Neue Enthüllungen über Springer-Chef: Skrupelloser Herr Döpfner

Der Springer-Vorstand deckte Julian Reichelt wohl länger als zugegeben. Für sein Haus mag er der richtige Chef sein – für die Zeitungsverleger nicht.

Mathias Doepfner und Friede Springer stehen vor dem Neubau

Immer schön lächeln: Mathias Döpfner und Friede Springer im Oktober 2020 Foto: Daniel Biskup/laif

Mathias Döpfner ist ein mächtiger Mann. Er ist Top-Manager und heimlicher Erbe eines der größten Medienunternehmen in Deutschland und Europa: des Axel Springer Verlags. Er sitzt in den Verwaltungsräten von Warner Music und Netflix. Döpfner ist auch Präsident des Bundesverbands Digitalpublisher und Zeitungsverleger (BDZV), er vertritt also offiziell die deutsche Presse.

Mathias Döpfner soll aber auch ein Vertuscher und Komplize im Skandal um seinen Mitarbeiter, den Ex-Bild-Chef Julian Reichelt, sein. Dies legt eine Recherche der britischen Financial Times (FT) nahe, die diese Woche erschienen ist. Die Recherche legt eindrucksvoll offen, dass die Führungsriege bei Springer, was Reichelts Verhalten angeht, längst nicht so ahnungslos war, wie sie ein halbes Jahr lang behauptet hatte. Vielmehr übte sie sich im Versuch, Betroffene und Kritiker mit schmierigen Mitteln zu bekämpfen.

Im Fall Reichelt geht es um Vorwürfe mehrerer Mitarbeiterinnen, der Chefredakteur habe sexuelle Gefälligkeiten gegen berufliches Vorankommen und andere Vorteile getauscht. Darüber berichtete im März 2021 zuerst der Spiegel. Springer beauftragte die Kanzlei Freshfields danach mit einer Untersuchung und verbreitete anschließend, Reichelt habe „Fehler gemacht“, setzte ihn aber erneut als Chefredakteur der Bild ein – alles noch im März.

Im Oktober dann zwangen Recherchen der New York Times und des damaligen Investigativteams beim Ippen-Verlag die Springer-Führung, Reichelt doch zu kündigen. Von „neuen Erkenntnissen“ sprach Springer da. Reichelt habe „nach Abschluss des Compliance-Verfahrens im Frühjahr“ erneut Privates und Berufliches nicht klar getrennt. So stellte sich der Verlag als der Betrogene dar. Kurz bevor Döpfner im Oktober zur Politico-Redaktion nach Washington flog, die Springer da gerade gekauft hatte, wandte er sich mit einem Video an die Belegschaft. Er bestritt, schon länger etwas über die Beziehungen Reichelts gewusst zu haben; gab den Unwissenden, der Reichelt einmal zu oft vertraut hatte. Fast reumütig sagte er: „Hinterher ist man immer klüger.“

Untragbare Führungskraft

Nun aber zeigt die FT, dass Döpfner und dem Springer-Vorstand die Tragweite des Problems Reichelt zwischen März und Oktober durchaus bewusst gewesen sein muss. Die schwerwiegendsten Vorwürfe gegen Reichelt waren ihnen bekannt, spätestens nach dem Compliance-Verfahren und definitiv vor dem Erscheinen der New-York-Times-Recherche.

Anstatt sich aber von einer professionell und menschlich untragbaren Führungskraft zu trennen, muss Döpfner versucht haben, alles zu kaschieren. Mit großem Aufwand: Er engagierte offenbar einen Anwalt eigens dafür, gegen betroffene Mitarbeiterinnen zu ermitteln – sowie gegen die Satiriker Jan Böhmermann und Friedrich Küppersbusch, die über die Vorwürfe öffentlich Andeutungen gemacht hatten.

Döpfner war entschlossen, so scheint es, alles als böse Verschwörung gegen sich und den Verlag darzustellen. Das zeugt von Skrupellosigkeit gegenüber der eigenen Belegschaft. Selbst jetzt, wo die FT-Recherche die Rolle von Springers Spitze in der Causa Reichelt offengelegt hat, behauptet der Verlag weiterhin, die FT zeichne „ein irreführendes Bild“. So steht es in einer internen Mail des Vorstands an die Belegschaft. Eine detaillierte Stellungnahme fehlt jedoch. Stattdessen solle gemeinsam daran gearbeitet werden, Springer „zu einem besseren Unternehmen zu machen“.

Über die erste, interne Untersuchung durch die Kanzlei Freshfields wurde Reichelt laut FT laufend unterrichtet. Details aus dem Bericht sollen es Reichelt möglich gemacht haben, Zeuginnen zu identifizieren. Er soll die Mutter einer Betroffenen angerufen und unter Druck gesetzt haben. Denn sollte die Untersuchung bekannt werden, wird ein Vorstandsmitglied bei Springer zitiert, würde das Unternehmen das nicht überstehen.

Unternehmen reinwaschen

Diese Vertuschungsstrategie scheiterte erst mit der New-York-Times-Recherche im Oktober. Denn nun stand das Ansehen des Verlags bei gegenwärtigen und künftigen US-Partnern auf dem Spiel. Bei Affären mit Untergebenen versteht Corporate America keinen Spaß. Reichelt war nicht länger tragbar, das Unternehmen dagegen musste reingewaschen werden. Döpfners Skrupellosigkeit traf nun auch seinen eigenen „besten Mann“.

Wäre dies eine Parabel über Gerechtigkeit, würde diese Skrupellosigkeit irgendwann auch Döpfner selbst zum Verhängnis werden. Döpfner müsse gestürzt werden, liest man nun auch bei jeder Gelegenheit. Seine Macht ist jedoch sicherer, als viele sich das vorstellen.

Denn die Basis seiner Herrschaft ist komplex. Döpfner ist gleich Springer – oder wie es die dpa im September 2020 schrieb: „Springer ist jetzt Döpfner.“ Da war gerade bekannt geworden, dass Friede Springer Döpfner rund 15 Prozent ihrer Anteile am Unternehmen geschenkt hatte. Anders ausgedrückt: Sie hat ihm einen Batzen Macht rübergeschoben. Mit weiteren Anteilen zusammen ist Döpfner nun gleichauf mit der Verlegerin. Von ihm verspricht sich Friede Springer, dass er für Kontinuität sorgt, wie sie in einem Interview sagte. Diesen Auftrag erfüllt er – mit allen Mitteln.

Seine Macht besteht aber auch in der Ehrfurcht, die man ihm und Springer in Deutschland entgegenbringt. Man muss den ausländischen Kol­le­g:in­nen dankbar sein: New York Times und Financial Times treiben Döpfner vor sich her, während mit Ippen ein großer deutscher Verlag seine Recherche einfach versenkte.

Selber Politbüro

Drittens ist es das Ansehen, das Döpfner hierzulande als Person genießt. Anders als Provokateure wie Julian Reichelt und Ulf Poschardt gilt der Kunstkenner Döpfner als kultivierter, verlässlicher Partner, so auch als Vertreter der freien Presse im BDZV.

Das Präsidium des Verbands sprach ihm selbst noch dann das Vertrauen aus, als bekannt wurde, dass Döpfner eine wirr verschwörungsgläubige Textnachricht an seinen damaligen Freund, den Schriftsteller Benjamin von Stuckrad-Barre, geschrieben hatte – in der er fabulierte, Reichelt sei „der letzte und einzige Journalist in Deutschland, der noch mutig gegen den neuen DDR-Obrigkeitsstaat“ aufbegehre, während „fast alle anderen zu Propaganda-Assistenten geworden“ seien.

Mathias Döpfner hat seine Glaubwürdigkeit längst verloren. Einer, der sich und seinen Verlag als letzte Bastion der Unabhängigkeit begreift, wie ihn die FT zitiert, und der sich umzingelt sieht von Feinden, wird immer mehr selbst zu dieser von ihm verabscheuten Diktatur, die, im Politbüro sitzend, nicht einsehen will, dass ihr System das Problem ist. Das Problem eines Verrückten, der überall eine Verschwörung wittert, ist ja, dass er selbst nicht merkt, verrückt zu sein.

In einem Unternehmen, dessen prominenteste Marke Bild mit Ängsten Geld verdient und das zur Selbsterhaltung offenbar über Leichen geht, ist er damit weiterhin der perfekte Chef; als Sprecher deutscher journalistischer Unternehmen hingegen längst nicht mehr. Am kommenden Montag soll auf einer Versammlung des BDZV vermutlich darüber gesprochen werden, ob Döpfner noch tragbar ist. Die Funke-Mediengruppe hat gegenüber dem Spiegel nun schon klargestellt, dass sie eine „Neuaufstellung der ehrenamtlichen Strukturen“ im BDZV „für unerlässlich“ halte. Diesmal muss eben klar sein: Döpfner sollte seinen Posten räumen.

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