Nawalny-Komplex, Reichstag, Populismus: Katastrophe in der Katastrophe
Rote Pipelinien sucht Angela Merkel zu Russland, antifaschistische Schutzwälle sind am Reichstag im Gespräch. Und wo ist eigentlich die Mitte gerade?
t az: Herr Küppersbusch, was war schlecht vergangene Woche?
Friedrich Küppersbusch: Trump will, dass seine Fans zweimal wählen.
Und was wird besser in dieser?
Lesen Sie die taz gedruckt und dann online noch mal. Das ist legal.
Im Fall des russischen Oppositionellen Alexei Nawalny deutet vieles darauf hin, dass er von der russischen Regierung vergiftet wurde. Das sieht sogar die Kanzlerin so. Was sollte daraus folgen?
Russisches Roulette. Merkel hat jede Patrone verschossen, um die eine zu bewahren: zu sagen, dass es die russische Regierung gewesen sei. Das nämlich wäre tödlich – für Merkels Ziele. Die Gaspipeline Northstream 2, den Minsk-Prozess für die Ukraine, eine Lösung des Syrienkrieges, vieles mehr. Putin dagegen hat nichts zu verlieren; dazu reicht ein Blick auf die veröffentlichte Meinung im Westen – da ist der Fall schon gelöst. Prognose: Russland wird Beweise fordern, alles kühl abbürsten; Merkel wird die Partner auf ein Sanktionsfeuerwerk herunterhandeln. Sonst wäre es das historische Kunststück, dass Putin sich durch Merkels Hand ins eigene Knie geschossen hätte.
Russland ist ja auch immer ein beliebtes Thema bei der Linken. Gysi vermutet ein Komplott gegen Putin, Dağdelen will die Wirtschaftsbeziehungen retten, Ernst erwartet Aufklärung aus Moskau. Ist eine Partei mit so einer Außenpolitik regierungsfähig?
Genau! Oder müsste Willy Brandt heute eine politische Heimat in der AfD suchen? Die schweigen dröhnend durch zu Nawalny. Brandt machte seine bahnbrechende Ostpolitik mit dem Weltklasseschurken Breschnew, ein Neostalinist aus dem Diktatoren-Leistungskurs, der Putin noch viel Nachhilfe geben könnte. Wer sich heute unter dem Claim „Wandel durch Annäherung“ gen Osten wagt, ist politisch tot und „Putinversteher“. Es ist eine Katastrophe in der Katastrophe – dass die Mäßigung den Extremisten überlassen wird.
Nachdem Neonazis am vergangenen Wochenende Reichskriegsflaggen auf der Treppe zum Bundestag schwenkten, wird über einen besseren Schutz des Gebäudes diskutiert. Wie sieht der perfekte antifaschistische Schutzwall aus?
Digital. Der Verfassungsschutz hatte vorher gewarnt, Rechtsextremisten mobilisierten „breiter und intensiver“ – das war zu neblig für mehr Polizei am Reichstag. Andere kritisieren, um genau dieses Bild sei es in rechten Chats schon vorher gegangen. Also ein medialer Treffer mit Ansage. Nazis stehen nun mal auf diese „Sturm auf den Reichstag“-Bilder. Noch in der Nacht seiner Machtergreifung hob Hitler das Weimarer Bannmeilengesetz auf; so wichtig ist denen das.
Die Mehrheit der Deutschen ist dafür, Karneval wegen Corona abzusagen. Was sagen Sie als Kölner dazu?
Heilschock. Das Oktoberfest kann man absagen, dann fällt es aus. Den Kölner Karneval kann man absagen, dann birst das Jeckbeamtentum und drunter regiert volkstümliches Infektionsgeschehen. Vorausschauend wählte man einen örtlichen Beerdigungsunternehmer zum Amtskarnevalsboss, und schon 2019 das Motto „Et Hätz schleiht im Veedel“. Das Herz schlägt im Kiez. Dem mafiös überkrusteten „Fasteleer“ konnte nichts Besseres passieren. Danke, Kinderkarnevalsprinz von Ottenstein 1992, Jens I.!
Die „Tagesthemen“ benennen ihre Kommentare um in „Meinung“, damit die ZuschauerInnen besser verstehen, dass es sich hier um eine Einzelmeinung handelt. Kuschen sie damit vor dem rechten Mob?
Die Rubrik war über 42 Jahre durchaus ein solide vom Prompter gelesener Kropf, Chefredakteurs-Folklore. Die Redaktionslichtung, auf der stattliche Zwanzigender aus den Gremien buhlten. Kann man sich als Zuschauer ein Bier holen. Oft genug Thingstätte des hochgestochenen Sowohlalsauchismus. Neuerdings erwies sich manches Wutsolo als viral gängig, und nun steht eher zu hoffen, dass es reichlich Einzelmeinungen gibt.
Auf Demonstrationen in Berlin herrscht jetzt Maskenpflicht. Ist das nicht das, was die Antifa immer wollte?
Gute Frage. Und: Müssen Bankräuber die Maske unter oder über der Maske tragen?
Laut einer aktuellen Studie sind die Deutschen immer weniger populistisch eingestellt. Dominanter würden dagegen rechte Positionen bei Wähler:innen. Was kommt da bei der nächsten Bundestagswahl 2021 auf uns zu?
Die Politik hat auf Corona vergleichsweise autoritär reagiert. Früher sagte Merkel: „Sie kennen mich“ und „kümmern Sie sich um Ihr Leben, ich mach den Rest“. Nun gab’s klare Ansagen der Regierung. Und siehe – ein Teil des hergelaufenen Wählerpacks will’s doch gar nicht anders. Das trennt die Kundschaft der Randparteien – wer nur mal ordentlich geführt werden möchte, kann mittiger wählen; die Rechten bleiben rechts.
Und was machen die Borussen?
Maximal 300 Zuschauer bis Ende Oktober in NRW-Stadien. Drücken wir Leverkusen die Daumen, dass alle kommen.
Fragen: afro, eaz
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