Neue Schlachtregeln in Argentinien: Protest gegen das Vierteln
Argentinische Schlachter treten in den Streik. Sie wehren sich dagegen, dass Rinderteile künftig höchstens 32 Kilo schwer sein dürfen.
Seit über hundert Jahren liefern die Schlachthöfe am Río de la Plata ein erlegtes Rind in zwei Hälften an die Fleischereien aus. Die im argentinischen Sprachgebrauch media res genannte Hälfte ist das in der Mitte durchgeschnittene Schlachttier ohne Kopf und Eingeweide. Je nach Gewicht des Rindes kann jede Hälfte zwischen 90 und 120 Kilo wiegen. Die Hälften werden von den Fleischern zerteilt und verkauft.
Die neue Verordnung soll vor allem den Gesundheitsschutz der lomeros sichern. Jener Beschäftigten, die täglich rund 100 der schweren Rinderhälften beim Be- und Ausladen auf ihren lomo, sprich Rücken, aufbuckeln müssen. Künftig dürfen die Rinderteile höchstens noch 32 Kilo schwer sein. Damit liegen sie allerdings weiterhin über dem Höchstgewicht von 25 Kilo, das die Internationale Arbeitsorganisation (ILO) festgeschrieben hat.
Einig sind sich alle Beteiligten, dass das Vermarktungssystem der halben Rinder geändert werden muss. Doch seit mehr als 30 Jahren wird über den Zeitpunkt der Änderung gestritten. Keine Eile haben jene Schlachthöfe, die den inländischen Markt beliefern oder die die nötigen Investitionen nicht vornehmen wollen oder können. Denn bevor die geschlachteten Rinder weiter zerteilt werden können, müssen sie mindestens 24 Stunden kalt gelagert werden. Das erfordert große und teure Kühlhäuser, wie sie die Schlachthöfe für den Exportsektor haben müssen.
Umsetzung mehrfach verschoben
Auch die jetzige Anordnung wurde bereits im April 2021 von der Regierung erlassen. Aber die Umsetzung wurde mehrfach verschoben. Noch immer verfügten nur die Hälfte der knapp 400 offiziell registrierten Schlachthöfe über die baulichen und betrieblichen Voraussetzungen für die Umsetzung der neuen Regel, so die Fifra. Der Verband warnt vor dem Verschwinden kleinerer Schlachthöfe vor allem im ländlichen Raum. Vergangene Woche hatten seine Vertreter bei einem Treffen mit den zuständigen Ministerien auf eine weitere Verschiebung gedrängt.
Während das Arbeitsministerium und das Wirtschaftsministerium abwinkten, legte die Regierung sogar nach. Statt des lilablauen Farbstempels, mit dem die Rinderhälften bisher offiziell gekennzeichnet werden, müssen ab Dienstag alle Teilstücke mit einem Etikett versehen werden, auf dem die Betriebsnummer des Schlachthofs, das Datum der Verarbeitung, die Bezeichnung des Erzeugnisses sowie dessen Gewicht stehen müssen. In spätestens 180 Tagen muss die erst vergangenen Freitag beschlossene Verordnung von allen Beteiligten umgesetzt sein.
Zustimmung kommt von den exportierenden Unternehmen. „Die Viertelung ist ein Meilenstein auf dem Weg zu mehr Effizienz und modernisiert unsere Branche“, so Mario Ravettino, Vorsitzender des Konsortiums der argentinischen Fleischexporteure. Derzeit gebe es weltweit nur noch Paraguay und Argentinien, die die Vermarktung in Form von Schlachtkörperhälften aufrechterhalten. Sollte sich im letzten Moment nichts mehr ändern, dann werden auch in Argentinien ab Dienstag keine halben Rinder mehr ausgeliefert. Die dafür verantwortliche Behörde hat bereits verstärkte Kontrollen angekündigt und bei Verstoß gegen die Verordnung mit Bußgeld bis hin zur Betriebsstilllegung gedroht.
Neben der Gesundheit der Beschäftigten soll auch gewährleistet werden, dass das Fleisch beim Abladen vom Lkw und Tragen in die Fleischerei nicht über den Boden schleift, zumal jedes media res verpackungsfrei ausgeliefert wird. Die Exportbranche fürchtet, dass dies von den Importländern als mangelnde Hygiene ausgelegt und zu einem massiven Handelshindernis werden könnte.
Doch der schmerzende Stachel im Fleisch der Exporteure ist die enorme Informalität der gesamten Branche. Geschätzt wird, dass 60 bis 70 Prozent aller Aktivitäten informell geleistet werden, sprich von Beschäftigten ohne reguläre Arbeitsverträge – und dass ein erheblicher Teil des Geschäfts am Fiskus vorbei abgewickelt wird. „In einer Produktionskette, in der jährlich 1 Milliarde Dollar hinterzogen wird, stößt jedes Vorhaben gegen die Informalität auf Widerstand“, so Ravettino.
Wer die Regeln einhält, leidet unter Wettbewerbsverzerrung. Wer davon profitiert, zeigt wenig Wille zur Änderung. Viertelung und Etikettierung versprechen weniger Informalität und bessere Kontrolle, so der Tenor der Exportbranche.
Fleischkonsum geht zurück
Hinzu kommt ein schrumpfender Markt. Zwar stieg der Wert der argentinischen Rindfleischexporte in den ersten sechs Monaten diese Jahres um gut 40 Prozent auf 1,7 Milliarden Dollar gegenüber dem Vorjahreszeitraum. Das Ausfuhrvolumen nahm jedoch nur um 0,5 Prozent auf 300.000 Tonnen zu. Davon gingen gut 75 Prozent nach China. Doch in der zweiten Jahreshälfte sinken die Weltmarktpreise, nicht zuletzt wegen der geringeren chinesischen Nachfrage. Argentiniens Exportbranche ist so doppelt betroffen.
Der inländische Rindfleischkonsum ist bereits seit Jahren rückläufig. 2021 war der Durchschnittsverbrauch pro Kopf mit 47,8 Kilo auf den niedrigsten Stand seit 1920 gefallen. Mit 63 Kilo lag der Durchschnittsverbrauch pro Kopf im Jahr 2013 zum letzten Mal über der 60-Kilo-Marke. Der Grund ist allein der gestiegene Preis. Statt Rindfleisch wird mehr billigeres Geflügel oder Schweinefleisch konsumiert. Fleischverzicht ist in Argentinien kein Thema. Zum Vergleich: Der deutsche Pro-Kopf-Konsum lag im vergangenen Jahr bei 9,8 Kilo Rindfleisch.
Mit der Viertelung der Rinder setzt die Regierung auf eine Senkung des Fleischpreises gerade in den ärmeren Vierteln der Bevölkerung. Da keine halben Rinder mehr geliefert werden, können die örtlichen Fleischereien günstigere Teilstücke ohne die teuren Filetstücke ordern, so das Kalkül. Denn damit auch die teuren Filets über die Ladentheke gehen, verringern die Fleischereien deren Preis über eine Art Umlage, die auf die preisgünstigeren Stücke verteilt aufgeschlagen wird. Ob diese Umlage tatsächlich entfällt, wird sich an der Fleischtheke zeigen, zumal bei einer korrekten Abführung von Abgaben und Steuern der Fleischpreis steigen müsste.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
Starten Sie jetzt eine spannende Diskussion!