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Neue MusterungspflichtEin Zwangsdienst ist noch nicht vom Tisch

Pascal Beucker

Kommentar von

Pascal Beucker

Einen Automatismus für die Rückkehr zur Wehrpflicht gibt es erstmal nicht. Aber ohne genügend Freiwillige könnte die Debatte mit Wucht wieder hochkommen.

Bald heißt wieder „Bereit zur Stubeninspektion“ für viele die das so gar nicht wollen Foto: Federico Gambarini/dpa

W as für ein absurdes Theater. Da streiten sich Union und SPD monatelang auf offener Bühne über die Neuaufstellung des Wehrdienstes – und das Ergebnis ist, dass sie sich letztlich in allen zentralen Punkten doch den Vorstellungen von Bundesverteidigungsminister Boris Pistorius fügen. Der vom Bundeskabinett bereits im August beschlossene Entwurf des neuen Wehrdienst-Modernisierungsgesetzes wird nun also ohne größere Änderungen den Bundestag passieren.

Das hätten die Koalitionäre auch einfacher haben können, vor allem ohne die vielen desaströsen Schlagzeilen, die sie produziert haben. Das Schwadronieren der Fraktionsvorsitzenden über ihre vermeintlich große Verständigung, die sie jetzt erreicht hätten, wirkt da schon ziemlich lächerlich.

Pistorius kann sich freuen: Die skurrile Idee, per Los auswählen zu wollen, wer überhaupt zur Musterung muss, ist wieder vom Tisch. Sein Ziel ist schließlich, einen möglichst umfassenden Überblick über die Wehrtauglichkeit junger Männer in Deutschland zu bekommen. Das wäre durch ein Losverfahren vor der Musterung, auf die sich die Un­ter­händ­le­r:in­nen von Union und SPD zunächst eigentümlicherweise verständigt hatten, konterkariert worden.

Aber auch weniger Militärbegeisterte können aufatmen: „Einen Automatismus zur Aktivierung der Wehrpflicht wird es nicht geben“, steht wörtlich in der Vereinbarung von Union und SPD. Das hatten sich CDU und CSU anders vorgestellt. Dass die SPD nicht bereit war, hier klein beizugeben, ist erfreulich. Das heißt jedoch nicht, dass die leidige Wehrpflichtdebatte damit endlich vorbei ist. Falls sich weniger freiwillige Sol­da­t:in­nen als von Pistorius erhofft finden, wird sie schnell und mit voller Wucht wieder hochkommen.

Entsprechend sollten Geg­ne­r:in­nen eines Zwangsdienstes nicht die trügerische Hoffnung haben, sie hätten die Schlacht bereits gewonnen. Aber wenigstens wird kein Präjudiz geschaffen. Dass die Koalitionäre jetzt explizit festgeschrieben haben, dass es für die Wiedereinsetzung der Wehrpflicht eines regulären Gesetzgebungsverfahrens bedarf, ist schon ein Fortschritt, entspricht aber auch nur dem gegenwärtigen Status Quo.

Wirklich erfreulich ist, dass das Getöse der Koalitionäre immerhin in einem Bereich zu einem guten Ergebnis geführt zu haben scheint, der nichts mit der unerfreulichen Renaissance des Militärischen in Deutschland zu tun hat: Der zivile Bundesfreiwilligendienst soll nun wohl doch nicht weiter runtergekürzt, sondern gestärkt werden.

Zur Förderung von freiwilligem sozialen, ökologischen und kulturellen Engagement sollen hier 15.000 neue Stellen geschaffen werden. Hoffentlich halten die Koalitionäre Wort. Sicher kann man sich da leider nicht sein.

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Pascal Beucker
Inlandsredakteur
Jahrgang 1966. Arbeitet seit 2014 als Redakteur im Inlandsressort und gehört dem Parlamentsbüro der taz an. Zuvor fünfzehn Jahre taz-Korrespondent in Nordrhein-Westfalen. Seit 2018 im Vorstand der taz-Genossenschaft. Sein neues Buch "Pazifismus - ein Irrweg?" ist Mitte vergangenen Jahres im Kohlhammer Verlag erschienen.
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9 Kommentare

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  • Tja, da sieht man mal wieder, wie schnell so ein Staat auf die Wünsche und Bedürfnisse junger Menschen pfeift (sind in der Mehrheit gegen diese demütigende Maßnahme) und sie nur als Verfügungsmasse sieht, während er gleichzeitig nichts in das, was diese Menschen wirklich brauchen, investiert. Gelder für die Jugendhilfe werden faktisch gekürzt, das Bildungssystem ist marode und Klimaschutz brauchen wir anscheinend nicht mehr.



    Und dann wundert man sich, wenn einem sone Gesellschaft um die Ohren fliegt.



    Ich hoffe, dass die Menschen sich ein Beispiel an den Protestbewegungen im globalen Süden nehmen.

  • Es kommt selten vor, aber manchmal setzt sich einfach die Vernunft durch.



    Ein Losverfahren als "gerecht" zu verkaufen, sorgte für Kopfschütteln .



    Der Aufbau neuer Strukturen beginnt mit einer Statistik.



    Das ist sinnvoll.



    Die Erfassung durch einen Fragebogen und eine Musterung sind erste Schritte, die organisiert werden wollen.



    Die Union wollte zuerst die Wiedereinführung der Wehrpflicht in 2025. Da haben sich offenbar Menschen zu Wort gemeldet, die von Organisation keine Ahnung haben.



    Doch noch nimmt man kleintrump als Beispiel, ist auch Unsinn durchsetzbar.



    Gut, dass sich hierzulande Pistorius mit vernünftigen Vorschlägen durchgesetzt hat.



    Freiwilligkeit ist ein Angebot.



    Dass wir nicht länger auf die Amis schimpfen und uns gleichzeitig von ihnen beschützen lassen können, sollte sich eigentlich auch herumgesprochen haben.



    Wer Argumente gegen einen russischen Angriff hat, sollte Putin einfach mal anrufen, sicher ist dann auch ein Ende des Ukrainekriegs ein Ding von Minuten.



    Diplomatie ist der Königsweg. Leider scheint da momentan Vieles zerstört zu werden.



    Da müssen wir uns erstmal selbst helfen und versuchen uns selbst zu beschützen.

  • "...Renaissance des Militärischen in Deutschland..."



    Es gibt keine "Renaissance des Militärischen" in Deutschland! Es gibt eine parlamentarisch demokratische Entscheidung ein Mindestmaß an Verteidigungsbereitschaft gegenüber dem russischen Aggressor herzustellen und dafür notwendigerweise die deutsche Bevölkerung in die Pflicht zu nehmen - so wie es schon immer war seit Gründung der Bundesrepublik, und so, wie es das GG vorsieht! Eine "Renaissance des Militärischen in Deutschland" zu insinuieren bzw. von einem "Zwangsdienst" zu raunen, aber gleichzeitig mit keinem Buchstaben die Gründe für die angestrebten Maßnahmen zu benennen, nenne ich - gelinde gesagt - maximal tendenziöses raushauen von Meinung! Die Russen werden sich nicht vom Windeln wechseln beeindrucken lassen.

    • @Demokratischer Segler:

      Im Gegensatz zum Russen, der in den nächsten Jahren angeblich vor der Haustür stehen soll, gibt es tatsächlich Probleme, von denen wir wissen, dass sie auf uns zukommen. Nämlich ein großer Mangel an Pflegekräften. Und alte, pflegebedürftige Menschen werden in der Regel nicht von Soldaten gepflegt.



      Und von dieser Entscheidung sind in allererster Linie junge Menschen betroffen, hier auch in der Mehrheit dagegen sind. Ne tolle Demokratie ist das, die hier die Mehrheit der Betroffenen einfach ignoriert.

  • Was in der Diskussion immer zu kurz kommt. Die Wehrpflicht wurde nie abgeschafft, sondern nur im Frieden ausgesetzt. Auch ohne Gesetzesänderung kann im Kriegsfall jeder gezogen werden. Vielleicht ist es dann nicht völlig schlecht, vorher schon mal eine Waffe in der Hand gehabt zu haben. Man kommt dann nicht völlig ahnungslos ins Feuer...

    • @warum_denkt_keiner_nach?:

      Früher hat die Artillerie die meisten Soldaten getötet, da war die Erste Hilfe Ausbildung tatsächlich wichtiger als Schießen was man aus dem Wehrdienst mitgenommen hat für den potentiellen Kriegsfall. Heute töten Drohnen die meisten Soldaten da ist das Schießen tatsächlich wichtiger.

  • Dass alle jungen Männer eines Jahrganges gemustert werden ist in Ordnung, leider werden die jungen Frauen hierbei weiter nicht berücksichtigt, sie sind sicher nicht weniger gut wie die Männer.



    Mit Freiwilligkeit des Wehrdienstes wird es nicht klappen, man geht zwar in die Muckibude um toll zu wirken oder spielt Krieg am Computer, aber beim Wehrdienst, wenn es Ernst werden könnte, haben viele dieser Jungs richtig Schiss.

  • Im Kriegsfall sollte die Wehrpflicht für alle die sich längerfristig auf dem Bundesgebiet aufhaltenden zwischen 18-70 gelten. Auch Ausländer genießen in diesem Staat viele Privilegien, vorallem wenn man es global vergleicht und sollten daher verpflichtet sein im Kriegsfall ihren Dienst zu leisten. Das Verlassen des Bundesgebiets sollte nur für schwer kranke, alleinerziehende Eltern und Menschen über 70 erlaubt sein. Der Recht hat seine Pflicht zu tun. Es sollte ein Recht geben den Dienst an der Waffe zu verweigeren aber d.h. nicht das man den Dienst an der Front verweigern kann. Man fährt dann halt unbewaffnet Nachschub, trägt die Ausrüstung für Soldaten, birgt verwundete und gefallene oder hebt Gräben aus.

  • Ich finde diese Entscheidung wie sie es machen super. Das ist ein guter Kompromiss für alle