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Neue Berater der WirtschaftsministerinReiches marktradikale Experten

Die Wirtschaftsministerin beruft einen Beraterkreis. Er besteht aus neoliberalen Ökonom*innen, die sich für weniger Sozialstaat ausgesprochen haben.

Reicht den Neoliberalen die Hand, Katherina und ihr neu berufener Be­ra­te­r*in­nen­stab Foto: Michael Kappeler/dpa

Berlin taz | Bundeswirtschaftsministerin Katherina Reiche beruft ein neues Gremium ein, das ihre Politik noch marktkonformer ausrichten soll. Um „Wachstumskräfte zu revitalisieren und die internationale Wettbewerbsfähigkeit zu stärken, braucht es entschlossene Reformen im Geiste der Sozialen Marktwirtschaft“, sagte die CDU-Politikerin. Für den „Beraterkreis“ zu „Fragen der Marktwirtschaft und Ordnungspolitik“ habe sie deshalb „vier exzellente und anerkannte Wissenschaftler gewonnen“. Alle sind neoliberale Ökonom*innen, die sich zuletzt wie Reiche für weniger Sozialstaat ausgesprochen hatten.

Am umstrittensten: Veronika Grimm, Wirtschaftsprofessorin an der Technischen Universität Nürnberg. Ihr hatte SPD-Bundestagsfraktionsgeschäftsführer Dirk Wiese erst im August eine „neoliberale Herangehensweise“ vorgeworfen, als sie Einsparungen bei der Renten-, Pflege- und Krankenversicherung gefordert hatte. Grimm ist Mitglied der „Wirtschaftsweisen“, also dem Sachverständigenrat zur Begutachtung der gesamtwirtschaftlichen Entwicklung, und nicht nur wegen ihrer konservativen Positionen umstritten. Die anderen „Weisen“ werfen ihr Interessenkonflikte vor, weil sie zugleich Mitglied im Aufsichtsrat des Energietechnik-Konzerns Siemens Energy ist.

Mögliche Interessenkonflikte waren auch beim Düsseldorfer Ökonom Justus Haucap ein Thema. Dem einstigen Chef der Monopolkommission wurde vorgeworfen, er habe dem Fahrdienstleister Uber versprochen, PR-Artikel in der FAZ veröffentlichen zu können, wo er als Kurator der Fazit-Stiftung über die redaktionelle Unabhängigkeit der Zeitung wachen sollte. Haucap hatte dem stets widersprochen und betont, dass zwischen seinem Text zur Liberalisierung des Taxi-Marktes und seinem Eintritt in die Fazit-Stiftung mehr als ein Jahr vergangen sei.

Wie Haucap spricht sich auch der einstige Wirtschaftsweise Volker Wieland gerne für eine „angebotsorientierte Wirtschafts- und Finanzpolitik, die mehr Freiraum für private Initiative und Innovationen schafft“, aus. Wieland und Haucap sitzen auch gemeinsam im konservativen Ökonomen-Club „Kronberger Kreis“, dessen Devise „Mehr Mut zum Markt“ lautet. Grimm und Wieland schrieben im Frühjahr zusammen mit Lars Feld, früher Berater des einstigen FDP-Chefs und Finanzminister Christian Lindner, eine Studie für die umstrittene arbeitgebernahe Lobbyinitiative Neue Soziale Marktwirtschaft. Als ordoliberaler „Ultra“ in Reiches Beraterkreis gilt Stefan Kolev vom unionsnahen Ludwig-Erhard-Forum für Wirtschaft und Gesellschaft in Berlin.

Ist die Einberufung von Claqueren nötig?

Fachleute fragen sich, wieso Reiche die Einberufung von Claqueren für die eigene Politik überhaupt für nötig hält. Die Mitglieder des neuen Gremiums sagten ohnehin das, was die immer noch neue Ministerin Reiche propagiere. „Da können nicht viele neue Impulse kommen“, betont ein Experte, der anonym bleiben möchte. Andere sehen in der Berufung des Gremiums auch einen Affront gegenüber den Expert*innen, auf die Reiches Ressort bereits zurückgreifen kann. Dazu gehören die eigenen Beamt*innen, die Wirtschaftsweisen und zudem der sogenannte Wissenschaftliche Beirat, ein weiteres Gremium mit 39 Wissenschaftler*innen, das das Ministerium „ehrenamtlich und unabhängig“ unterstützt, auf dessen Zusammensetzung Reiche also keinen Einfluss hat.

Viele befragte Ex­per­t*in­nen wollten sich gegenüber der taz nicht öffentlich zu den neuen Be­ra­te­r*in­nen äußern. Anders der emeritierte linke Ökonom Rudolf Hickel. Der Expertenrat sei „eine Kampfansage gegen die bisherige sozial-ökologische Transformation“, so Hickel. Die Mitglieder des neuen Gremiums seien Marktradikale, für die die „Sündenböcke bei Problemen des Marktes“ immer schon feststünden: Es sei „der wuchernde Sozialstaat, die ‚faulen‘ Arbeitslosen, die durch Tarife getriebene Lohnexpansion mit ihren starken Gewerkschaften und schließlich die unter der Steuerlast leidenden Unternehmen“.

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3 Kommentare

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  • Ich wünsche mir, dass alle, die nicht in der gesetzlichen Rentenversicherung und der gesetzlichen Krankenversicherung versichert sind und sonst auch keine Sozialabgaben zahlen, keinerlei diesbezügliche Abstimmungs- und Entscheidungsbefugnisse erhalten.

  • Besten Dank für den guten Artikel. Und vielen Dank für die Anführungszeichen beim Verwenden des Wortes "Wirtschaftsweise" (1x leider vergessen). In vielen Medien wird das Wort leider ohne jeden Anflug von Ironie verwendet. BWL und VWL sind auch keine Wissenschaften. Verbeamtete Professor_Innen geben Ratschläge zu Rente, Arbeitslosenversicherung und GKV. Selber beanspruchen sie üppige Pensionen und sind privat versichert. Aus anderer Leute Leder ist halt gut Riemen schneiden! Und dann noch Beraterhonorare für Lobbyarbeit kassieren, die in diesem Fall der Steuerzahler blecht. Und dann von Bürokratieabbau schwadronieren!

  • Ach, guck einer an. Da wird ein Rat zusammengestellt aus Ökonomen, die mitentscheiden, wie es in diesem Land weitergehen soll. Und das finden die meisten richtig. Ist ja auch klar, die sorgen weiterhin für Wohlstand und so.

    Wenn ich aber einen Rat vorschlage, z.B. für Umwelt oder Transpersonen, die für die Zukunft der Bürger entscheiden, dann sei die sozialistische Idee bekloppt.

    Also, wann fangen wir an, einen Umweltrat zu etablieren? Welcher endlich mal die Fäden in die Hand nimmt? Weil ich bin mir sicher, das Wohlergehen zukünftiger Generationen ist wichtiger, als unser Wohlstand.