Neuer Gesetzesentwurf in Tunesien: Radikal gegen Israel
Tunesiens Parlament diskutiert ein Gesetz, das den Kontakt zu Israel und Israelis verbietet. Damit setzt das Land seine anti-israelische Linie fort.
Die hitzige Debatte um die Details des „Gesetzes gegen die Normalisierung der Beziehungen mit der zionistischen Entität“ beendete Parlamentspräsident Brahim Bouderbala erst kurz vor Mitternacht. 161 Abgeordnete – und damit die absolute Mehrheit der Parlamentarier – wollen das Gesetz nun in den nächsten Tagen verabschieden.
Doch selbst der stets israelkritisch auftretende Präsident Kais Saied fürchtet negative Auswirkungen auf Tunesien, das von Tourismus und ausländischen Investitionen abhängig ist – und in dem weiterhin mehrere tausend jüdische Tunesier leben.
Bouderbala verlas am Donnerstag eine Botschaft von Präsident Kais, in der dieser vor unvorhersehbaren Auswirkungen des aktuellen Gesetzes auf tunesische Diplomaten und Geschäftsleute warnt. Es wurde bereits seit Juli diskutiert, seit dem Beginn des Krieges zwischen der Hamas und Israel im Oktober wird das Gesetz im Schnellverfahren bearbeitet.
Sogar zufälliger Kontakt mit Israelis wäre verboten
Das Gesetz würde schon zufällige Treffen mit israelischen Staatsbürgern zur Straftat machen. Der Entwurf sieht ein Verbot jeglicher Interaktion mit israelischen „Einzelpersonen, Institutionen, Organisationen, staatlichen oder nichtstaatlichen Körperschaften“ vor. Das Verbot soll auch für Veranstaltungen im „politischen, wirtschaftlichen, wissenschaftlichen, künstlerischen und sportlichen“ Bereich gelten, die in Israel und in den israelisch besetzten Gebieten stattfinden.
Sollten also tunesische Geschäftsleute oder Diplomat:innen selbst im Ausland zusammen mit Israelis an einer Konferenz oder Universitätsseminaren teilnehmen, drohen ihnen in der Heimat sechs bis zehn Jahre Gefängnis und eine Geldstrafe von bis zu 30.000 Euro. Die Wiederholung von Handlungen, die zur „Normalisierung der Beziehungen mit der zionistischen Entität“ dienten, würden mit lebenslanger Haft bestraft werden.
Brahim Bouderbala, Tunesiens Parlamentspräsident
Vor dem Parlamentsgebäude in Tunis forderten Demonstranten die Parlamentarier am Donnerstag in Sprechchören auf, das Gesetz ohne Verzögerung zu beschließen. „Wir sind gegen die anhaltende Spirale der Gewalt und setzen auf solche Solidaritätsbekundungen mit den Palästinensern in Gaza und dem Westjordanland“, erklärt eine Demonstrantin der taz.
Die Mobilisierung erinnert an den Arabischen Frühling
Das Parlament in Tunis ist bisher öffentlich kaum in Erscheinung getreten. Wegen des autokratischen Kurses von Saied und der anhaltenden Politikverdrossenheit waren bei der letzten Parlamentswahl nur 11 Prozent der Wähler an den Urnen erschienen.
Doch die aktuelle Welle der Solidarität mit den Palästinensern eint in Tunesien sowie den Nachbarländern auch heftig zerstrittene Gegner. Viele fühlen sich erinnert an die Mobilisierung der Massen während des arabischen Frühlings. Das Schicksal der Palästinenser ist im Alltag derzeit Thema Nummer eins.
„Wir werden an unserer Position festhalten, dass die palästinensische Frage das zentrale Thema für unser Volk ist“, sagte Brahim Bouderbala am Freitagmorgen. „Wir sind gegen die Normalisierung und Anerkennung der Legitimität dieser Entität. Palästina muß vom Fluss bis zum Meer befreit werden muss, mit der vollständigen Wiedererlangung des Heimatlandes, der Rückgabe aller Gebiete und der Errichtung eines palästinensischen Staates auf all seinen Gebieten, mit Jerusalem als Hauptstadt.“ Dem Staat Israel spricht er damit das Existenzrecht ab.
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