Neuer Containerhafen auf Usedom: Deutschland will mitreden
Polen plant einen Containerhafen vor Usedom, den Ausbau der Oder und ein Terminal für Flüssigerdgas. Experten warnen.
Fachmedien wie der Tägliche Hafenbericht (THB) beschreiben das Projekt so: Direkt an der Mündung der Swine, dem Oder-Abfluss zwischen Usedom und der Insel Wolin, soll ein 1,3 Kilometer langes Container-Terminal in die Ostsee gebaut werden. Ausgelegt ist die Anlage für jährlich zwei Millionen Standardcontainer. Angeschlossen wird das Projekt an den Hafen Świnoujście (Swinemünde), der bereits einer der modernsten Fährhäfen in der Ostsee ist. Die Stadt Świnoujście liegt auf der Insel Usedom, das Container-Terminal soll auf der gegenüberliegenden Swine-Seite realisiert werden, wo es bereits eine Hafenanlage für Flüssigerdgas gibt.
„Wir sind nicht grundsätzlich gegen das Projekt“, sagt die bündnisgrüne Neumann. Weil aber Polen und Deutschland in der Metropolregion Szczecin (Stettin) sehr eng miteinander verzahnt seien, müssten beide Länder das Projekt auch gemeinsam voranbringen. Das verweigere Polen aber, nicht einmal eine grenzüberschreitende Umweltverträglichkeitsprüfung sei geplant. „Ein so riesiges Terminal hat auch auf Deutschland gigantische Auswirkungen, schließlich müssen die Güter ja abtransportiert werden“, kritisiert Neumann. Sie hat gemeinsam mit dem linken Europapolitiker Helmut Scholz ein Gutachten in Auftrag gegeben, das die Umweltverträglichkeit des Projekts nun prüfen soll.
„Bekannt vom geplanten Terminal sind nur Kerndaten, deshalb mussten wir mit einigen Annahmen arbeiten“, sagt auch Bastian Schuchardt, einer der Umweltgutachter. In der Ostsee muss demnach ein riesiger Steinwall als Wellenbrecher aufgeschüttet, mindestens 20 Millionen Kubikmeter Meeresgrund abgetragen werden, um die neue Einfahrt zu schaffen. „Die Baumaßnahmen liegen unmittelbar in einem Vogelschutz- und einem FFH-Gebiet“, sagt Schuchardt und warnt: Mit dem Terminal erhöhe sich die Anzahl der Schiffe, die in diese Richtung fahren, um 50 Prozent. „Es sind vor allem sehr viel größere Schiffe“, sagt der Gutachter, die maritimen Auswirkungen würden sich nicht auf die Pommersche Bucht beschränken. „Besonders betroffen sein wird beispielsweise die Insel Rügen, vor der es 50 Prozent mehr Schiffsverkehr geben wird.“ Schuchardt erinnert daran, dass dort die östliche Population des Schweinswals lebt, von der es nur noch wenige Hundert Exemplare gibt.
Trotzdem rollen die Bagger weiter
Gutachter Schuchardt weist auf eine weitere Baustelle hin: den Ausbau der Oder. „Das sind zwei Vorhaben, die sich gegenseitig verstärken.“ Viele der angelieferten Container sollen über den Grenzfluss verschifft werden. Polen hatte im März damit begonnen, auf einem Abschnitt von 15 Kilometer Länge 60 Buhnen komplett zu erneuern. Dadurch soll die Fließgeschwindigkeit erhöht werden, damit sich der Fluss tiefer eingräbt und so ein tieferes Fahrwasser ermöglicht. Das hat gravierende Auswirkungen. „Wenn die Oder tiefer fließt, zieht sie das letzte Wasser aus den Auen“, erklärt Michael Tautenhahn, stellvertretender Leiter des Nationalparks „Unteres Odertal“. Brandenburgs Umweltminister Axel Vogel (Grüne) hatte Widerspruch gegen die Arbeiten am Grenzfluss eingelegt. Trotzdem rollen die Bagger weiter.
Auch am geplanten Hafenstandort vor Usedom wird schon gearbeitet: Für 426 Millionen Euro baut der österreichische Baukonzern PORR den bestehenden Flüssiggas-Hafen aus. Der war 2011 an der Nordwestspitze der Insel Wolin begonnen worden, seit 2015 liefert das „Lech Kaczyński“-Terminal Erdgas. Die Kapazität zur Wiederverdampfung liegt bislang bei 5 Milliarden Kubikmeter pro Jahr, jetzt soll sie bis 2023 auf 8,3 Milliarden ausgebaut werden. Angesichts des Ukrainekriegs sei das „begrüßenswert“, sagt Helmut Scholz, Europaabgeordneter der Linken. Das bedeute aber auch, dass noch mehr Schiffe anlegen werden.
Recherchen der taz zeigen allerdings, dass die Umweltverträglichkeit des Containerterminals geprüft wird. Parlamentspräsidentin Elżbieta Witek von der PiS-Partei hatte die Regierung zum Projekt angefragt, im vergangenen Oktober antwortete Marek Gróbarczyk, Staatssekretär im Ministerium für Infrastruktur: Demnach arbeite die Regionaldirektion für Umweltschutz in Szczecin seit November 2020 an einer Umweltverträglichkeitsprüfung. Den Vorwurf, dass die Regierung sich bedeckt halte, weist Gróbarczyk zurück: „Die Umsetzung des Projekts wird laufend mit den Behörden der Stadt Świnoujście konsultiert.“
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Nahost-Konflikt
Alternative Narrative
Putins Atomdrohungen
Angst auf allen Seiten
James Bridle bekommt Preis aberkannt
Boykottieren und boykottiert werden
Krise der Linke
Drei Silberlocken für ein Halleluja
Die Wahrheit
Der erste Schnee
+++ Nachrichten im Ukraine-Krieg +++
Biden genehmigt Lieferung von Antipersonenminen