Neues Album von Karen Peris: Wie sagt sie’s den Kindern
Die US-Sängerin Karen Peris klingt nach einem Menschen, der mit aufrichtigem Erstaunen durch die Welt geht. Nun erscheint ein neues Album von ihr.
Karen Peris träumt davon, einmal auf einer Giraffe zu reiten. Während sie mit ihr erst zum Frühstück in den Park reitet und später raus aufs Land, würde die US-Künstlerin auf dem Rücken des Tiers sitzend die kühle Luft genießen. Das ungleiche Paar würde über unbedeutende Dinge reden und sich gemeinsam am Anblick des friedlichen Himmels erfreuen.
Was Karen Peris im Song „For A Giraffe“ singt, ist einerseits Kinderfantasie, andererseits aber auch der poetischen Idee einer Erwachsenen geschuldet: „In der Schönheit der Tiere liegt ein großes Geheimnis“, sagt Peris der taz. „Wir erkennen ihre Anmut und vielleicht auch die Freundlichkeit eines Tiers wie der Giraffe, wüssten aber gern mehr über sie. Wirklich näher kommen können wir ihnen nicht. Dafür sind wir zu unterschiedlich.“
The Innocence Mission heißt die Band, die die Künstlerin mit dem blassen, schmalen Gesicht und den langen dunklen Haaren seit den 1980ern mit ihrem Ehemann Don und dem Bassisten Mike Bitts betreibt.
Wer einmal Peris’ Stimme gehört hat, versteht sofort die Genialität des Bandnamens: Hoch, sanft, leicht gebrochen – mit dieser Stimme rückt Karen Peris auch mit Mitte 50 noch alles, wovon sie singt, ein Stück weit in die Perspektive eines unschuldigen Kinds. Auf ihrem Soloalbum „A Song Is Way Above The Lawn“ geht sie nun noch etwas weiter in diese Richtung.
Karen Peris: „A Song Is Way Above The Lawn“ (Bella Union/Pias)
Sich selbst auf Klavier und Gitarre begleitend, beschwört sie eine naive, darum aber nicht weniger eindrückliche Bilderwelt, die sie auch in die Geschichte ihrer eigenen Familie zurückführt: „Meine Songs sind keine richtigen Kinderlieder. Aber ich glaube, wenn ein Kind sich meine Musik anhört, wird es in ihr etwas entdecken, an das es anknüpfen kann. Für mich beziehen sich die Themen der Songs auch auf die Zeit, als ich meinen Kindern noch vorgelesen und Bilderbücher mit ihnen angeschaut habe. Als wir uns noch gemeinsam Fantasiewelten ausgemalt haben.“
Berührend aufrichtig
Unterstützt wird sie dabei wiederum von ihrem Ehemann Don Peris an Bass und Schlagzeug, aber auch ihre gemeinsamen Kinder Anna und Drew wirken, inzwischen erwachsen, an Viola und Geige mit.
Einige der Stücke auf „A Song Is Way Above The Lawn“ klingen wie eine Vertonung der Bilderbücher, die sich Peris mit ihren Kindern angeschaut haben mag: Im Liebeslied „Superhero“, das sich vielleicht auch eher an ein Kind richtet als an einen Geliebten, lässt sie ein Flugzeug über die Stadt fliegen. Es zieht ein Banner hinter sich her mit den Worten: „You make me happy“. Immer wieder treten Tiere auf, wir hören von Menschen, die lächeln oder die singend in Booten durch den Regen fahren.
Der Kitschverdacht liegt nicht fern. Trotzdem klingt diese Musik vor allem berührend aufrichtig und nur ganz selten zu süßlich. Das liegt an der sparsamen Instrumentierung, die sich nur in den Momenten mit den beiden Streichern zu strahlender Größe aufschwingt. Und natürlich an Peris’ Gesang, der, um einmal den Kindervergleich beiseite zu lassen, nach einem Menschen klingt, der mit aufrichtigem Erstaunen und Anteilnahme durch die Welt geht.
Verwunderung und Einsamkeit
„Ich glaube“, sagt Peris, „es geht in all den Liedern auf diesem Album um ein Gefühl von Verwunderung. Und immer, wenn wir etwas wie Verwunderung empfinden, fehlen uns die Worte, um unsere Erfahrung zu beschreiben. Insofern ist diese Erfahrung notwendigerweise mit einem Gefühl der Einsamkeit verbunden.“ Vielleicht kommt daher auch die tiefe Melancholie, die Peris’ Musik durchzieht, die aber auch etwas sehr Tröstendes hat.
Es ist auch Musik der Achtsamkeit: Die braucht es, um in diesen Zustand des Staunens zu kommen angesichts der zahllosen kleinen Wunder auf der Welt. Und die werden bei Peris keineswegs nur auf niedliche Bilder heruntergebrochen.
In „This Is A Song In Wintertime“ etwa beschreibt die Musikerin, wie sie mit ihrer Familie in einer Schlange vor einem Kino steht, als der erste Schnee fällt. In wenigen Worten und Tönen fängt Peris die Stimmung ein, wie die Anspannung aus den Gesichtern der Menschen weicht, wie sie beginnen, miteinander über das Wetter zu sprechen und dabei wissen: Wir werden gleich einen Film sehen, aber erinnern werden wir uns später vielleicht eher an den Moment, als der erste Schnee fiel.
In aller Früh aufstehen
Oder das Titelstück „A Song Is Way Above The Lawn“, in dem Peris davon erzählt, wie es sich anfühlte, wenn sie als Kind mit ihren Eltern in aller Frühe aufstand, um in den Urlaub zu fahren – die Perspektive eines Kindes, festgehalten vom erwachsenen Ich.
Man muss Karen Peris spezielle Stimme, die diesen Geschichten und Bildern so viel Eindrücklichkeit verleiht, allerdings mögen, um ihrem Zauber zu erliegen. Ist solch eine Stimme nicht auch manchmal eine Bürde? „Ich mag andere Stimmen viel lieber als meine eigene“, erklärt die Musikerin. „Ich wünsche mir oft, ich würde wie jemand anders klingen. Zum Beispiel wie Tracyanne Campbell, Sängerin der schottischen Band Camera Obscura. Aber ich bin so dankbar, dass ich meine Stimme habe, als Mittel, mich mit ihr durch Gesang auszudrücken. Beim Sprechen bin ich nicht sehr gut, oft fallen mit die richtigen Worte nicht ein, die ich brauche. Singen und Musizieren sind für mich eine Möglichkeit zu kommunizieren und Gemeinschaft mit anderen Menschen zu erfahren.“
Karen Peris’ Musik ist im besten Sinne intim, das beginnt schon mit ihrer Entstehung im engsten Familienkreis. Sie ist aber auch intim in dem Sinne, dass sie für Karen Peris ein Mittel ist, ihre Verwunderung über die Welt mit anderen zu teilen, sich durch die Songkunst überhaupt die Welt zu erschließen, der sie möglicherweise auch oft ratlos und überfordert gegenüber steht – und die es so schafft, auch ihre Hörer*innen manches in dieser Welt wie zum ersten Mal sehen zu lassen.
Zu ihren Lieblingsalben zählt Karen Peris neben dem Folkalbum der deutschen Künstlerin Sybille Baier, „Color Green“, und Nick Drakes „Pink Moon“ auch Vince Guaraldis Jazzalbum „A Charlie Brown Christmas“. Wie dieses erschafft auch „A Song Is Way Above The Lawn“ eine musikalische Welt, die so einfach und tief zugleich ist, dass sie Kindern offen steht und zugleich auch Erwachsene fesselt – eine Musik, in der Alter vielleicht einfach keine Rolle spielt.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Nan Goldin in Neuer Nationalgalerie
Claudia Roth entsetzt über Proteste
Warnung vor „bestimmten Quartieren“
Eine alarmistische Debatte in Berlin
Internationaler Strafgerichtshof
Ein Haftbefehl und seine Folgen
Krieg in der Ukraine
Geschenk mit Eskalation
Krieg in der Ukraine
Kein Frieden mit Putin
Haftbefehl gegen Netanjahu
Begründeter Verdacht für Kriegsverbrechen