Neue Achse Iran-Saudi-Arabien: Verhängnisvoller Bruderkuss
Iran ist wohl bald in der Lage, eine Atombombe herzustellen. Israels Premier Netanjahu hat fast alle Freundschaften verspielt und kann nur zusehen.
I m Nahen Osten wird es nicht langweilig. Während sich die Augen der Welt auf das Drama in der Ukraine richten, verändert sich zwischen dem Mittelmeer und dem Persischen Golf die geopolitische Landkarte. Iran entwickelt sich Schritt für Schritt zur Atommacht. Aktuell sieht es nicht so aus, als würde das noch jemand verhindern können. Die zweifellos beeindruckenden Operationen des Mossad konnten die iranische Kernentwicklung allenfalls verzögern. Ähnlich auch die Kontrollen der Internationalen Atomenergie-Organisation.
ExpertInnen gehen davon aus, dass Iran in erschreckend kurzer Zeit in der Lage sein wird, eine Atombombe herzustellen. Die USA und Europa streben nach einer Wiederaufnahme der Atomvereinbarungen, und offenbar gibt es an dieser Front einen deutlichen Fortschritt. Wobei Staatsoberhaupt Ajatollah Ali Chamenei jüngst bekanntgab, dass selbst eine Wiederaufnahme der Verhandlungen Iran nicht daran hindern werde, das Atomforschungsprogramm fortzusetzen.
Teheran könnte so zwei Fliegen mit einer Klappe schlagen: das Ende der wirtschaftlichen Sanktionen und trotzdem Fortschritte auf dem Weg zur Atombombe.
Überraschend kommt das jüngste Kooperationsabkommen zwischen Teheran und Riad. Saudi-Arabien und Iran sind erbitterte Feinde, die um die Vorherrschaft und Einfluss im Nahen Osten ringen. Der Krieg im Jemen – in dem Saudi-Arabien und die Vereinigten Arabischen Emirate Präsident Abed Rabbo Mansur Hadi gegen die schiitischen Huthi-Rebellen stützten, die praktisch als ein verlängerter Arm Teherans fungieren – gehört dazu.
Ein klares Schwächezeichen
Saudi-Arabien verhedderte sich in dem Krieg, der Riad Milliarden Dollar kostete und der schwere Schäden unter anderem an der Ölinfrastruktur hinterließ, ohne dass es gelang, die verhältnismäßig überschaubaren gegnerischen Truppen zu schlagen. Ein klares Schwächezeichen. Das andauernde Blutvergießen, gepaart mit der kalten Schulter, die die USA – eigentlich ein Verbündeter – Riad zeigten, brachte den energischen Regierungschef, Kronprinz Mohammed bin Salman, zu einer dramatischen Kehrtwende: Er reichte dem Erzfeind die Hand zum Frieden. Inzwischen flirtet bin Salman auch mit den Chinesen. Mit Verpflichtungen zu traditionellen Bündnissen nimmt es der Kronprinz offensichtlich nicht so genau.
Was den Iran betrifft, so mögen dem Kooperationsabkommen ein langfristiges Kalkül zugrunde liegen oder politische Intrigen. Vermutlich aber war es reiner Pragmatismus. Iran agiert hier nicht aus Verstocktheit und Eifersucht, sondern als ein Land, das Chancen ergreift. Die internationalen Sanktionen haben der Wirtschaft Irans schweren Schaden zugefügt, dazu kommen die inländischen Proteste. Die Annäherung an Saudi-Arabien und in der Folge vielleicht an weitere Golfstaaten stärkt das Land und führt zu mehr Stabilität. Und sie ist eine sicherere Karte, als sich im Krieg gegen die Ukraine an der Seite Russlands zu positionieren.
All diese Entwicklungen werden mit Sicherheit Folgen für Israel haben, trotzdem ist das Interesse hier eher gering. Die Schlagzeilen werden unverändert von der Justizreform und den Protesten dagegen beherrscht. Für Benjamin Netanjahu ist es ganz praktisch, dass niemand sein komplett gescheitertes „Iranprojekt“ thematisiert. Auch seine Annäherungsversuche an Saudi-Arabien tragen keine Früchte. Netanjahu ist ein Mann, mit dem niemand mehr gern Geschäfte macht. Es scheint, dass er Israel peu à peu zu einem eher unbedeutenden Land werden lässt. Netanjahu hat versucht, den Nahen Osten in Gute und Böse zu ordnen. Jetzt muss er zusehen, wie die Guten den Bösen in die Arme fallen.
Aus dem Hebräischen von Susanne Knaul
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Stockender Absatz von E-Autos
Woran liegt es?
Erfolg gegen Eigenbedarfskündigungen
Gericht ebnet neue Wege für Mieter, sich zu wehren
Tod des Fahrradaktivisten Natenom
Öffentliche Verhandlung vor Gericht entfällt
Wahlprogramm der FDP
Alles lässt sich ändern – außer der Schuldenbremse
Energiewende in Deutschland
Erneuerbare erreichen Rekord-Anteil
Migration auf dem Ärmelkanal
Effizienz mit Todesfolge