Neuer Vorsitzender der Jungen Union: Kein Polterer wie sein Vorgänger
Johannes Winkel aus NRW ist der neue Vorsitzende der Jungen Union. Er gibt sich sachlich, den Parteinachwuchs will er zu „Vordenkern“ machen.
Der Nachwuchs von CDU und CSU tagt an diesem Wochenende im hessischen Fulda, hier wird in solchen Krügen Apfelwein serviert. „Wir kommen beide aus Südwestfalen, da trinken wir normalerweise Pils“, sagt Winkel. Und dass er nicht wisse, ob man aus dem Krug auch Bier trinken darf.
Das soll vermutlich witzig klingen, wirkt aber unbeholfen. Doch davon sollte man sich nicht täuschen lassen. Johannes Winkel, 31, Jurist aus Kreuztal bei Siegen, ist der neue Vorsitzende der Jungen Union, gewählt mit knapp 87 Prozent. In der JU erzählen manche, Winkel habe seinen Weg dahin nicht nur strategisch geplant – er habe auch ziemlich klare Vorstellungen.
Es mangelt an Frauen und jungen Leuten
Es ist schon nach neun, als Winkel am Freitagabend zwecks Bewerbung ans Redepult tritt, die ersten Biere sind geleert, Tilman Kuban, der alte JU-Chef, mit 35 zu alt für eine erneute Amtszeit, ist mit viel Tamtam und ein paar Tränen verabschiedet, im Saal ist der Lärmpegel angestiegen. Will Winkel die Delegierten für sich gewinnen, das sagt die Erfahrung, dann muss er jetzt zulangen.
Doch schnell ist klar: Das macht er nicht. Winkel, der keinen Gegenkandidaten hat, setzt sich eher ruhig in Szene, nüchtern und sachlich, ganz anders als als sein Vorgänger. Kuban gilt als Polterer, und auch wenn ihm dieses Image nicht ganz gerecht wird, kann man Winkels Bewerbungsrede auch als Abgrenzung verstehen und als Ansage: Jetzt kommt ein anderer Stil.
Winkel sagt: „Lasst uns in den großen Fragen unserer Generation Vordenker sein.“ Er setzt also vor allem auf Inhalte. Das ist neu. Und dürfte ein interessantes Experiment werden. Denn offen ist, ob der Union-Nachwuchs das überhaupt leisten kann. Und ob es bei der Basis Anklang findet. Denn JU, das ist neben Kopf eben auch viel Bauch, manche sagen auch: Politik und viel Party.
Winkel übernimmt die JU in einer schwierigen Zeit. Die Nachwuchstruppe, die sich gern als größter politischer Jugendverband bezeichnet, schrumpft. Es mangelt, trotz Bemühungen unter Kuban, an Frauen, an Mitgliedern aus Familien mit Migrationsgeschichte, an Auszubildenden und jungen Leuten, die weder Jura noch BWL studieren.
Die Bundestagswahl vor einem Jahr war auch aus Sicht der Parteijugend ein Debakel: Nur zehn Prozent der 18- bis 24-Jährigen haben für die Union gestimmt. Was aus der JU zu sehen und zu hören war, habe „eher abschreckend“ gewirkt, hieß es gar bei einer Wahlanalyse in der CDU-Zentrale. „Jetzt beginnt eine neue Zeit“, sagt Winkel. Und dass auch die JU ihren Platz in der Opposition finden müsse.
Der neue JU-Chef, ein schlanker Kerl mit Dreitagebart, trägt Sneaker und Jeans, dazu Hemd mit dunkelblauem Pulli. So könnte er auch zu den Jusos gehen. Er ist in einem katholischen, aber keinem CDU-Elternhaus aufgewachsen, der Vater arbeitet in einem Softwareunternehmen, die Mutter ist Krankenschwester. Winkel war Messdiener und bei der Kolping-Jugend aktiv. Mit 19 trat er in die JU ein, gründete den Stadtverband in Kreuztal mit und stieg von dort auf, 2020 wurde er zum Landesvorsitzenden in Nordrhein-Westfalen gewählt. Winkel hat Jura studiert, derzeit promoviert er.
Atomkraft als Lösung für den Klimawandel
Vielleicht liegt es an Elternhaus und Kolpingjugend, dass Winkel die Skepsis der CDU gegenüber dem Mindestlohn nicht teilt, hinter Merz' Kritik am Bürgergeld aber steht er. Insgesamt ist nicht leicht herauszufinden, wo der neue JU-Chef innerhalb der CDU zu verorten ist.
Billige Polemik gegen Gendern und Kiffen jedenfalls hat er in seiner Rede ausgelassen, Merz aber in allen drei Anläufen zum Parteivorsitz unterstützt. Wichtig ist ihm, dass JU und auch die Union insgesamt eigene Positionen entwickeln und dazu stehen, auch wenn die Demoskopie etwas anderes empfiehlt.
Zum Klimawandel fällt Winkel Technologieentwicklung und vor allem Atomkraft als Lösung ein. In der JU ist das nicht unumstritten. Die Union, sagt Winkel, solle die erste Partei sein, die Deutschland zu einem klimaneutralen Industrieland mache. „Lasst uns mit aller Kraft für den Erhalt der Industrie, Produktion und Innovation in Deutschland kämpfen.“ Da brandet im Saal auch mal Jubel auf.
Der JU-Chef fordert aber auch „mehr Migration in den Arbeitsmarkt“ und „ein echtes Familiensplitting“, was in seiner Position keine Selbstverständlichkeit ist, auch gibt er der ehemaligen Bundeskanzlerin mal einen mit. „Man legt die Energieversorgung nicht in die Hände eines Mannes, der sein Leben dem sowjetischen Geheimdienst gewidmet hat“, sagt Winkel etwa. Den Namen Angela Merkel braucht er da gar nicht zu erwähnen.
Auf Merz, Merkels Nachnachnachfolger beim CDU-Vorsitz, wird Winkel jetzt häufiger treffen. Dessen Hoffnung, dass vom Parteinachwuchs mehr inhaltliche Impulse kommen, könnte sich nun erfüllen. Möglicherweise droht mit Winkel, der von der Union mehr „Überzeugungstaten“ fordert, aber auch der eine oder andere Streit.
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