Neue Musterungspflicht: Ein Zwangsdienst ist noch nicht vom Tisch
Einen Automatismus für die Rückkehr zur Wehrpflicht gibt es erstmal nicht. Aber ohne genügend Freiwillige könnte die Debatte mit Wucht wieder hochkommen.
W as für ein absurdes Theater. Da streiten sich Union und SPD monatelang auf offener Bühne über die Neuaufstellung des Wehrdienstes – und das Ergebnis ist, dass sie sich letztlich in allen zentralen Punkten doch den Vorstellungen von Bundesverteidigungsminister Boris Pistorius fügen. Der vom Bundeskabinett bereits im August beschlossene Entwurf des neuen Wehrdienst-Modernisierungsgesetzes wird nun also ohne größere Änderungen den Bundestag passieren.
Das hätten die Koalitionäre auch einfacher haben können, vor allem ohne die vielen desaströsen Schlagzeilen, die sie produziert haben. Das Schwadronieren der Fraktionsvorsitzenden über ihre vermeintlich große Verständigung, die sie jetzt erreicht hätten, wirkt da schon ziemlich lächerlich.
Pistorius kann sich freuen: Die skurrile Idee, per Los auswählen zu wollen, wer überhaupt zur Musterung muss, ist wieder vom Tisch. Sein Ziel ist schließlich, einen möglichst umfassenden Überblick über die Wehrtauglichkeit junger Männer in Deutschland zu bekommen. Das wäre durch ein Losverfahren vor der Musterung, auf die sich die Unterhändler:innen von Union und SPD zunächst eigentümlicherweise verständigt hatten, konterkariert worden.
Aber auch weniger Militärbegeisterte können aufatmen: „Einen Automatismus zur Aktivierung der Wehrpflicht wird es nicht geben“, steht wörtlich in der Vereinbarung von Union und SPD. Das hatten sich CDU und CSU anders vorgestellt. Dass die SPD nicht bereit war, hier klein beizugeben, ist erfreulich. Das heißt jedoch nicht, dass die leidige Wehrpflichtdebatte damit endlich vorbei ist. Falls sich weniger freiwillige Soldat:innen als von Pistorius erhofft finden, wird sie schnell und mit voller Wucht wieder hochkommen.
Entsprechend sollten Gegner:innen eines Zwangsdienstes nicht die trügerische Hoffnung haben, sie hätten die Schlacht bereits gewonnen. Aber wenigstens wird kein Präjudiz geschaffen. Dass die Koalitionäre jetzt explizit festgeschrieben haben, dass es für die Wiedereinsetzung der Wehrpflicht eines regulären Gesetzgebungsverfahrens bedarf, ist schon ein Fortschritt, entspricht aber auch nur dem gegenwärtigen Status Quo.
Wirklich erfreulich ist, dass das Getöse der Koalitionäre immerhin in einem Bereich zu einem guten Ergebnis geführt zu haben scheint, der nichts mit der unerfreulichen Renaissance des Militärischen in Deutschland zu tun hat: Der zivile Bundesfreiwilligendienst soll nun wohl doch nicht weiter runtergekürzt, sondern gestärkt werden.
Zur Förderung von freiwilligem sozialen, ökologischen und kulturellen Engagement sollen hier 15.000 neue Stellen geschaffen werden. Hoffentlich halten die Koalitionäre Wort. Sicher kann man sich da leider nicht sein.
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