Neuer Militärrabbiner über Bundeswehr: „Antisemitismus isolieren“

Zsolt Balla wird am Montagnachmittag zum ersten Militärrabbi der Bundeswehr. Mit der taz sprach er über Militarismus, Pazifismus und rechte Soldaten.

Militärbundesrabbiner der Bundeswehr

Zsolt Balla wird erster Militärbundesrabbiner der Bundeswehr Foto: Sebastian Kahnert/dpa

taz: Herr Balla, Sie treten am Montag Ihr Amt als erster Militärbundesrabbiner der Bundeswehr an. Was reizt Sie an dieser Aufgabe?

Zsolt Balla: Ich denke, dass diese Aufgabe eine große Bereicherung ist – nicht für mich persönlich, darum geht es hier nicht, sondern für die jüdische Gemeinschaft, für die Bundeswehr und für die deutsche Gesellschaft.

Sie sind einer der ersten orthodoxen Rabbiner, der in Deutschland seit 1938 ausgebildet wurde. Warum haben Sie Ihre Heimat Ungarn verlassen, wo es eine sehr große und aktive jüdische Gemeinde gibt, um nach Deutschland zu kommen?

Es gibt in Budapest eine große Anzahl von jüdischen Menschen, aber die Zahl der in der Gemeinde Engagierten ist relativ klein. 2002, mit Anfang zwanzig, war ich in einer Phase, in der ich meine jüdischen Wurzeln entdeckte. Dann hatte ich eine verrückt klingende Idee – statt in Stockholm zu studieren, bin ich nach Berlin an eine Talmudschule gegangen, eine klassische orthodoxe Yeshiva. Damals hätte ich mir nicht vorstellen können, dass es hier so ein blühendes jüdisches Leben gibt.

Seit Jahren führen Sie die jüdische Gemeinde in Leipzig. Dort gibt es nur wenige orthodoxe Juden. Erzählen Sie uns von Ihrer Arbeit!

Ich möchte lieber erzählen, warum ich nach Leipzig kam, ich habe in diese Gemeinde eingeheiratet. Für mich ist es egal, wer orthodox und wer nicht ist, es gibt 1.300 jüdische Menschen in Leipzig. Ich bin für jede Person da, die etwas über das Judentum lernen möchte, die jüdische Ethik und Tradition kennenlernen will. Und so sehe ich auch meine Rolle in der Bundeswehr. Entscheidend ist nicht immer die Anzahl, es geht nicht um Quantität, sondern um Qualität.

Stichwort Quantität: Die Bundeswehr hatte die Einführung jüdischer Militärseelsorge damit begründet, dass es 300 jüdische Soldaten in der Bundeswehr gebe. Mittlerweile ist klar, dass diese Zahl viel zu hoch ist. Der Bund jüdischer Soldaten hatte in der taz von fünf bis sechs jüdischen Soldaten gesprochen, die aber nicht alle religiös seien. Haben Sie da schon einen besseren Überblick, können Sie Zahlen nennen?

Ich kann keine Zahlen nennen, weil ich sie nicht kenne. Aber ich finde Ihre Frage etwas kurzsichtig. Die entscheidende Frage ist: Wie sollen die deutsche Gesellschaft und die Bundeswehr in zehn Jahren aussehen? Es gibt schon jetzt jüdische Soldaten, die Seelsorge brauchen, das ist klar. Die genaue Anzahl ist für mich irrelevant. Außerdem bin auch für alle anderen Soldaten da, als Seelsorger. Und, um ihnen das Judentum näherzubringen.

ist 42 Jahre alt, orthodoxer Rabbiner in Leipzig und tritt am Montag das Amt als Militärbundesrabbiner an. Er selbst war nicht beim Militär, sein Vater Oberstleutnant der ungarischen Volksarmee. Er wurde in Budapest geboren und studierte Ingenieurswissenschaften. Danach besuchte er eine Talmudschule in Berlin und wurde anschließend zum Rabbiner ausgebildet.

Haben Sie schon mit mehreren jüdischen Soldaten gesprochen, die Seelsorge brauchen? Im Interview mit der Jüdischen Allgemeinen sprachen Sie von einem.

Die kurze Antwort ist: ja. Aber Seelsorge ist vertraulich und ich kann nichts weiter dazu sagen. Ich kenne Soldaten, die koschere Verpflegung benötigen. Die Bedürfnisse sind sehr individuell, sie sind von der Kaserne und dem Rang abhängig. Ich habe auch mit einem Soldaten gesprochen, einem Offizier, der erst später im Leben zurück zum Judentum gekommen ist.

Aber Anrecht auf koschere Verpflegung und die Stationierung in der Nähe einer jüdischen Gemeinde haben Soldaten schon jetzt, dafür braucht es keine Rabbiner. Im Staatsvertrag steht explizit, dass Ihre Hauptaufgabe die Seelsorge für die jüdischen Soldaten und die Einhaltung der jüdischen Gebote ist. Die Einrichtung des Rabbinats wurde von Anfang an damit gerechtfertigt.

Die Seelsorge steht in der Tat im Vordergrund. Ich bin auch im Austausch mit evangelischen und katholischen Seelsorgern. Ein Seelsorger ist allen Soldaten verpflichtet. Als Rabbiner sage ich allen Soldaten: Ich bin für euch da. Ich finde es wichtig, dass die Militärseelsorger auch interreligiöse und interkulturelle Kompetenzen haben.

Was sind Ihre weiteren Pläne? Laut Staatsvertrag sollen zehn Rabbiner eingestellt werden, dazu kommen bis zu 50 MitarbeiterInnen. Gibt es bald mehr Rabbiner als jüdische Soldaten?

Es können bis zu zehn Rabbinerinnen und Rabbiner sein. Wir werden entscheiden, wie viele wir tatsächlich brauchen, dabei werden wir vernünftig und nicht nepotistisch sein. Wir wollen eine funktionierende Behörde aufbauen, dafür brauchen wir mehrere Rabbiner. Für Ausbildungsstätten, für den lebenskundlichen Unterricht, und an mehreren Standorten wie München oder Hamburg.

Im Mai 2020 beschloss der Bundestag die Einführung von jüdischen Militärseelsorgern für die Bundeswehr. Bis zu zehn Rabbiner sollen dafür eingestellt werden. Begründet wurde das mit angeblich 300 jüdischen Soldaten. taz-Recherchen hatten gezeigt, dass die tatsächliche Zahl viel niedriger ist. Zuletzt nannte das Verteidigungsministerium auf Nachfrage der taz 25 Soldaten, die bei der freiwilligen Religionsangabe jüdisch angegeben hätten.

In der Bundeswehr gibt es Tausende muslimische Soldaten, für sie gibt es keinen Imam. Empfinden Sie das als ungerecht?

Sie haben völlig Recht: Wir brauchen in der Bundeswehr muslimische Seelsorge. Aber es gibt dabei ein Problem: Wir Juden sind sehr gut organisiert und haben einen gemeinsamen Dachverband, den Zentralrat der Juden. Das ist bei den Muslimen nicht der Fall.

Ich hatte vor kurzem ein langes Gespräch mit einem muslimischen Soldaten. Ich als Rabbiner verstehe ihn als traditionellen Muslim vielleicht sogar besser als ein katholischer oder evangelischer Seelsorger, denn wir haben viele kulturelle Gemeinsamkeiten. Ich hoffe, dass unser Rabbinat auch den Weg bereitet für muslimische Seelsorge in der Bundeswehr.

Bei der Bundeswehr gibt es immer wieder rechtsextreme Vorfälle, zum Beispiel in der Spezialeinheit KSK. Verteidigungsministerin Kramp-Karrenbauer hat sich trotzdem entschieden, die Einheit nicht aufzulösen. Haben Sie Angst, als Feigenblatt herhalten zu müssen in einer Organisation, die ein Problem mit Rechtsextremismus hat?

Nein! Das glaube ich nicht. Ich bin sicher, dass diese Vorfälle auch bei meiner Amtseinführung angesprochen werden. Antisemitismus ist Teil unserer Gesellschaft. Ich will mit meiner Arbeit dazu beitragen, ihn zu isolieren.

Ich hoffe, dass ich mit meiner Arbeit Soldaten erreiche, die vielleicht auf der Kippe stehen. Wenn sie eine persönliche Beziehung zum Judentum in Deutschland haben, wenn sie einen Rabbiner kennenlernen, dann glauben sie vielleicht nicht mehr, dass die Juden das Bankensystem der Welt beherrschen – um ein gängiges Vorurteil zu nennen. Aber komplett eliminieren können wir Antisemitismus in der Gesellschaft leider nicht.

Anders gefragt: Würden Sie jüdischen Jugendlichen empfehlen, zur Bundeswehr zu gehen?

In der Seelsorge habe ich gelernt, dass es immer auf den Einzelnen ankommt. Aber ich möchte in einer Gesellschaft leben, in der ich jeden jungen Erwachsenen, der mich um Rat fragt, darin bestärken kann, zur Bundeswehr zu gehen. Und es muss möglich sein, dass die jungen Leute ihre Religion dann auch leben können. Aber klar ist auch: Meine Aufgabe ist nicht, zu rekrutieren.

Zuletzt gab es deutsche Militärrabbiner zu Kriegszeiten, im deutsch-französischen Krieg und im ersten Weltkrieg, dazwischen und später nicht. Damals verloren Millionen Soldaten auf beiden Seiten ihr Leben. Sollte man wirklich an diese Tradition anknüpfen?

Es geht nicht um Militarismus. Mir geht es darum, dass jüdische Menschen sich für ihre Heimat engagieren können. Im 19. Jahrhundert waren viel mehr Juden in der deutschen Armee, als es ihrem Anteil in der Gesellschaft entsprach. Und schauen Sie in andere Länder: In Frankreich gibt es Militärrabbiner, in den Niederlanden auch.

Aber natürlich wollen wir nicht an den ersten Weltkrieg anknüpfen. Wir wollen keinen Krieg in der Welt. In diesem Sinne bin ich pazifistisch eingestellt. Aber ich verstehe, wie wichtig die Arbeit der Soldaten ist: Ich möchte, dass die Soldaten gewürdigt werden, die sich jeden Tag dafür einsetzen, dass wir in Ruhe und Frieden leben können. Die Wertschätzung dafür fehlt mir oft in der Gesellschaft.

Deutschland will florierendes jüdisches Leben, das Militärrabbinat ist auch ein Ausdruck davon. Aber die Realität in den Gemeinden sieht anders aus. Die größte Sorge ist Altersarmut, es fehlen Mittel für Schulen und Altersheime. Ist das Militärrabbinat nicht Symbolpolitik, gojische Naches, wie man auf jiddisch sagt, also Spaß für Nicht-Juden? Brauchen die Juden das Militärrabbinat – oder braucht Deutschland es für sein Selbstverständnis?

Ich finde es falsch, das gegeneinander auszuspielen. Natürlich brauchen wir beides. Und Symbole sind auch wichtig. Der Zentralrat und viele andere haben sich über 25 Jahre dafür eingesetzt, damit es Militärrabbiner gibt, und jetzt kommt es endlich.

Wir haben gehört, Sie können sehr gut Gitarre spielen und singen. Gibt es ein Lied, das für Ihre Arbeit besonders wichtig ist?

Ja! Ich schicke Ihnen gern ein Video, darin singe ich einen Psalm, auf Deutsch heißt er: Was kann ich Gott zurückzahlen, all das Gute, was er für mich getan hat. Ich möchte der Gesellschaft und dem Ewigen etwas zurückgeben. Darum bin ich heute hier. Und deshalb trete ich dieses Amt an.

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