Die CDU in der Opposition: „Wir sind staatstragend“

Nach 16 Jahren an der Regierung muss die CDU sich in der Opposition zurechtfinden. Auch bei Jens Spahn hat „das Umparken im Kopf“ gedauert.

Jens Spahn

Große Politik macht er nun mit „Kleinen Anfragen“: Jens Spahn Anfang November in Berlin Foto: Stefan Boness/Ipon

wochentaz: Herr Spahn, seit einem Jahr ist die CDU in der Opposition. Wussten Sie noch, wie man Kleine Anfragen schreibt?

Jens Spahn: Ja. Ich habe von 2002 bis 2005 eine ganze Reihe davon geschrieben. Und dabei gelernt, dass dies die schärfste Waffe der Opposition ist. Jetzt haben wir bereits verwertbare Erkenntnisse gewonnen, etwa wie viel CO2 eingespart werden könnte, wenn Kernkraftwerke länger liefen. Ich weiß aber auch, dass man mit Anfragen ein Ministerium lahmlegen kann. Das machen wir nicht.

Als Gesundheitsminister standen Sie in der Pandemie im Zentrum des öffentlichen Interesses, jetzt sind Sie einer von zwölf Vizes von Fraktionschef Friedrich Merz. Wie verarbeitet man einen so großen Macht- und Aufmerksamkeitsverlust?

Ich habe erst mal vier Wochen lang keine Nachrichten mehr gelesen und ein Corona-Detox gemacht. Es kam ja nicht mehr darauf an, ob ich die Inzidenz kenne. Das Umparken im Kopf hat etwas länger gedauert.

Haben Sie an einen Ausstieg aus der Politik gedacht?

Ich habe mich geprüft, ob ich mit Anfang 40 weiter Politik machen will, ich bin ja schon 20 Jahre im Deutschen Bundestag und war sieben Jahre in der Regierung. Ich habe gemerkt: Ich brenne noch. Ich will mithelfen, dass wir wieder regieren.

Jens Spahn, 42, ist gelernter Bankkaufmann und studierter Politikwissenschaftler. Seit 2002 ist er Mitglied des Bundestages. Von 2015 bis 2018 war er Staatssekretär im Finanzministerium und danach bis 2021 Bundesgesundheitsminister.

Sie galten lange als Hoffnung von Junger Union, Konservativen und Wirtschaftsliberalen in der Union. Als es zum Schwur kam, waren die meisten für Merz. Wie haben Sie das weggesteckt?

Ich bin lange genug dabei, um zu wissen: Dankbarkeit ist in der Politik keine Kategorie. Das klingt ein bisschen abgebrühter, als ich es meine. Aber ich hadere damit nicht und halte es mit Johann Strauß’ „Fledermaus“: „Glücklich ist, wer vergisst, was nicht mehr zu ändern ist.“

Wollen Sie noch Kanzler werden?

Ich wache, anders als gelegentlich vermutet wird, nicht morgens auf und denke: Wie werde ich jetzt Kanzler?

Und später am Tag?

Auch dann nicht. Ich habe 2018 für den Vorsitz der CDU kandidiert. Dafür muss man sich das Amt zumindest zutrauen. Seitdem ist viel passiert. Ich möchte, dass die Union wieder regiert.

Alexander Dobrindt sagt mantraartig „Opposition ist Opportunity“. Liegt darin eine Chance?

Es gibt auch den Satz: Opposition ist Mist. Die Wahrheit liegt irgendwo dazwischen. Wir haben jetzt die Möglichkeit, zu tun, was wir nach drei Jahren offener Führungsfrage und Selbstbeschäftigung als Partei versäumt haben. Also Programmarbeit und Kampagnenfähigkeit entwickeln, klären, wie wir digitaler werden und die Union in der Fläche präsent bleibt.

Wie schlägt sich die Union in der Opposition?

Da muss man schauen, wo wir herkommen. Es gab eine bittere, völlig unnötige Niederlage.

Unnötig, weil selbstverschuldet?

In weiten Teilen ja. 2021 war die Stimmung ja nicht, dass es nach 16 Jahren reicht. Die Leute wollten aber zumindest einen guten Grund, um uns zu wählen. Den haben wir nicht geliefert. Es gab eine Zerrissenheit zwischen Mitgliedschaft, Wählerschaft und Führung. Und den Vorwurf: Ihr habt den falschen Kandidaten aufgestellt. Deshalb war es ein Erfolg, dass die Mitglieder der Union mit großer Mehrheit Friedrich Merz gewählt haben. Das hat viel geheilt.

Und wie schlägt sich nun die Union in der Opposition?

Wir sind in der Krise beides: staatstragend, aber nicht regierungstragend. Das ist mitunter kein einfacher Spagat.

Die Union unterstützt das Sondervermögen Bundeswehr, dann attackiert Merz ukrainische Flüchtlinge als Sozialtouristen und die CSU redet von einer Klima-RAF. Wo ist das Konzept?

Die Ampel setzt ja fast alles um, was wir fordern, Wegfall der Gasumlage, einen Gaspreisdeckel bei 12 Cent und längere Laufzeiten für Kernenergie etwa. Aber sie macht es zu spät und halbherzig. Da muss Kritik im Bundestag sein, auch in einer pointierten Sprache. Das gehört zur Demokratie.

Teile der Union arbeiten sich zunehmend am Gendern und an Identitätspolitik ab. Ist das wichtig – oder Nebensache?

Ich kann mich nicht eine Stunde lang mit Winnetou beschäftigen. Aber die Debatte offenbart tiefere Probleme. Laut Allensbach hat die Hälfte der Deutschen das Gefühl, sie könnten nicht mehr sagen, was sie politisch denken. Wenn aus Sicht so vieler Bürger der Diskursraum eingeschränkt wird, ist das für eine plurale, offene Demokratie fatal. Die Union muss der schweigenden Mehrheit wieder öfter eine Stimme geben.

So argumentiert die AfD auch. Wie grenzen Sie sich ab?

Wir denken das nicht von der AfD her. Die Aufteilung der Gesellschaft in Opfergruppen widerspricht unserem christlichen Menschenbild und der Idee der Eigenverantwortlichkeit. Wie linke und rechte Parteien nur den Blick auf einzelne Gruppen lenken und das mit Opferrhetorik verbinden, lehnen wir ab. Ich habe mich mit der Frage, was ein reaktionärer Islam für eine freie Gesellschaft bedeutet, schon befasst, als Alexander Gauland sich null für den Islam interessiert hat.

Damals war Gauland noch in der CDU.

Wir lassen uns den Diskursraum nicht von der AfD verengen. Aber wir müssen zwischen Ressentiment und Problembeschreibung unterscheiden, auch sprachlich. Das ist unser Job. Es macht einen Unterschied, ob man von konservativ-reaktionärem Islam oder von dem Islam und den Muslimen redet. Wir können das Problem ungesteuerter Migration nicht der AfD oder der Linken überlassen. Dann ist die Mitte sprachlos.

Die Gesellschaft steht – durch Ukrainekrieg und Energiekrise – unter Hochspannung. Muss die Union nicht vorsichtiger auftreten?

Eher muss die Regierung vorsichtiger auftreten. Wenn der SPD-Vorsitzende denen, die wie wir beim Bürgergeld anderer Meinung sind, Fake News und Trumpismus vorwirft, vergiftet er das Klima. Und das sehr bewusst.

Wir fragen jetzt aber nicht Lars Klingbeil nach seiner Verantwortung, sondern Sie.

Die Ampel hat monatelang bei Gas- und Strompreis Entscheidungen verzögert und Millionen Familien und Betriebe verunsichert. Das hat mehr Radikalisierung und Vertrauensverlust in unsere Demokratie erzeugt, als jedes Wort der Union es je könnte.

Die Union hat beim Bürgergeld behauptet, dass, wer nicht arbeitet, mehr Geld bekommt als jemand mit Mindestlohn. Und falsche Zahlen verwendet.

Standen in der taz noch nie falsche Zahlen? Das ist ja nicht bewusst falsch gerechnet worden. Die CSU hat Zahlen eines angesehenen Wirtschaftsforschungsinstitutes zitiert.

Wäre da nicht eine Entschuldigung angesagt?

Es geht um die Frage, ob sich Arbeiten lohnt oder nicht. Diese Debatte müssen wir führen. Die Zahlen waren nicht korrekt, das Problem bleibt: Reicht es, dass, wer regelmäßig um 6 Uhr aufsteht, nur 200, 300 Euro im Monat mehr hat als jemand, der nicht arbeitet? Unser gemeinsamer Wohlstand wächst nicht, wenn wir nicht oder weniger arbeiten. Deshalb müssen wir fragen: Sind die Anreize richtig gesetzt?

Diese Frage geht auch an die Union. Sie waren skeptisch, was die Einführung des allgemeinen Mindestlohns anging, bei der Anhebung auf 12 Euro haben Sie damals nicht zugestimmt.

Wir haben uns im Bundestag enthalten.

Wie passt das zu Ihrer Erzählung „Leistung muss sich lohnen“?

Wir sind skeptisch bei staatlichen Lohnfestsetzungen und den Effekten auf den Arbeitsmarkt. Als der allgemeine Mindestlohn mit unseren Stimmen eingeführt wurde, wuchs die Wirtschaft noch Jahr für Jahr. Jetzt in der Rezession kommt das Lohngefüge massiv unter Druck.

Dieser Text stammt aus der wochentaz. Unserer Wochenzeitung von links! In der wochentaz geht es jede Woche um die Welt, wie sie ist – und wie sie sein könnte. Eine linke Wochenzeitung mit Stimme, Haltung und dem besonderen taz-Blick auf die Welt. Jeden Samstag neu am Kiosk und natürlich im Abo.

Die SPD hat die Bundestagswahl auch mit 12 Euro Mindestlohn gewonnen. Die Union dagegen wirkt sozial kalt. Wo ist Ihre soziale Idee?

Unsere Idee ist: Sozial ist, was Arbeit schafft. Das ist aktuell, angesichts einer Rezession, einer möglichen Deindustrialisierung unseres Landes und des drohenden Verlusts von Jobs. Das wäre weniger Wohlstand für alle. Verlieren wir Arbeitsplätze zum Beispiel in der Chemieindustrie mit einem Durchschnittseinkommen von 60- bis 70.000 Euro, dann können wir die Renten- und Krankenversicherung kaum weiter finanzieren. Diese Jobs finanzieren die sozialen Sicherungssysteme. Es gibt das Grundvertrauen, dass, wenn die Union regiert, Arbeitsplätze entstehen und der Wohlstand für alle wächst.

Dieses Vertrauen ist zerbrochen. Peter Altmaier begriff als Wirtschaftsminister nicht, dass Wirtschafts- und Klimapolitik eins sind, er würgte den Ausbau der Erneuerbaren ab.

Ich teile den Befund nicht. Wir sind beim Ausbau der Erneuerbaren unter den Industrieländern führend.

Nicht wegen der CDU.

Wir haben zu oft den Eindruck erweckt, dass wir der Förderung der Erneuerbaren nur mit schlechter Laune zustimmen, das stimmt. Das war ein Fehler.

Und warum soll man jetzt der Union zutrauen, Klima und Wirtschaft zu verzahnen?

Weil wir Realisten sind und sehen, was geht und was nicht. Wir müssen nach dieser Krise bei der Energie Versorgungssicherheit, Bezahlbarkeit, Klimaneutralität neu justieren. Wir können die Energiewende nicht einfach so weitermachen wie geplant.

Der Ausbau der Erneuerbaren muss also schneller gehen?

Ja, aber das reicht nicht, solange wir sie nicht ausreichend speichern können. Mehr als 70 Gigawatt Stromleistung müssen durchgehend verfügbar sein. Dafür waren mehr Gaskraftwerke als Brücke gedacht. Aber wer in dieser Lage baut Gaskraftwerke? Wir müssen also die Frage neu beantworten, wie wir sowohl die Grund- als auch die Spitzenlast sichern.

Und wie?

Unter diesen Umständen sehe ich nicht, wie die Ampel 2030 aus Kohle aussteigen und gleichzeitig die Versorgungssicherheit gewährleisten will. Das bereitet mir Sorgen. Deutschland braucht ein neues Energiekonzept.

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