Neuer Fraktionsvorsitzender der Union: Die CDU bebt
Angela Merkel hatte Volker Kauder als ihren Vertrauten angepriesen. Was bedeutet nun seine Abwahl – und wie geht es weiter? Ein Q&A.
Was war da los?
Die Mehrheit der CDU und CSU im Bundestag hat Angela Merkel die Gefolgschaft aufgekündigt. Die Kanzlerin hat noch vor der Abstimmung am Dienstagnachmittag ganz klar Volker Kauder als ihren Vertrauten angepriesen. Den Abgeordneten war somit sehr präsent, dass eine Stimme für Brinkhaus als Stimme gegen Angela Merkel gelten würde.
Warum haben die Abgeordneten Kauder abgesägt?
Es ist eine Revolte mit Ansage. Rückblende: Schon nach der Bundestagswahl 2017 könnte Merkel mit einem neuen Fraktionsvorsitzenden ein Zeichen der Erneuerung setzen. Tut sie aber nicht. Nachdem die Abgeordneten bei Eurorettung und Flüchtlingspolitik nichts zu sagen hatten, dürfen sie auch Kauder nur abnicken. 77 Prozent sind das Ergebnis, ein hörbares Murren. 2018 wird es lauter: Über Kauder, der den Crash mit der CSU um Horst Seehofers Masterplan nicht kommen sieht und nicht rechtzeitig Widerstand organisiert. Über Merkel, die nicht führt, sondern in der Groko aberwitzige Kompromisse hinklempnert. Die Botschaft der Parlamentarier lautet: Wir sind keine Abteilung des Kanzleramts, sondern die gewählten Volksvertreter. Die Abgeordneten haben an diesem Dienstagnachmittag in einer Krisensituation die Chance, selbst zu handeln. Das tun sie.
War das nur ein erstes Beben?
Das Beben war heftig. Selbst ein Merkel-Kritiker in der Fraktion sprach kurz nach dem 125 zu 112-Stimmen Ergebnis von „Schockstarre“, ein anderer Abgeordneter meinte, hier gehe es gerade rund. Doch die Feuerwehr kam schnell – in Person der Kanzlerin, die schlau von „Stunde der Demokratie“ sprach und davon dass es „nichts zu beschönigen“ gebe. Und in Person des neuen Fraktionschefs Brinkhaus, der sagte, es passe „kein Blatt Papier“ zwischen ihn und die Kanzlerin und der Sacharbeit in der Koalition ankündigte. Tatsächlich hat Brinkhaus zunächst mal Interesse daran, sich als Fraktionschef in der Koalition zu beweisen. Aber selbst wenn unmittelbar nach diesem Beben keine weiteren folgen: die Schäden sind da, die Risse in Merkels Autorität sind tiefer geworden.
Kommt Merkel aus der Sache noch mal raus?
Angela Merkel ist nervenstark, sie regeneriert sich leichter als andere. Und sie hat in der CDU durchaus auch noch Fans. Aber die Situation ist strukturell keine, die sie aussitzen oder in Moskau oder Washington pulverisieren könnte. Denn ihr Machthaushalt ist deutlich defizitär: Es fließt Macht ab und es kommt keine neue nach. Sie könnte – „Stunde der Demokratie“ – im Bundestag die Vertrauensfrage stellen, schon um mal wieder zu gewinnen. Aber sicher ist das vor allem nach diesem Dienstagnachmittag keineswegs. Sie begäbe sich in eine noch schwerer kontrollierbare Situation. Sie könnte auch bis zum Jahresende den Parteivorsitz einigermaßen gesichtswahrend abgeben. So machte es Gerhard Schröder 2004, als er nach Rückschlägen den Parteivorsitz an Franz Müntefering übergab. Merkel könnte beim CDU-Parteitag Anfang Dezember in Hamburg nicht mehr für den Vorsitz kandidieren – und sich unter dem munteren Applaus der Delegierten zur Wegbereiterin des Generationenwechsels umlabeln. Kanzlerin könnte sie noch eine Weile bleiben, als Lame Duck. Oder Merkel sagt doch überraschend Tschüß, weil ihr das alles zu doof ist. So wie sie auch nicht willens war, ihren Getreuen Kauder dranzugeben.
Wie stehen nun die Chancen im CDU-Rennen um Merkels Nachfolge?
Nach der Abwahl von Kauder ist die Debatte um die fällige Verjüngung nun der heiße Scheiß der CDU. Bevor Jens Spahn Gesundheitsminister wurde, spielte er mit der Option, den einflussreichen Fraktionsvorsitz zu erobern. Der Job ist zwar nun weg, aber Ralph Brinkhaus wird trotz seines Coups erstmal kein Konkurrent für den smarten und bestens vernetzten Ehrgeizling Spahn sein. Und: Eine aus dem Koma erwachte Bundestagsfraktion kann für den 38 Jahre alten Spahn vielversprechend sein, wenn der Moment da ist, in dem Merkel geht. Vor allem weil Generalsekretärin Annegret Kramp-Karrenbauer auf die Fraktion, der sie ja selbst nicht angehört, kaum zurückgreifen kann. Dafür ist 56-Jährige in der Partei angesehen, nicht nur, weil sie einst im Saarland Wahlen gewonnen und als Ministerpräsidentin Regierungserfahrung gesammelt hat. Sondern weil sie sich als Generalsekretärin auch ein Stück von ihrer Fördererin Merkel emanzipiert hat. Gäbe Merkel den Parteivorsitz ab, wäre Kramp-Karrenbauer automatisch Aspirantin, aber Spahn könnte nicht tatenlos zusehen.
Und Seehofer?
Fast vergessen wird nun, dass auch CSU-Chef Horst Seehofer für den unterlegenen Kauder eingetreten ist. Dass umfangreiche Urheberrechte am Murks der GroKo ihm gehören, ist dagegen ziemlich klar. Im Kanzleramt, der SPD-Zentrale und in den Oppositionsbüros sowieso hoffen deshalb alle, dass er nach der Bayernwahl und einer happigen Niederlage seiner Partei nicht mehr herumspuken darf. Aber ein politisches Schlossgespenst lässt sich gar nicht so einfach vertreiben.
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