Neue EU-Verordnung: Ökolabel für Atom- und Gaskraft
Die umstrittene EU-Verordnung für nachhaltige Investitionen hat es durchs Europaparlament geschafft. Kritiker sprechen von Greenwashing.
Doch die Mehrheit hat anders entschieden als die Demonstranten: Die Taxonomie kommt. Statt der erforderlichen 353 Abgeordneten votierten lediglich 278 gegen den Rechtsakt, den die EU-Kommission in der Silvesternacht auf den Weg gebracht hatte. Grüne, Sozialdemokraten und Linke schafften es nicht, eine Mehrheit gegen das Ökolabel zu mobilisieren.
Bei den Abgeordneten aus Deutschland, Österreich und Luxemburg sprach sich zwar eine Mehrheit gegen die Taxonomie aus. Parlamentarier aus Frankreich, Polen oder Finnland stellten sich jedoch hinter den Vorschlag der EU-Kommission.
Auch der Vorsitzende des Umweltausschusses, der liberale Franzose Pascal Canfin, stimmte dafür. „Die Sorgen sind nicht berechtigt“, sagte er. Atom und Gas würden auch künftig nicht in dieselbe Kategorie eingeordnet wie die erneuerbaren Energien, außerdem sei das Ökolabel mit Bedingungen versehen.
Auflagen für „grüne“ AKW- und Gas-Investitionen
So sollen Investitionen in neue AKW nur dann als nachhaltig klassifiziert werden, wenn die Anlagen neuesten Standards entsprechen und ein überzeugender Plan für die Entsorgung vorgelegt wird. Zudem sollen die Anlagen spätestens 2045 eine Baugenehmigung erhalten.
Beim „grünen“ Label für neue Gaskraftwerke soll es darum gehen, wie viel Treibhausgase ausgestoßen werden – und ob sich die Anlagen spätestens 2035 mit grünem Wasserstoff oder kohlenstoffarmem Gas betreiben lassen können. Dafür hatte sich vor allem Deutschland starkgemacht.
Diese Vorbehalte reichen den Kritikern jedoch nicht. Sie sprechen von „Greenwashing“ und einer Entwertung des Nachhaltigkeits-Labels. „Diese Entscheidung ist ein Rückschlag für den Klima- und Umweltschutz in Europa“, sagte der SPD-Europaabgeordnete Joachim Schuster.
„Die EU setzt ihre internationale Glaubwürdigkeit als globale Vorreiterin beim Klimaschutz aufs Spiel“, sagte der grüne Europaabgeordnete Michael Bloss.
Die Gegner der Taxonomie hatten wochenlang mobilisiert und zuletzt noch versucht, mit dem Verweis auf Russlands Krieg gegen die Ukraine zu punkten. Wer Investitionen in die Gasindustrie fördere, spiele Kreml-Chef Putin in die Hände, hieß es. Der ukrainische Botschafter Andrij Melnyk forderte alle deutschen Abgeordneten auf, gegen das grüne Label für Gas und Atomkraft zu stimmen. Auch die Grünen machten mit dem Hinweis auf Putin mobil.
Das reichte jedoch nicht aus, um die Taxonomie abzuschießen. Am Vorabend des Votums schwor die konservative EVP-Fraktion ihre Abgeordneten auf ein „Ja“ ein. „Wir wissen, dass wir Gas und Kernenergie für eine Übergangszeit brauchen, um das Netz nicht zu destabilisieren und um den Weg zu erneuerbaren Energien zu weisen“, mahnte der EVP-Koordinator im Energieausschuss, Christian Ehler (CDU). Man dürfe den Streit nicht „ideologisieren“.
Den Befürwortern spielte auch die akute Gaskrise in die Hand, die Deutschland und die EU erschüttert. „Wir müssen uns auf weitere Unterbrechungen der Gasversorgung aus Russland vorbereiten, sogar auf eine vollständige Beendigung“, sagte EU-Kommissionspräsidenten Ursula von der Leyen (CDU) kurz vor der Abstimmung im Europaparlament. In zwei Wochen will sie einen Notfallplan vorlegen.
Bereits im Mai hatte von der Leyen ein Programm namens „Repower EU“ vorgelegt, mit dem sich die Union von russischen Öl- und Gaslieferungen unabhängig machen will. Es sieht auch Investitionen in neue Gasinfrastruktur vor, um den Import von Flüssiggas aus Übersee zu erleichtern und die EU-Staaten besser miteinander zu verbinden. Nur so könne man gegen Putin bestehen, heißt es in Brüssel.
Die Aufnahme in die Taxonomie ist für die Nutzung von Atom und Gas allerdings keine Voraussetzung. Nur hätte man Fonds und andere Finanzprodukte, die entsprechende Projekte finanzieren, nicht mehr als nachhaltig verkaufen dürfen. Das ist jetzt weiter möglich.
Deutschland hatte sich im EU-Ministerrat gegen die Taxonomie ausgesprochen. Eine Klage gegen die Taxonomie schloss die Bundesregierung aber aus. „Wir halten die Erhebung einer Klage nicht für einen geeigneten Weg“, sagte Regierungssprecher Steffen Hebestreit in Berlin. Demgegenüber haben Österreich und Luxemburg bereits Klagen vor dem Europäischen Gerichtshof angekündigt. Die Bundesregierung hatte früher erklärt, man prüfe ein ähnliches Vorgehen. Doch das ist nun offenbar vom Tisch.
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