Prozess nach Rudolf-Heß-Marsch: Offensiv gegen Heß und Polizei
Eine Antifaschistin hatte einen Nazi-Aufmarsch blockiert und klagt vor Gericht selbst an. Ein Polizeizeuge verstrickt sich in Widersprüche.
Vorgeworfen wird der 23-Jährigen, sich während einer kurzzeitigen Blockade des neonazistischen Gedenkmarsches für den Hitler-Stellvertreter Rudolf Heß im August 2018 vermummt und bei ihrer Festnahme widersetzt zu haben. Die Polizei hatte damals Tausende GegendemonstrantInnen in Spandau quasi in die Falle laufen lassen und die Nazis per S-Bahn zum Alex eskortiert. Von dort liefen sie die Landsberger Allee entlang nach Lichtenberg. Mehrere kleine Blockaden setzten sich den etwa 700 Geschichtsvergessenen in den Weg, mit dabei die angeklagte Aktivistin.
Etwa 50 ihrer UnterstützerInnen sind am Donnerstagmittag ins Gericht gekommen, um ihre Solidarität zu demonstrieren. Die wenigen, die es in den kleinen Gerichtssaal geschafft haben, brechen nach Verlesen der Prozesserklärung in Jubel aus.
Die Angeklagte hatte in ihrem pointiert vorgetragenen Text auf die vielfältigen Verstrickungen deutscher PolizistInnen mit dem Nazimilieu hingewiesen und resümiert: Solange PolizistInnen „Nazi-Aufmärsche durchsetzen“, bleibe der „Widerstand gegen ein System der Ausbeutung und Unterdrückung oft auch eine Konfrontation mit ihnen“. Im Publikum werden Schilder hochgehalten, etwa: „Jeder Vorgang lässt sich so verändern, dass das rechtswidrige Verhalten der Polizei dem Gegenüber angelastet werden kann.“
Das Problem Polizeizeuge
Danach schildert ein Polizeizeuge seine Festnahme der Angeklagten im Anschluss an die Blockade. Er sagt aus, dass die Frau die ganze Zeit über mit Mütze, Sonnenbrille und Schal vermummt gewesen sei und bei ihrer Festsetzung mit „beiden Armen umhergeschlackert“ habe. Auf Nachfrage muss er einräumen, eine Vermummung während der Blockade – als auf der anderen Straßenseite die Neonazis vorbeizogen – nicht gesehen, sondern einem Bericht entnommen zu haben. Als Polizist müsse er sich ja auf einen Prozess vorbereiten, so seine Rechtfertigung.
Bei weiteren Nachfragen der Anwältin kann er sich nicht erinnern oder verweigert Antworten mit dem Verweis auf polizeitaktische Erwägungen. Ein Video zeigt die blitzschnelle Festnahme mit einem Schmerzgriff von hinten an die Nase. „Auf diese Zeugenaussage kann man sich nicht stützen“, bilanziert die Anwältin. Der Prozess wird mit weiteren Zeugen am 1. August fortgesetzt.
Eine Anmeldung für ein Heß-Gedenken in diesem Jahr liegt noch nicht vor. Gegenproteste sind derweil am Wochenende 16.–18. August quer durch die Stadt angemeldet. „Wir werden weiterkämpfen, dieses Jahr erst recht“, so die Angeklagte.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Prozess zu Polizeigewalt in Dortmund
Freisprüche für die Polizei im Fall Mouhamed Dramé
Ex-Wirtschaftsweiser Peter Bofinger
„Das deutsche Geschäftsmodell funktioniert nicht mehr“
Armut in Deutschland
Wohnen wird zum Luxus
Leben ohne Smartphone und Computer
Recht auf analoge Teilhabe
Ex-Mitglied über Strukturen des BSW
„Man hat zu gehorchen“
Studie Paritätischer Wohlfahrtsverband
Wohnst du noch oder verarmst du schon?