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Nazidemo in BerlinMöchtegern-SA will aufmarschieren

Im Schatten der Antifa-Mobilisierung nach Gießen wollen junge Neonazis in Mitte aufmarschieren. Sie suchen Anschluss an die Strukturen der Ex-NPD.

Neonazi-Aufmarsch in Friedrichshain Ende März Foto: dpa

F ür Antifas steht das kommende Wochenende ganz im Zeichen von Gießen. Diverse Busse werden allein aus Berlin unterwegs sein, um sich der Neugründung der AfD-Jugend dort zu widersetzen. Es wird die wohl größte Aktion des zivilen Ungehorsams, seit im vergangenen Jahr aus ganz Deutschland 15.000 Menschen in 200 Bussen nach Riesa gereist sind, um den AfD-Parteitag dort zu verhindern. Wer noch mitkommen will, findet Tickets im Onlineshop und in diversen linken Läden.

Doch während es viele Antifas heraus zieht, drängen die Nazis in die Innenstadt hinein. Derzeit mobilisiert Die Heimat (früher: NPD) gemeinsam mit den Jungfaschos der Deutschen Jugend Voran (DJV) für den kommenden Samstag (29. November) um 13 Uhr zum Berliner Dom. Dort haben sie eine Demo gegen „Taschendiebe, Betrüger und Hütchenspieler“ angemeldet – weshalb mit einem Fokus auf antiziganistischer Hetze zu rechnen ist. Das Thema wurde von der Ex-NPD zuletzt verstärkt bespielt.

Es ist nicht das erste Mal, dass es das Jungnazi-Milieu rund um die DJV in die Berliner Innenstadt drängt. Schon im letzten Winter versuchten sie mehrere Male, durch Friedrichshain und Mitte zu marschieren, damals noch unter Führung von Ferat Sentürk, der sich inzwischen um ein bürgerliches Rebranding bemüht. Wiederholt wurden die Aufzüge von Tausenden An­ti­fa­schis­t:in­nen blockiert.

Saufen, prügeln, streiten

Für Die Heimat, die auch wegen des Aufstiegs der AfD massiv an Relevanz verloren hat, ist der Termin der Versuch eines Comebacks. Wie die Mobile Beratungsstelle gegen Rechtsextremismus (MBR) der taz mitteilt, handelt es sich um die erste eigenständige Demonstration der Partei seit fast 10 Jahren. Die Heimat versucht deshalb schon länger, das extrem junge Milieu rund um die DJV an die Partei zu binden. Mit dem gemeinsamen Protestaufruf gehen die Jungnazis der DJV einen weiteren Schritt auf die alten Kader zu.

In antifaschistischen Kreisen wird nun diskutiert, wie die Einbindung die Bedrohungsdynamik verändern könnte. Denn bisher agiert die Szene ziemlich unprofessionell. Be­ob­ach­te­r:in­nen sprechen von einem losen Milieu, in dem Alkohol und Drogen eine große Rolle spielen. Das medial vermittelte Bild einer dynamischen Bewegung sei irreführend – oft steckten gescheiterte Liebesbeziehungen und persönliche Konflikte hinter den immer neu auftauchenden Gruppenlabels, wie der „Jägertruppe“ oder der „Berliner Jugend“. Teils bestünden die Gruppen nur aus wenigen Personen.

Die Bewegungstermine der Woche

Keine Eigenbedarfskündigung über 65

Kündigungen wegen Eigenbedarf treffen Mie­te­r:in­nen oftmals unvermittelt und reißen sie aus dem gewohnten Leben. Besonders drastisch kann es für ältere Menschen sein, die schon seit Jahrzehnten in ihrer Wohnung wohnen. Eine Petition fordert: keine Eigenbedarfskündigungen mehr für Menschen ab 65 Jahren! Am Montag soll die Petition mit fast 80.000 Unterschriften an Bundesjustizministerin Stefanie Hubig übergeben werden.

Montag, 24. November, Anton-Wilhelm-Amo-Straße 37, 14 Uhr

Krieg dem Krieg gegen Flinta*

Am 25. November ist der Internationale Tag zur Beseitigung von Gewalt gegen Frauen*. Das Netzwerk gegen Feminizide ruft unter dem Motto „Your War – Our Blood“ zum Protest auf: gegen die internationalen Kriege und die alltägliche Gewalt gegen Flinta*, die vom Militarismus hierzulande befeuert wird. Alle Geschlechter und Familien mit Kindern sind eingeladen. Cis-Männer sind im hinteren Teil der Demo willkommen.

Dienstag, 25. November, Bremerstr. 41, 17:30 Uhr

Die Flamme am Brennen halten

Einen weiteren Protest stellt die antiimperialistische Alliance of International Feminists auf die Beine. Der Fokus hier liegt auf der Solidarität mit allen Freiheitskämpferinnen, die weltweit hinter Gittern sitzen oder Folter und Exil erduldeten müssen. Das erklärte Ziel: Die Flamme des Widerstands am Brennen zu halten, bis alle Mauern, Gefängnisse und Grenzen in Schutt und Asche liegen.

Dienstag, 25. November, Schlesisches Tor, 17 Uhr

Rat und Tat gegen Mieterhöhungen

An jedem vierten Freitag im Monat laden der Berliner Mieterverein mit der Stadtteilinitiative Pankow und Deutsche Wohnen & Co. enteignen zum Mieter:innen-Café – ein offenes Nachbarschaftstreffen für Austausch, Vernetzung und gegenseitige Unterstützung. Egal, ob es Ärger mit der Hausverwaltung oder Unsicherheit bei der Betriebskostenabrechnung gibt – hier wird Orientierung gegeben.

Freitag, 28. November, Platzhaus Helmholtzplatz, Raumerstraße 10, 17 Uhr

Gleichzeitig ist das Milieu von einer enormen Brutalität geprägt. Die Gewalt entlädt sich oft ungeplant und willkürlich: Ein Mann wird in der S-Bahn wegen eines Antifa-Buttons zusammengetreten, SPD-Wahlkämpfer:innen werden attackiert, weil sie zufällig am Bahnhof stehen, an dem die betrunkenen Jungnazis aus dem Zug geworfen wurden. Auch intern herrscht extreme Gewalt: Julian M. soll seiner Ex-Freundin mit dem Tod gedroht haben, ein anderer Nazi wurde nach einem Streit wohl einer Art Scheinhinrichtung unterzogen.

Die Spontaneität geht bisher mit Stümperhaftigkeit einher. Man posiert mit gerade erbeuteten Gegenständen in sozialen Medien und prügelt vor laufenden Kameras los. Mehrere Kader sitzen inzwischen im Gefängnis, darunter der Anführer Julian M., der drei Jahre und drei Monate verbüßen muss. Dass etwa die MBR vorsichtig von einer nachlassenden Mobilisierungsfähigkeit der Szene spricht, liegt wohl auch daran, dass die Staatsmacht inzwischen Konsequenzen aufgezeigt hat.

Man will eine neue SA sein

In antifaschistischen Kreisen befürchtet man nun, dass die Gewalt mit der Eingliederung in Die Heimat strategischer und geschulter ausgeführt werden könnte. Immerhin gibt es in der Partei Wissen und Ressourcen. Wohin es gehen soll, ist laut Chats der Gruppe, die im Fachmedium Antifaschistisches Infoblatt zitiert werden, schon länger klar: „SA-mäßig“ soll die Gewalt auf die Straße getragen werden.

Andererseits wird spekuliert, dass die hierarchischen Parteistrukturen auch abschrecken könnten, weil es für die Spontaneität keinen Raum mehr gibt. „Es bleibt aktuell eine offene Frage, wie attraktiv diese Strukturen für die bisher sehr dynamisch auftretende Szene ist. Die bisherigen Formen der politischen Aktion und der Freizeitgestaltung haben in einer Parteistruktur möglicherweise keinen Platz mehr“, schreibt die MBR der taz.

In jedem Fall kann eine breite zivilgesellschaftliche Gegenwehr helfen, die Motivation zu dämpfen, indem sie die Versuche der faschistischen Raumnahme entschieden zurückweist. Für alle, die nicht in Gießen sind, heißt es deshalb: Auf die Straße, die Nazis blockieren. Der zentrale Anlaufpunkt für alle Ge­gen­pro­test­le­r:in­nen ist der Bebelplatz ab 13 Uhr. Bei An- und Abreise ist dabei die nötige Vorsicht geboten: Die MBR warnt vor gewaltsamen Überfällen seitens der DJV gegen migrantisierte, queere oder linke Menschen.

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Timm Kühn
Redakteur
Textplaner taz Berlin. Schreibt seit 2020 für die taz über soziale Bewegungen, Arbeitskämpfe, Kapitalismus und mehr.
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