Neue Umfrage zu Berlins Parteien: Linke im linken Lager Spitze
Erstmals seit Jahren liegt die Linkspartei laut neuer Umfrage wieder vor SPD und Grünen – und bis zur Abgeordnetenhauswahl sind es nur noch 15 Monate.

Das ist nicht bloß ein schlichter Führungswechsel. Die jetzigen 19 Umfrageprozente sind vielmehr schier unglaublich. Ende November noch kam die Partei bei einer Befragung mit 6 Prozent gerade noch so über die 5-Prozent-Hürde, die zum Einzug ins Abgeordnetenhaus berechtigt. Auf Bundesebene drohte sie, komplett unterzugehen und bei der nahenden Wahl aus dem Bundestag zu fliegen. Die anfangs viel belächelte „Mission Silberlocke“ der Parteisenioren Gregor Gysi, Bodo Ramelow und Dietmar Bartsch schien die letzte Hoffnung zu sein, über drei gewonnene Wahlkreise im Bundestag bleiben zu können.
Doch dank einer beeindruckenden Mobilisierungskampagne, dem großen Fehler von CDU-Chef Friedrich Merz, ein gemeinsames Abstimmen mit der AfD zu riskieren, und der schon jetzt legendären „Auf die Barrikaden“-Rede von Linken-Frontfrau Heidi Reichinnek wurde daraus im Februar ein sicherer Einzug in den Bundestag – und in Berlin mit fast 20 Prozent Platz 1.
Was das landespolitisch heißen würde, war offen. Gut möglich schien auch, dass die Wählerschaft allein nach bundespolitischen Themen abstimmte und sich landespolitisch ganz anders entscheiden würde. Zumal bei der Bundestagswahl Migration und AfD dominierende Themen waren, während Berlin dauerhaft über zu wenig Wohnungen und aktuell über Tempo 30 diskutiert.
Laut einer neuen Umfrage im Auftrag des RBB ist kein anderer Ministerpräsident so unbeliebt wie Berlins Regierungschef Kai Wegner. Nur 29 Prozent der Befragten gaben an, mit seiner Arbeit zufrieden zu sein. Wegners CDU bleibt aber mit 25 Prozent stärkste Kraft in Berlin – vor der Linkspartei mit 19 Prozent. Erst dahinter folgen Grüne (15), SPD (14) und AfD (13). Das in Brandenburg mitregierende Bündnis Sahra Wagenknecht (BSW) kommt nur auf 4 Prozent und wäre damit nach der nächsten Wahl nicht im Parlament vertreten. Laut Umfrage sind nur 26 Prozent mit der Arbeit des CDU-SPD-Senats „zufrieden“ oder „sehr zufrieden“. 68 Prozent sind „wenig“ oder „gar nicht zufrieden“. (taz)
Starkes Mitgliederwachstum
Die neue, allein auf die Wahl zum Abgeordnetenhaus zielende Umfrage zeigt nun: Das Wahlergebnis vom 23. Februar war mehr als eine spontane Bauchentscheidung. Das ist umso überraschender, weil nicht wirklich klar ist, wie die Politik der Berliner Linkspartei künftig aussehen wird. Denn der starke Mitgliederzuwachs seit Jahresbeginn ist groß genug, um bisherige innerparteiliche Mehrheiten aushebeln können.
Absehbar ist immerhin, dass innerhalb der Partei statt der sogenannten Regierungslinken zunehmend die Bewegungslinken das Sagen haben. Offenbar aber war und ist die Unzufriedenheit mit der aktuellen schwarz-roten Landesregierung derart ausgeprägt, dass diese politische Blackbox in Kauf genommen wird.
Was auch deutlich wird: Die SPD ist weniger denn je eine Anlaufstelle für Protest – ihre jetzigen 14 Prozent liegen selbst noch unter ihrer 18-Prozent-Schlappe von 2023, ihrem schlechtesten Berlin-Wahlergebnis überhaupt. Ähnliches gilt für Grünen: Sie lagen in der November-Umfrage noch bei 20 Prozent und sind nun auf 15 abgerutscht.
Nun erstmals seit sieben Jahren wieder stärkste Kraft im linken Lager zu sein, hat für die Linkspartei eine viel größere Bedeutung als zum damaligen Zeitpunkt. 2018 war die nächste Abgeordnetenhauswahl noch drei Jahre entfernt, was in politischen Dimensionen eine Ewigkeit ist. Nun aber sind es bloß noch 15 Monate bis zum Wahltermin am 20. September 2026. Und wenn Berlin aus der in drei Wochen beginnenden parlamentarischen Sommerpause zurückkehrt, wird davon gerade mal noch ein Jahr übrig sein.
Die erste von der Linkspartei geführte Koalition
Das inzwischen schon mehrfach im Parlament gehörte Angebot von der Linkspartei an die SPD, zu einer auch jetzt schon möglichen rot-grün-roten Koalition zurückzukehren – es könnte in nur 15 Monaten eine umso realere Option sein. Bloß eben in umgekehrter Reihenfolge: Das erste und führende „Rot“ im Koalitionsnamen stünde dann nicht mehr für die SPD, sondern erstmals in Berlin für die Linkspartei. Was es bundesweit bislang nur in Thüringen gab, zwischen 2014 und 2024.
Wer dann im Roten Rathaus den CDU-Mann Kai Wegner ablösen würde, ist allerdings noch offen. Als naheliegendste Lösung galt noch im vergangenen Jahr, Katja Kipping zur Spitzenkandidatin zu machen. Die frühere Bundesvorsitzende der Partei hatte als Sozialsenatorin von 2021 bis 2023 einen anerkannt guten Job gemacht und arbeitet zurzeit für den Paritätischen Wohlfahrtsverband. Fraglich ist, ob die neuen Mehrheiten sie an der Spitze sehen wollen. Wobei: In der SPD war Franziska Giffey 2021 auch weit entfernt von den linken Vorstellungen einer Parteitagsmehrheit und wurde doch Spitzenkandidatin.
Mehr und mehr ins Gespräch hat sich in den vergangenen Monaten parallel dazu Vize-Fraktionschefin Elif Eralp gebracht. Was nicht allein im HIntergrund passierte, sondern sich auch in engagierten Reden im Abgeordnetenhaus spiegelte. Sie war es auch, die dort bereits im Januar forderte: „Liebe SPD, brich die Koalition mit der CDU und lass uns eine antifaschistische Koalition bilden.“ Angeblich gibt es Überlegungen in der SPD, das im Herbst tatsächlich zu tun. Dann könnten die Sozialdemokraten immerhin wenigstens ein Jahr lang wieder den Regierungschef stellen – bis 2026 nach der Wahl die Linkspartei übernimmt.
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