Neue schottisch-nordirische Verbindung: Viel Rummel um Tunnel
Großbritanniens Premier Johnson will zwischen Schottland und Nordirland eine Verbindung bauen. Die nordirische Verkehrsministerin widerspricht.
Peter Hendy, der Vorsitzende von Network Rail, der das britische Schienennetz gehört, will noch vor Monatsende einen Zwischenbericht über die Machbarkeit des Projekts vorlegen. Sollte der Bericht wie erwartet positiv ausfallen, wird eine formale Durchführbarkeitsstudie in Auftrag gegeben.
Ursprünglich hatte Johnson eine Brücke zwischen dem schottischen Stranraer und dem nordirischen Larne vorgeschlagen. Die Idee wurde wegen der starken Winde fallen gelassen. Eine Untersuchung kam zu dem Ergebnis, dass die Brücke an hundert Tagen im Jahr gesperrt werden müsste.
Stattdessen soll nun „Borisʼ Erdloch“ kommen, wie der geplante Tunnel geringschätzig genannt wird. Er wäre gut 40 Kilometer lang, also rund 10 Kilometer kürzer als der Kanaltunnel, der das Vorbild ist. An die damaligen Probleme wegen Verzögerungen und Kostenexplosion erinnert man sich in Großbritannien noch gut. So gibt es für den Nordirland-Tunnel bisher weder einen offiziellen Zeitplan noch einen Kostenvoranschlag. Experten schätzen, dass er bis zu 20 Milliarden Pfund kosten könnte.
Skepsis in Nordirland und Schottland
Es könnte sogar noch teurer werden, da man nicht den kürzesten Weg nehmen kann. Der führt nämlich durch den 300 Meter tiefen Beaufort-Graben rund 10 Kilometer vor der schottischen Küste. Dort lagern weit über eine Million Tonnen Waffen und Chemikalien aus dem Zweiten Weltkrieg. Die britische Armee hatte das Zeug nach Kriegsende einfach ins Meer geschmissen. Ab und zu wird Kriegsgerät an die schottischen und nordirischen Strände gespült.
Simon Haore, Tory-Abgeordnete
Der viktorianische Eisenbahn-Ingenieur James Barton hatte schon vor 120 Jahren diese Tunnel-Idee. Er ließ um 1900 Probebohrungen in Larne durchführen. Aber die Idee wurde verworfen – zu schwierig, zu teuer. Dasselbe Schicksal könnte Johnsons Tunnel widerfahren.
Zwar wird das Projekt vom britischen Schottlandminister Alister Jack begeistert unterstützt. Aber in den beiden Ländern, die verbunden werden sollen, ist man skeptisch. Eine Schnapsidee, findet die nordirische Ministerin für Infrastruktur, Nichola Mallon, von der Sozialdemokratischen Partei. „Boris Johnson hat viele Pläne für Nordirland ausgeheckt, sei es die Boris-Brücke oder jetzt das Boris-Erdloch, aber er täte besser daran, sich nicht auf glamouröse Tory-Projekte zu konzentrieren, sondern auf die vielen Probleme vor seiner Haustür.“
Der schottische Transportminister Michael Matheson bezeichnete die Sache als „Eitelkeitsprojekt“, das praktisch ohne Konsultation organisiert worden sei, obwohl Infrastrukturmaßnahmen Sache der Regionalparlamente seien. Und die Abgeordnete der schottischen Regierungspartei Scottish National Party, Emma Harper, sagte: „Sogar Johnsons eigene Abgeordnete wissen, wie verrückt sein Projekt ist.“ Der Tory-Abgeordnete Simon Haore vom Nordirland-Ausschuss findet das auch. „Die Züge könnten von einer Herde unermüdlicher Einhörner gezogen werden“, spottete er. „Lass uns lieber daran arbeiten, dass das Nordirlandprotokoll funktioniert. Und legt die halluzinogenen Drogen weg.“
Unionisten bei Laune halten
Vermutlich ist der Rummel um den Tunnel lediglich ein politisches Manöver von Johnson. Er hat wenige Freunde in Nordirland, nachdem er Ende vorigen Jahres das Nordirlandprotokoll als Bestandteil des Brexitvertrags akzeptiert hat. Es regelt, dass Nordirland weiterhin Teil des EU-Binnenmarkts bleibt und sich deshalb an die Zollregeln der EU halten muss. Dadurch sind nun Kontrollen beim Warenverkehr von Großbritannien nach Nordirland notwendig.
Das passt den nordirischen Unionisten nicht, sie halten das Protokoll für einen Schritt in Richtung der Vereinigung Irlands. Zwar würde man in Großbritannien der Krisenprovinz, die lange Zeit die Brexit-Verhandlungen dominiert hat, keine Träne nachweinen. Aber auch Schottland ist drauf und dran, einen erneuten Austrittsversuch aus dem Vereinigten Königreich zu unternehmen. Die Tunnelidee soll die Unionisten in beiden Ländern vorerst bei Laune halten.
Der Unterhausabgeordnete Sammy Wilson von der nordirischen Democratic Unionist Party (DUP), die für den Brexit war, begrüßte zwar das Tunnel-Projekt, fügte aber hinzu: „Wichtiger als die physische Verbindung ist, dass wir wirtschaftlich und konstitutionell mit Großbritannien verbunden sind.“
Unterirdischer Kreisverkehr
Der Tunnel würde ohnehin nur geringe Vorteile bringen. Die Fahrzeit von London nach Stranraer beträgt sieben Stunden. Ob man dann mit dem Auto die bestehende Fährverbindung nutzt oder auf einen Autoreisezug verladen wird, beschleunigt die Reise nur unwesentlich. Schneller geht es mit der Bahn erst, wenn die Schnelltrasse High Speed 2 gebaut ist. Dabei handelt es sich um ein Bahninfrastrukturprojekt, das irgendwann London in Rekordzeit mit den Midlands und dem Norden Englands verbinden soll. Darüber hinaus müsste auch die Bahnverbindung vom nordenglischen Carlisle nach Stranraer modernisiert und die Spurbreite in Nordirland angepasst werden.
Einige Londoner Regierungsbeamte haben deshalb einen anderen Vorschlag gemacht. Sie plädieren für drei Tunnel – einen von Stranraer, die anderen von Liverpool und Heysham in Lancaster. Die Tunnel sollen in einem Kreisverkehr unter der Isle of Man zusammenkommen und von dort weiter nach Larne geführt werden. Ein Beamter räumte ein, man wolle „mit dem Vorschlag illustrieren, wie bescheuert“ Johnsons Tunnel-Projekt sei.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Nach dem Anschlag in Magdeburg
Rechtsextreme instrumentalisieren Gedenken
Anschlag in Magdeburg
„Eine Schockstarre, die bis jetzt anhält“
Bundestagswahl am 23. Februar
An der Wählerschaft vorbei
Erderwärmung und Donald Trump
Kipppunkt für unseren Klimaschutz
EU-Gipfel zur Ukraine-Frage
Am Horizont droht Trump – und die EU ist leider planlos
Wirbel um KI von Apple
BBC kritisiert „Apple Intelligence“