, Betrüger, Traubenpflücker, Landstreicher und Fabrikarbeiter losgelassen“ hätte.
Bukowski propagierte dabei eine unakademische und unelitäre Literatur, eine Literatur von unten, die in den bürgerlichen Publikationen damals kaum eine Rolle spielte. Er und seine Mitstreiter mussten sich schon selbst helfen und eigene Zeitschriften gründen.
Dabei profitierten sie von den technischen Neuerungen auf dem Druckmarkt. Mit Matritzen-Kopierern ließen sich relativ preisgünstig und schnell Hefte von ein paar hundert Exemplaren herstellen. Sie sahen oft schäbig aus, billig, improvisiert, aber sie erfüllten ihren Zweck, indem sie die gewünschte Gegenöffentlichkeit herstellten.
Charles Bukowski: „Ein Dollar für Carl Larsen. Über Schriftsteller und das Schreiben“, aus dem amerikanischen Englisch von Esther Ghionda-Breger. Maro Verlag, Augsburg 2019. 327 Seiten, 24 Euro
Als „Mimeo Revolution“, benannt nach der Vervielfältigungsmethode der Mimeografie, ist diese Bewegung in die US-Literaturgeschichte eingegangen. Dank der nun erschienenen Textsammlung „Ein Dollar für Carl Larsen“ kann man Bukowskis Bezug zu jener literarischen Off-Kultur bestens nachvollziehen.
Im Würgegriff des Zeitgeists
Denn dieser Szene fühlte er sich zugehörig, obwohl sie ihm bisweilen unglaublich auf den Geist ging, weil sich seiner Meinung nach so viele Nichtskönner darin tummelten. Die Herausgeber reagierten zu langsam oder überhaupt nicht, schickten abgelehnte Texte trotz frankiertem Rückumschlag nicht zurück und verloren schnell ihren oppositionellen Drive.
Sie „legen oft einen guten Start hin“, konstatiert er in seiner polemischen Bestandsaufnahme „Die Minipresse in Amerika“, „aber meistens dauert es nicht lange, bis sie nicht mehr das sind, was sie mal waren, weil sie sich der Meinung anderer Herausgeber, Kritiker, Leser, Schreiber, Drucker, Straßenbahnschaffner, Freundinnen, Universitätsbibliothekaren, Eunuchen, Wahrsager, Abonnenten, Punks, Dilettanten, Clowns, Ahnenforscher und all dem Dampf und Gestank und dem Würgegriff des Zeitgeists beugen müssen, der ihnen vorschreibt, was sie zu tun haben. Und irgendwann ist dann aus so einer Literaturzeitschrift ein Vorzimmer für Teetrinker geworden.“
Dennoch hat er den Zeitschriften-Underground weiterhin beliefert, auch als er bereits gegen Honorar in Tittenheften, Illustrierten und Tageszeitungen wie der L.A. Free Press publizierte.
Der Band „Ein Dollar für Carl Larsen“ enthält bislang größtenteils unübersetzte Stories, Reportagen, Vorworte, Rezensionen und Interviews aus den Jahren 1961 bis 1974, der mittleren Werkphase also, in der aus Bukowski langsam ein professioneller Schriftsteller wurde. Das Buch dokumentiert sehr schön, wie er an der Konsolidierung und Selbstverständigung der Szene strategisch mitwirkte und sich trotzdem seine Unabhängigkeit und schriftstellerische Integrität zu bewahren suchte.
Gelegentliche Kompromisse nicht ausgeschlossen: So gab er nach der Demission bei der Post 1969 seine „splendid isolation“ auf und nahm schweren Herzens Lesungsangebote an. Die Tantiemen und Magazinhonorare sprudelten noch nicht so reich wie in der zweiten Hälfte der 70er Jahre – er musste Geld verdienen. Universitäten holten sich zudem gern einen bunten Hund wie ihn auf den Campus und zahlten ordentlich.
Antrag abgelehnt
In einer bislang wenig bekannten „Dirty Old Man“-Kolumne erzählt er von einem zweitägigen Lese-Trip, der ihm angeblich üppige 375 Dollar einbrachte (laut Inflationskalkulator mehr als 2.000 Dollar heute). „Ruckzuck verdientes Geld und hundert Prozent Vaudeville“, schreibt er. Der Text zeigt auch, wie schwer ihm solche öffentlichen Auftritte fielen: Er kotzte vor jeder Lesung.
In einem der abgedruckten Interviews gibt er zu, dass er überhaupt erst „vier oder fünf“ Abende erlebt hat, die er als gelungen bezeichnen würde. Dabei war er doch ein ziemlich guter Entertainer, es gelang ihm, die Figur des dreckigen alten Mannes auf der Bühne mit Leben zu füllen, weil er die Sache ernst nahm. „Ich habe schon viele dieser Dichter erlebt: sie haben nur das Geld kassiert, sich hingestellt und den Heiligen gemimt. Wenn man sich schon prostituiert, dann sollte man auch eine gute Prostituierte abgeben.“
In den hier versammelten Texten zeigt sich einmal mehr Bukowskis Souveränität als Autor. Er verstellte sich nie, redete keinem nach dem Mund. Sogar im Bewerbungsschreiben für ein Guggenheim-Stipendium lieferte er keine Antragslyrik, sondern die übliche unverfrorene – von Esther Ghionda-Breger zupackend übersetzte – Klartextprosa. Er wurde natürlich abgelehnt.
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