Neue temproräre Infrastruktur in Berlin: Radspuren mit Corona-Antrieb
Jetzt bekommt auch die Kantstraße eine Pop-up-Bikelane. Friedrichshain-Kreuzberg hat die Nase vorn, Pankow und Tempelhof-Schöneberg ziehen nach.
Ganz ohne ist so eine Maßnahme auf einer Verkehrsader wie der Kantstraße nicht: „Es wird über die ganze Länge ungefähr zehn verschiedene Varianten geben“, so Schruoffeneger. „Die Grundlinie ist aber immer: Es gibt eine Fahrspur für das Fahrrad.“ Die von der Senatsverkehrsverwaltung angeordnete Umgestaltung hat allerdings ein Verfallsdatum: Sie ist bis zum 31. Mai befristet und ausschließlich mit der epidemiologischen Situation begründet.
„Wie es danach weitergeht, muss man schauen“, sagt Schruoffeneger. Er hatte der Senatsverwaltung eine Liste von insgesamt sechs Straßenzügen vorgelegt. „Liebend gerne“ hätte der Stadtrat zum Beispiel die Anordnung einer temporären Radspur auf der Kaiser-Friedrich-Straße zwischen Schlossstraße und Ku'damm. „Damit ergäbe sich eine halbwegs gesicherte Radinfrastruktur in der Bezirksmitte.“
Bei den „Pop-up-Bikelanes“ beziehungsweise der „pandemieresilienten temporären Radinfrastruktur“, die dem ansteckungsfreien Radeln dienen soll, hat aber weiterhin Friedrichshain-Kreuzberg die Nase vorn. Ab kommendem Dienstag sollen dort schon die nächsten 4,5 Kilometer ausgewiesen werden.
Vollrad Kuhn, Stadtrat Pankow
Wie der Leiter des Straßen- und Grünflächenamts Felix Weisbrich der taz bestätigte, geht es nun auf Möckernstraße, Kottbusser Damm / Kottbusser Straße und Tempelhofer Ufer weiter. Letzteres wird manche RadaktvistInnen besänftigen: Sie hatten kritisiert, dass nördlich des Landwehrkanals auf dem Halleschen Ufer schon Ende März eine breite und geschützte Radspur angelegt wurde – südlich davon aber nicht.
De-facto-Parkspur wird legalisiert
Bei der Spur auf dem Kottbusser Damm handelt es sich laut Weisbrich wie bei den meisten neuen Anlagen um „Planungen, die wir ohnehin in diesem Jahr umgesetzt hätten“. Die rechte Fahrspur, die schon jetzt schon de facto als Parkspur genutzt wird, soll künftig als Haltespur für den Lieferverkehr „legalisiert“ werden. „Dort, wo jetzt noch Parkplätze sind, wird sich dann der geschützte Radstreifen befinden“, erklärt Weisbrich.
Da somit etliche Parkplätze wegfallen, soll den AnwohnerInnen mit Pkw zumindest der Übergang erleichtert werden: Das Parkhaus am Hermannplatz bietet ihnen in den kommenden drei Monaten an, einen Stellplatz für monatlich 15 Euro zu mieten – ein deutlicher Rabatt. „Es werden jetzt gerade Flugblätter an die Windschutzscheiben geklemmt“, sagt Weisbrich. Die Hälfte der Differenz zum Normalpreis übernehme der Bezirk.
Straßen für Kinder
Weisbrichs Amt hat aber noch mehr in petto: Es bastelt gerade an bis zu 30 temporären verkehrsberuhigten Straßen im Bezirk, vor allem in besonders dicht besiedelten Bereichen wie SO 36 oder dem Samariterkiez. Solange die Kontaktsperre gilt, passiert aber noch nichts: „Es sind Überlegungen für ein künftiges Lockerungsszenario“, so Weisbrich. „Es geht uns darum, mehr Bewegungsmöglichkeiten für die EinwohnerInnen herzustellen.“ In jedem Fall soll die Verkehrsberuhigung temporär sein, nämlich stunden- oder tageweise.
In Pankow steht dagegen gerade die erste temporäre Radspur vor der Umsetzung: Auf 850 Metern Länge der Danziger Straße soll dann jeweils die rechte Kfz-Spur für RadlerInnen umgewidmet werden. Dafür lägen bereits die Grundlagen der Bauplanung vor, so Vollrad Kuhn, grüner Bezirksstadtrat für Stadtentwicklung: „Wir hoffen, dass das dann auch auf Dauer so bleiben kann.“
Die Anhörungsfrist für das Projekt läuft noch bis kommenden Donnerstag; er rechne dann mit einer Umsetzung bis zum Ende des Monats. Dass es nicht ganz so schnell gehe wie etwa in Kreuzberg, liege daran, dass es sich bei der Danziger um eine große Hauptverkehrsstraße mit vielen Ampelanlagen handele, sagt Kuhn.
Radspur nur für die halbe Schönhauser
Das zweite Projekt, das Anfang Mai zustande kommen könnte, ist die Umwidmung einer Fahrspur auf der unteren Schönhauser Allee zwischen Schwedter und Torstraße. Mit dem von AktivistInnen geforderten Abschnitt zwischen Eberswalder und Wichertstraße, insbesondere im Bereich der Schönhauser Allee Arcaden, gehe das leider nicht, so Kuhn: „Der ist zu komplex und zu umfangreich für eine schnelle temporäre Lösung.“
Auch an der Prenzlauer Promenade, die im Gespräch war, geschieht erst einmal nichts, dort gibt es dem Stadtrat zufolge aber bei weitem nicht so viel Radverkehr.
Ragnhild Sørensen, Changing Cities
Beim Verein Changing Cities ist man insgesamt ziemlich begeistert von der Entwicklung: „Da werden gerade ordentlich Kilometer gemacht. Es geht also, wenn der Wille da ist!“, findet Sprecherin Ragnhild Sørensen. Friedrichshain-Kreuzberg habe gezeigt, wie es funktioniert. Somit gebe es für die anderen Bezirke nun „keine Ausreden mehr, diese Maßnahmen zum Schutz der Bevölkerung zu verweigern“.
Wenn bald wieder SchülerInnen unterwegs seien, müssten sich aber StadträtInnen vieler Bezirke den Vorwurf gefallen lassen, nicht alles für die Gesundheit der Menschen zu tun, weil sie die Einrichtung pandemietauglicher Infrastruktur weiter „mit fadenscheinigen Argumenten verzögerten oder gar ablehnten“, ergänzt Denis Petri vom Changing-Cities-Vorstand. Das betreffe PolitikerInnen von der CDU wie in Marzahn-Hellersdorf bis zu den Grünen in Steglitz-Zehlendorf und Tempelhof-Schöneberg.
Allerdings geht es in Tempelhof-Schöneberg mittlerweile voran: Sie habe am Freitag die Finanzierungszusagen für temporäre Radinfrastruktur von der Senatsverwaltung erhalten, sagte Stadträtin Christiane Heiß (Grüne) zur taz. Welche Straßen nun genau umgebaut werden, werde aber noch abgestimmt.
Die Grünen in der BVV hatten zuletzt öffentlich drei Straßenabschnitte benannt. „Für die Schöneberger Straße in Tempelhof sehe ich ganz gute Chancen“, so Heiß, „dagegen sieht es für den Innsbrucker Platz nicht so gut aus. Es ist nun mal einer der verkehrsreichsten Plätze dieser Stadt. Die Unfallkommission diskutiert bereits über eine mögliche Umgestaltung, da sollten wir nicht dazwischengrätschen.“
Grundsätzlich finde sie die Ad-hoc-Maßnahmen zur Gefahrenabwehr gut, sagt Heiß. „Sie lösen allerdings das zentrale Ressourcenproblem beim Radverkehr nicht.“ Die Planung im Bezirksamt, aber auch in den beauftragten Planungsbüros müsse schlanker organisiert werden. „Da bin ich auch sehr engagiert mit der Koordinierungsstelle Radverkehr in der Senatsverwaltung im Gespräch.“
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