Neonazi-Aufmarsch in Berlin: Alte Nazis im linken Kiez
Rechtsradikale wollten am Samstag in Berlin-Spandau demonstrieren. Wegen angekündigter Gegendemos wichen sie in die Innenstadt aus.
Dieses Jahr aber wichen die Rechten überraschend in die Berliner Innenstadt aus. Einige hundert von ihnen zogen mit Flaggen und Bannern durch Friedrichshain und Lichtenberg. Die Polizei gab an, es sei eine mittlere dreistellige Zahl der Rechtsradikalen unterwegs gewesen.
Das einheitliche Outfit der Neonazis – weißes Hemd, schwarze Hose – sorgte dabei nicht für die vermutlich eigentlich beabsichtigte Wirkung. „Guck mal, die ganzen Kellner“, kommentierte einer der zahlreichen GegendemonstrantInnen, die dafür sorgten, dass die Rechtsradikalen nicht ungestört marschieren konnten. Andere versuchten direkt, lautstark Essensbestellungen aufzugeben.
Zwischen 400 und 800 Menschen waren es laut der Polizei, die in der Innenstadt an ihrer Meinung zu rechtem Gedankengut keinen Zweifel ließen. „Haut ab“ schallte es den Neonazis immer wieder entgegen. Von denen war dagegen außer gelegentlichen Pöbeleien und etwas klassischer Musik aus dem Lautsprecher fast nichts zu hören. Immer wieder mussten die Rechtsradikalen stehen bleiben, weil die Route durch linke AktivistInnen blockiert wurde.
Die Neonazis wurden aus Spandau ferngehalten
Zu den Gegendemonstrationen hatte das Bündnis Berlin gegen Rechts aufgerufen, dem unter anderem die Grüne Jugend, die Linke und Verdi, aber auch Initiativen der Antifa angehören. Die OrganisatorInnen hatten eigentlich damit gerechnet, dass die Neonazis wie in den Vorjahren nach Spandau kommen würden, entsprechend sammelten sich die GegendemonstrantInnen zuerst dort. Als gegen Mittag allerdings klar wurde, dass die Rechtsradikalen nicht mehr auftauchen würden, machten sich viele der rund 2.000 linken DemonstrantInnen auf in die Innenstadt.
„Ein Erfolg“, so die Sprecherin des lokalen Spandauer Bündnis gegen Rechts Anne Düren. Schließlich sei es gelungen, die Neonazis aus dem Viertel fernzuhalten. „Zum Kotzen“ fand sie dagegen das Verhalten der Rechtsradikalen, die mehrere Demonstrationen angemeldet hatten um die eigentliche Marschroute zu verschleiern.
Es half den Rechtsradikalen nicht viel. Als ihre Demo gegen 14 Uhr in Friedrichshain begann, waren die Gegendemonstranten ebenfalls da. Die Lage wurde nun zunehmend unübersichtlich, immer wieder kam es zu Rangeleien zwischen GegendemonstrantInnen und der Berliner Polizei.
Deren Sprecher Thilo Cablitz zog nach Ende der Demonstrationen gegen 19 Uhr dennoch ein verhalten positives Fazit. „Es blieb weitgehend friedlich“, sagte er am Samstagabend. Gelegentlich hätten linke DemonstrantInnen allerdings Steine und Flaschen auf Beamte und Neonazis geworfen, es sei zu Festnahmen im unteren zweistelligen Bereich gekommen, außerdem sei ein LKW in Flammen aufgegangen. Damit seien die Demonstrationen dieses Jahr ähnlich unruhig verlaufen wie im letzten Jahr.
Spendenlauf gegen Rechts
Im Vergleich zu damals fiel vor allem die Zahl der PolizistInnen auf, die dieses Mal im Einsatz war. Laut Cablitz begleiteten rund 2.300 BeamtInnen die Demonstrationen – mehr als doppelt so viele wie 2017. Die hohe Zahl begründete der Polizeisprecher damit, dass dieses Mal schlicht eine größere Fläche gesichert werden musste, auch die Behörden hätten im Vorfeld nicht gewusst, ob die Nazis in Spandau oder in der Innenstadt demonstrieren würden.
Der Ortswechsel änderte indessen nichts daran, dass die Neonazis unfreiwillig an einem Spendenlauf teilnahmen, den die Initiative Berlin gegen Nazis organisiert hatte. Für jeden Rechtsradikalen, der in Berlin unterwegs war, spendeten Partner wie etwa der Deutsche Gewerkschaftsbund oder die Evangelische Kirche Berlin Mitte eine vorher festgelegte Summe.
„Uns ist dabei egal, wo die Nazis laufen“, sagte der Projektkoordinator Ulf Baler. Laut ihm kamen dank der Rechtsradikalen 14.640 Euro zusammen. Das Geld geht nun an die Organisation Seawatch, die im Mittelmeer Geflüchtete rettet.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Lohneinbußen für Volkswagen-Manager
Der Witz des VW-Vorstands
Deutungskampf nach Magdeburg
„Es wird versucht, das komplett zu leugnen“
Rechte Gewalt in Görlitz
Mutmaßliche Neonazis greifen linke Aktivist*innen an
Polizeigewalt gegen Geflüchtete
An der Hamburger Hafenkante sitzt die Dienstwaffe locker
Gedenken an den Magdeburger Anschlag
Trauer und Anspannung
Insolventer Flugtaxi-Entwickler
Lilium findet doch noch Käufer