Neuer Bericht des UN-Klimarats: Wärmer ohne Weg zurück

Ein neuer Bericht des UN-Klimarats zeigt: Eisflächen schmelzen schneller, Meere erwärmen sich rasant. Einiges wird nicht mehr zu bremsen sein.

Eisberge in Grönland

Mit der Erwärmung der Erde ziehen sich auch die Eismassen in der Aktis zurück Foto: Mstyslav Chernov/ap

BERLIN taz | Die Klimakrise ist nach einem neuen Bericht des UN-Weltklimarats IPCC keine Frage der Zukunft, sondern bereits jetzt in den Meeren und an den Polen greifbar, sichtbar und messbar. Die meisten Gletscher und Eisschilde der Erde schmelzen derzeit immer schneller, der Meeresspiegel steigt an den meisten Orten im Rekordtempo, die Weltmeere erwärmen sich, verändern ihre chemische Zusammensetzung und bieten Tieren und Pflanzen schlechtere Lebensbedingungen.

Die Ozeane und Eisflächen der Erde, die zusammen 81 Prozent der Oberfläche ausmachen, verändern sich grundlegend und viele dieser Entwicklungen sind bereits heute nicht mehr umzukehren. Das sind die zentralen Aussagen des „Sonderberichts Ozean und Kryosphäre“, den der IPCC am Mittwoch präsentiert hat.

Der Report fasst den Stand der Wissenschaft über den Zustand der Meere und Eisgebiete zusammen: Demnach haben sich die Meere an der Oberfläche gegenüber der vorindustriellen Zeit bereits um etwa ein Grad Celsius erwärmt. Die Berggletscher, das See-Eis der Arktis und der grönländische Eispanzer haben begonnen, stark zu schmelzen. Wegen der Schmelze und der Erwärmung ist der weltweite mittlere Meeresspiegel zwischen 1902 und 2015 um 16 Zentimeter gestiegen und klettert in den letzten Jahren 2,5-mal so schnell wie vorher. 680 Millionen Menschen in tief gelegenen Küstenregionen sind vom Anstieg betroffen, etwa ebenso viele Menschen spüren das Schmelzen der Gletscher in den Hochgebirgen.

Der Report des Klimarats wurde von der UNO angefordert. Er folgt auf zwei andere Sonderberichte, die im Sommer 2019 zu Landnutzung und im Oktober 2018 zum 1,5-Grad-Ziel von den Wissenschaftlern zusammengestellt wurden. Der Tenor aller Berichte: Der Klimawandel schreitet schneller voran als gedacht, nur eine drastische und schnelle Reduktion der globalen CO2-Emissionen verhindert die schlimmsten Folgen.

Wie die anderen Berichte wurde auch dieser Text zu Ozeanen und Eisflächen von den Regierungen der UN-Staaten als Arbeitsgrundlage akzeptiert. In zähen Verhandlungen hatten die Autorinnen und Autoren seit Ende letzter Woche in Monaco an dem Text gearbeitet, zum Schluss in einer 30-stündigen Marathonsitzung.

Jahrelange Kleinarbeit

Was die etwa 100 Autorinnen und Autoren in jahrelanger Kleinarbeit zusammengetragen haben, ist deutlich: Der Rückgang der Eisflächen führe „vornehmlich zu negativen Auswirkungen auf die Ernährungssicherheit, Wasserreserven, Wasserqualität, das Auskommen und die Gesundheit, auf Infrastruktur, den Verkehr, Tourismus und Erholung“. Besonders betroffen sind die etwa 4 Millionen Arktisbewohner, die zum Teil indigenen Völkern angehören.

In den Ozeanen warnen sie vor dem „tödlichen Trio“, wie es unter Forschern heißt: Die Kombination aus Erwärmung (die Zahl von Hitzewellen im Meer nimmt zu), Versauerung (durch die Aufnahme etwa eines Drittels des menschengemachten Kohlendioxids) und Sauerstoffmangel (durch weniger Durchmischung des Wassers) gefährde Tiere und Pflanzen: Fischbestände verändern sich und wandern in Richtung der Pole, Korallen sterben in der Hitze, auch die Bestände von Seegras und Seetang geraten in Gefahr, wenn die Temperaturen weiter steigen.

Vor allem warnen die Forscher, dass Prozesse begonnen haben, die in den nächsten Jahrzehnten und Jahrhunderten nicht mehr zu bremsen sind. „Über das 21. Jahrhundert zeigen die Projektionen, dass sich der Ozean in nie dagewesene Zustände verwandeln wird mit höheren Temperaturen, weniger Durchmischung, weiterer Versauerung, Rückgang des Sauerstoffs und veränderter Primärproduktion.“ Hitzewellen und extreme Wetterereignisse wie El Niño würden zunehmen, der Golfstrom im Nordatlantik werde sich nach den Voraussagen abschwächen.

Mit großer Sorge blicken die Forscher in die Polargebiete. Die Arktis hat sich im Schnitt bereits um 3 bis 5 Grad erwärmt. Die Eisfläche im Sommer ist so gering wie seit 1.000 Jahren nicht mehr, in jedem Jahrzehnt verliert die Eisdecke etwa 10 Prozent. Die Permafrostböden in Nordamerika und Sibirien tauen langsam auf. Die Gefahr: Sie könnten große Mengen zusätzlicher Treibhausgase wie CO2 und Methan freisetzen. In ihnen schlummern nach IPCC-Berechnungen 1.500 Milliarden Tonnen Kohlenstoff – zweimal so viel, wie bisher in der Atmosphäre gelagert ist.

Reiche können sich leichter anpassen

Die Anpassung an steigende Meeresspiegel und an das Schmelzen des arktischen Eises gelingt vor allem den Reichen, weniger den Armen, warnt der Klimarat. Kleine Inselstaaten oder indigene Gemeinschaften seien deutlich weniger angepasst als große Superstädte. Insgesamt bilde die Entwicklung eine „Herausforderung für Regierungen bei der Anpassung auf lokaler und globaler Ebene“, manche Gemeinschaften kämen dabei „an die Grenzen“. Sprich. Es wird darüber nachgedacht, Orte aufzugeben. Es zeige sich: „Menschen mit der größten Verwundbarkeit sind oft jene mit der geringsten Möglichkeit, auf die Situation zu reagieren.“

„Der Bericht zeigt sehr deutlich, dass die Staatengemeinschaft so nicht weitermachen kann“, sagt Mojib Latif, Ozeanexperte am Geomar-Helmholtz-Forschungszentrum an der Universität Kiel. „Im Moment sind wir auf einem Kurs von drei bis vier Grad Celsius globale Erwärmung. Das wäre eine katastrophale Erwärmung und würde die Lebensbedingungen auf der Erde dramatisch verschlechtern, insbesondere auch was die Nahrungsmittelversorgung angeht.“

Für Ben Marzeion, Professor für Klimageografie an der Universität Bremen und einer der Autoren des Berichts, verdeutlicht er, „dass wir heutzutage nur einen kleinen Vorgeschmack bekommen von dem, was auf uns zukommt“. Besonders bedrückend empfindet er die Aussagen zum Meeresspiegel: „Ein Anstieg von mehr als einem Meter im 21. Jahrhundert wird im Bericht nicht mehr ausgeschlossen.“ Entscheidend sei hier die Antarktis, deren Reaktion auf starke Erwärmung noch nicht verstanden sei.

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