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Naturschutzgebiete schlecht gemanagtDeutschland drohen hohe Bußgelder

Schlamperei und Mängel beim Naturschutz: Die EU-Kommission verklagt die Bundesrepublik vor dem Europäischen Gerichtshof.

Eulenschön: Ein ausgewiesenes Naturschutzgebiet am Tegeler Fließ in Berlin Foto: Christian Spicker/imago

Berlin taz | Die EU-Kommission verklagt Deutschland wegen jahrelanger Verstöße gegen geltendes Naturschutzrecht vor dem Europäischen Gerichtshof. Unter anderem habe Deutschland eine „bedeutende Anzahl von Gebieten immer noch nicht als besondere Schutzgebiete ausgewiesen“, teilte die Brüsseler Behörde am Donnerstag mit.

Es geht um die Umsetzung der Flora-Fauna-Habitat-Richtlinie zum Erhalt natürlicher Lebensräume sowie zum Schutz wildlebender Tiere und Pflanzen. Im Kern weist sie in den EU-Staaten Schutzgebiete aus. Sogenannte Erhaltungsziele sollen den Bestand von Arten schützen oder wiederherstellen. Bereits 2015 hatte die EU-Kommission ein sogenanntes Vertragsverletzungsverfahren gegen Deutschland eingeleitet, bisher hat Berlin die Bedenken nicht ausgeräumt. Dabei sei die „Frist für die Vollendung der notwendigen Maßnahmen für alle Gebiete in Deutschland“ in einigen Fällen schon vor mehr als zehn Jahren abgelaufen.

Die EU-Kommission bemängelt unter anderem, dass „die für die einzelnen Gebiete in Deutschland festgelegten Erhaltungsziele nicht hinreichend quantifiziert und messbar“ seien. Sie geht davon aus, dass es in allen Bundesländern und auf Bundesebene Praxis war, „für alle 4.606 Gebiete von gemeinschaftlicher Bedeutung keine hinreichend detaillierten und quantifizierten Erhaltungsziele festzulegen“. Dies habe „erhebliche Auswirkungen auf die Qualität und Wirksamkeit“ der Maßnahmen.

„Die Klage war lange überfällig“, sagt die Grünen-EU-Abgeordnete Jutta Paulus. Die Bundesregierung lasse es auf eine höchstrichterliche Entscheidung ankommen, statt sich an Gesetze zu halten. „Für ein Land, das sich gerne als umweltpolitischer Vorreiter inszeniert, ist das peinlich“, so Paulus.

„Die unterfinanzierten staatlichen Naturschutzstellen in den Ländern brauchen endlich eine ausreichende Finanzierung“, fordert Olaf Bandt, Vorsitzender des Bund für Umwelt und Naturschutz Deutschland (BUND), „hoffentlich rüttelt die Klage vor dem Europäischen Gerichtshof die Politik wach“. Es wäre sinnvoller Naturschutz ausreichend zu fördern, statt Strafen zu zahlen, so Bandt. Tausende Ehrenamtliche widmeten sich in ihrer Freizeit dem Schutz und der Pflege von Naturschutzgebieten, ohne sie sähe die Naturschutzbilanz Deutschlands noch düsterer aus, betonte er.

Zum Beispiel der Schweinswal

Der Umweltverband Nabu kritisiert vor allem, dass sich Bund und Länder nicht an Vorgaben halten, zu denen sie sich vor fast 30 Jahren selbst verpflichtet hätten. „Es ist ein Unding, dass dies Jahrzehnte nach Inkrafttreten der Fauna-Flora-Habitat-Richtlinie noch erstritten werden muss“, sagt Raphael Weyland, EU-Umweltrechtsexperte des Nabu. Die Konsequenzen der mangelhaften Natura-2000-Umsetzung seien etwa in Nord- und Ostsee nicht zu übersehen. Zuletzt hätten Wissenschaftler einen Rückgang des streng geschützten Schweinswals in seiner Kinderstube im Sylter Außenriff um jährlich fast 4 Prozent in den vergangenen zwei Jahrzehnten dokumentiert. Weder in Schutzgebieten noch in wichtigen Wanderkorridoren werde Deutschlands einziger heimischer Wal wirksam vor den Auswirkungen von Fischerei, Schifffahrt oder Offshorewind geschützt.

Die nächste Bundesregierung müsse die Naturschutzfinanzierung so ausgestalten, dass der Bund die Länder bei der Umsetzung der FFH-Richtlinie besser unterstützt als bisher, sagt Johann Rathke, Koordinator für Agrarpolitik und Landnutzungspolitik des WWF Deutschland. „Mit naturschutzpolitischer Kleinstaaterei kommen wir nicht weiter“, so Rathke. (mit dpa)

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27 Kommentare

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  • 1G
    17900 (Profil gelöscht)

    Die verantwortliche Umweltministerin Svenja Schulze sollte man nicht unerwähnt lassen!!!

  • 0G
    05867 (Profil gelöscht)

    Mag sein, das Deutschland den Umweltschutz in der EU IRGENDWANN mal erfunden hat. Da wissen sie mehr als ich - wäre dankbar für entsprechende Belege.



    Aber das ist wohl schon lange her.



    Heute ist Deutschland eines der dreckigsten Länder Europas, vor allem die Landwirte können hier unbehelligt Grundwasser und Natur mit Ackergiften, Nitrat, Phosphat, Antibiotika und multiresistenten Keimem verseuchen.



    Und gegen Deutschland laufen 15 Verfahren im Umwelt und Naturschutz, ua wegen des mangelhaften Grundwasserschutzes gegen die Landwirte.



    "Wir" sind also nicht so viel besser als Polen und Ungarn.

    • @05867 (Profil gelöscht):

      Wenigstens mal ein fundierter Beitrag ohne jeglichen Populismus ( Ironie aus )

      Man wird nicht gezwungen zu Themen, von denen man augenscheinlich, keine Ahnung hat Beiträge abzugeben.



      Wer immer auf die Landwirte schimpft ( ohne sich richtig zu informieren ) ist nicht besser als Menschen die immer auf Ausländer schimpfen.

  • Das Bundesverfassungsgericht hat bereits im Jahr 1990 ausgeführt: „ Die Bewirtschaftung des Körperschafts- und Staatswaldes dient der Umwelt- und Erholungsfunktion des Waldes, nicht der Sicherung von Absatz und Verwertung forstwirtschaftlicher Erzeugnisse. Die staatliche Forstpolitik fördert im Gegensatz zur Landwirtschaftspolitik weniger die Betriebe und die Absetzbarkeit ihrer Produkte als vielmehr die Leistungsfähigkeit des Naturhaushalts.“ (BVerfG, Urt. v. 31.05.1990, NVwZ 1991, 53).

  • Ein Teil des Problems beim Naturschutz in Deutschland ist das Abdelegieren von Naturschutzaufgaben an Organisationen wie NABU oder BUND, wo je nach Ortsgruppe fähige und engagierte Menschen, aber auch Pöstchenjäger (der gutbezahlte Job für Biologen in der Biologischen Station mit ein paar Buftis als Assistenten) oder naive Laien mit gutem Willen, aber ohne hinreichenden fachlichen Background. Trotz der Mitgliedsbeiträge der mehr als 1,5 Millionen Mitglieder und zusätzlicher Spenden ist man immer scharf auf öffentliche Gelder und lässt sich das Wohlwollen der Politik leider gerne auch mal mit faulen Kompromissen erkaufen. Da wird die Umgehungsstraße abgenickt und dafür das Versprechen abgenommen, irgendeine Feuchtwiese zu schützen, da bekommt der Bürgermeister für ein paar hundert Euro zugunsten eines Kinder-Fledermausprojekts keinen Gegenwind mehr für ein neues Gewerbegebiet usw.

    In den Kommunen oder Kreisverwaltungen wird die Stelle des Naturschutzbeauftragten aus Gründen der Personalknappheit gerne in Personalunion dem Zuständigen Rat für Land- und Forstwirtschaft oder gar dem Bauamt zugeordnet.

    Auch in den FFH-Gebieten wird der eigentlich vorgeschriebene Naturschutz bei weitem nicht satzungsgemäß gehandhabt, viel zu sehr sitzt die alte Scheu, den Grundbesitzern in ihre Angelegenheiten hinein zu reden und damit den Zorn dieser meist einflussreichen Lokalgrößen auf sich zu ziehen. Hinzu kommt ein seltsamer Ehrgeiz staatlich angestellter Revierförster, öffentliche Wälder nach streng kommerziellen Kriterien zu bewortschaften und der Nicht-Eignung vieler Naturflächen für die Landwirtschaft (zu feucht, zu trocken/mager), was sie besonders dafür prädestiniert, als neue Baugebiete ausgewiesen zu werden.

    Analog zur Macht der Jagdlobby wandeln auch immer mehr Angelvereine ehemalige Naturgewässer, die sie von den klammen Kommunen pachten, in Fischmastkloaken um und gefährden dadurch Amphibien, Wasserinsekten, Uferpflanzen etc.

  • "Weder in Schutzgebieten noch in wichtigen Wanderkorridoren werde Deutschlands einziger heimischer Wal wirksam vor den Auswirkungen von Fischerei, Schifffahrt oder Offshorewind geschützt."



    Dafür wird überall das Angeln verboten. Die anderen haben eine Lobby....und echtes Antifouling, das für Angelboote schon lange verboten ist.

  • Wenn das Land was Naturschutz in der EU erfunden hat (mit Ausnahme der Skandinavier vielleicht), jetzt mit Strafzahlungen tu rechnen hat, läuft definitiv etwas falsch in der EU.

    Hier wird es mal wieder übertrieben!

    • @Ruhrpott-ler:

      Das ist eine steile These; mit dem Schutz unserer Biodiversität kann man es gar nicht uebertreiben. Zudem geht es um die Einhaltung der Mindeststandards; hier ist Deutschland unter den Allerletzten - eine absolute Schande. Ich hoffe, Deutschland wird fuer den ganz klaren Rechtsbruch verurteilt und zahlt ueppig Strafe. Es geht ja anscheinend nur so.

  • Danke für den Artikel und die Informationen.

    Das zeigt leider einmal mehr, dass Naturschutz in Deutschland kaum etwas zählt.

    Das passt dazu, dass z.B. diese hässlichen latent aggressiven PKW, SUV genannt so sehr beliebt sind.

    Eigentlich könnten die Fans dieser SUVs genau darin erkennen, dass sie selbst "Natur" sind und dadurch mit Flora und Fauna solidarisch sein.

    • 1G
      17900 (Profil gelöscht)
      @tsitra:

      "Das passt dazu, dass z.B. diese hässlichen latent aggressiven PKW, SUV genannt so sehr beliebt sind."

      BLEIBEN SIE SACHLICH!

  • "Naturschutzgebiete schlecht gemanagt"



    ist damit gemeint wenn der NABU, auf seinen hoch subventionierten Flächen, Tiere verhungern lässt ??



    www.zdf.de/nachric...erhungert-100.html



    wildundhund.de/nab...0vom%2028.%20April.

    • 0G
      05867 (Profil gelöscht)
      @Günter Witte:

      Arbeitet Euch hier doch nicht an rechten Trollen ab.

    • @Günter Witte:

      Das ist ja whataboutism in Reinform: Was bitteschön soll die Schuld unserem Staates schmälern, wenn ein Verband etwas ´falsch` macht. Wenn ich falsch parke zeige ich dann demnächst einfach auf einen X-beliebigen, anderen Falschparker, anstatt mein Knöllchen zu bezahlen? Zudem kann man darueber diskutieren, ob es es wirklich falsch war, was der NABU da gemacht hat, oder nur dumm (weil schlechtes Marketing). Bei unserem Staat dagegen kann man ins Gruebeln kommen, wo da die Prioritäten liegen.

    • @Günter Witte:

      Ne. Für das Management von Naturschutzgebieten ist der Staat (Naturschutzbehörden) zuständig.

      • @Rudolf Fissner:

        Das ist so nicht richtig. Das Management ist keine hoheitliche Aufgabe und z.B. in NRW wurde diese Aufgabe an Biostationen, also Naturschutzorganisationen, delegiert.

        • @Chutriella:

          Der Staat kann seine Zuständigkeit für den Naturschutz nicht einfach abgeben und deligieren.

      • @Rudolf Fissner:

        Nein falsch !!!



        Wenn der NABU auf Flächen die ihm der Staat überlässt, für die dann der NABU Subventionen kassiert, Tiere hält und diese verhungern lässt, ist es ganz alleine in der Verantwortung des NABU.



        Landwirte würden ein Tierhaltungsverbot bekommen und der NABU bekommt Millionen €, Sonderrechte für NGO ??

        • @Günter Witte:

          "Nach der Kompetenzverteilung des Grundgesetzes (GG) fällt der Vollzug des Naturschutzrechts mit wenigen Ausnahmen in die ausschließliche Zuständigkeit der Länder. Dies gilt nach Art. 83 GG selbst dann, wenn Gesetze des Bundes wie das Bundesnaturschutzgesetz vollzogen werden. Dies basiert nicht zuletzt auf praktischen Erwägungen, denn die Landesbehörden können die besonderen Umstände vor Ort am besten einschätzen. Das Bundesamt für Naturschutz (BfN) selbst kann demgegenüber lediglich in wenigen Ausnahmefällen Gesetze vollziehen und ist keine den Landesbehörden" www.bfn.de/themen/...urschutzrecht.html

    • @Günter Witte:

      Wild und Hund ist sicherlich ein guter und neutraler Berichterstatter... Ironie off

      • @Senza Parole:

        Die Zeitschrift zitiert einen Bericht des Landesamtes für Verbraucherschutz und Lebensmittelsicherheit. Was genau kritisieren Sie hier?

      • @Senza Parole:

        Wenn diese Berichte falsch sind dürfen Sie mich gerne aufklären. Wenn sie richtig sind ist es egal wer sie veröffentlicht hat.

    • @Günter Witte:

      Es ist sehr bedauerlich, dass offenbar Tiere verhungert sind.



      Eventuell hat die "Natur" diese Tiere verhungern lassen und nicht der NABU.

      • @tsitra:

        Würden Sie mit Landwirten auch so gnädig umgehen wenn auf einem Hof die Tiere verhungert wären ??



        Und was hat es mit " Natur " zu tun wenn der NABU sich nicht um seine Tiere kümmert ???

        • @Günter Witte:

          Es handelt sich um WILDpferde, die eigentlich in der Natur selber gut zurechtkommen, aber natürlich ist hier viel schief gelaufen. Derartige Tierhaltungsprojekte liegen nun mal im Trend, egal ob Wildpfere oder schottische Hochlandrinder. Mit Naturschutz hat das wenig zu tun, macht aber was her und bringt Geld. Bevor man solche Projekte startet, müssen die ökologiscgen Rahmenbedingungen sorgfältig untersucht werden. Selbst Kleinigkeiten wie stickstoffübersättigtes Gras ohne Nährwert sind relevant.



          Unsere Natur ist nun mal so arg geschunden, die kann gar nicht mehr so viele Wildtiere ernähren, wie manche Menschen es sich erträumen und es wird nicht besser, siehe täglicher Flächenfraß, Glyphosat und Überdüngung.

          • @Khaled Chaabouté:

            Es geht bei Naturschutzmanagement mit Wildtierhaltung nicht um die Wildtiere. Es geht um Biotopschutz. Und da spielt der Einfluss von Wildtieren (Nahrungsaufnahme, Freihaltung von Flächen, Tritt, Verbiss ..) eine bedeutende Rolle.

            Die Anzahl an Wildtieren pro ha wird dabei initial von Menschen festgesetzt. Die muss stimmen.

            Mit "selber gut zurechtkomme" kann sich der Mensch, die letztendlich verantwortliche Naturschutzbehörden nicht aus der Verantwortung stehlen.

        • 4G
          4813 (Profil gelöscht)
          @Günter Witte:

          "Und was hat es mit " Natur " zu tun wenn der NABU sich nicht um seine Tiere kümmert ???"

          Der Grundwiderspruch steckt in diesem ihrem Satz.

          • @4813 (Profil gelöscht):

            Bitte lesen Sie den Beitrag von TSITRA bevor Sie mich kritisieren.