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Nationalratswahl in ÖsterreichDer Alte ist der Neue

Die Partei des Ex-Kanzlers Sebastian Kurz gewinnt noch deutlicher als erwartet. Auch die Grünen haben Grund zu feiern. SPÖ und FPÖ sacken ab.

Kurz zurück im Amt? Viele Wähler*innen wollen das Foto: ap

Das Neue

Zwei Sieger haben die österreichischen Nationalratswahlen vom Sonntag. Sebastian Kurz von der ÖVP und die Grünen. Der Ex-Kanzler konnte laut der ersten Hochrechnung mit 36,8 Prozent (bisher 31,5) einen deutlicheren Sieg einfahren als erwartet. Klar abgeschlagen ist die SPÖ, die mit 22 Prozent (2017: 26,9) ihr historisch schlechtestes Ergebnis verkraften muss, aber den Kampf um Platz 2 mit der FPÖ klar gewann. Der bisherige Koalitionspartner von Sebastian Kurz hat eine Serie von Skandalen doch nicht so gut verkraftet, wie es lange Zeit den Anschein hatte. 16,1 Prozent bedeuten einen Verlust von zehn Prozentpunkten und 21 Mandaten. Zweiter Gewinner neben der ÖVP sind die Grünen, die mit 14,3 Prozent den Wiedereinzug in den Nationalrat geschafft haben.

Vor zwei Jahren waren sie mit 3,8 Prozent knapp an der Vierprozenthürde gescheitert. Die 14,2 Prozent bedeuten das beste bundesweite Ergebnis. Leicht verbessern konnten sich die liberalen Neos. Sie konnten sich von 5,3 auf 7,6 Prozent steigern. Nicht geschafft hat es die Liste Jetzt des Grünen-Dissidenten Peter Pilz, der sich als Aufdecker von Skandalen einen Namen gemacht hat.

Der Kontext

Die Neuwahlen nach weniger als zwei Jahren Rechtsregierung von ÖVP und FPÖ waren notwendig geworden, nachdem der damalige Vizekanzler Heinz-Christian Strache (FPÖ) nach Bekanntwerden des Ibiza-Videos Mitte Mai alle seine Ämter ablegte. Die FPÖ-Minister traten geschlossen zurück, als Kurz auch den Posten von Innenminister Herbert Kickl forderte.

Die FPÖ unterstützte darauf einen Misstrauensantrag der SPÖ gegen die gesamte Regierung Kurz. Präsident Van der Bellen setzte darauf ein Expertenkabinett unter der pensionierten Höchstrichterin Brigitte Bierlein ein, das seither sehr unaufgeregt die Geschäfte führt.

Die Reaktionen

Grenzenloser Jubel herrschte im Kursalon Hübner, wo die ÖVP feierte – schon vor der ersten Hochrechnung. Koalitionspräferenzen gab bei den Siegern keiner ab. „Wir haben mit dem größten Abstand in der Geschichte gewonnen“, sagte ÖVP-Generalsekretär Karl Nehammer. SPÖ-Bundesgeschäftsführer Thomas Drozda führt die Verluste seiner Partei auf die starken Zugewinne der Grünen zurück. Personelle Konsequenzen, also den Rücktritt von Parteichefin Pamela Rendi-Wagner, schließt er aus.

FPÖ-Generalsekretär Harald Vilimsky sagte: „Aus meiner Sicht ist das kein klarer Auftrag, diese Koalition fortzusetzen. Leider.“ Parteichef Norbert Hofer hatte im Wahlkampf für ein Weiter-so mit Sebastian Kurz geworben. Für die Neos, die auf eine Dreierkoalition mit ÖVP und Grünen spekuliert hatten, ist der Zugewinn ein geringes Trostpflaster.

Die Konsequenz

Sebastian Kurz wird von Bundespräsident Alexander Van der Bellen mit der Regierungsbildung beauftragt werden und mit den anderen Parteien Sondierungsgespräche führen. Dank des guten Abschneidens der Grünen wird er drei Optionen für Zweierkoalitionen haben.

Stand: 29. September 2019, 18.15 Uhr

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27 Kommentare

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  • San'S deppert, oda wos ?

  • 0G
    06438 (Profil gelöscht)

    Die Wähler sind die gleichen geblieben wie 2017 - die SPÖ hat verloren weil sozialdemokratische Wähler zu den Grünen abgewandert sind - und SPÖ Wähler sind zu einem kleineren Teil zur ÖVP und zu den Neos gewandert.

    Der Gewinn von Kurz/ÖVP aber auch die starken Verluste der FPÖ sind zu erklären weil viele bräunliche Wähler zur ÖVP übergelaufen sind.

    www.derstandard.at...men-gewandert-sind

    Was bedenklich stimmen sollte ist das in etwa der gleiche Anteil an ehemaligen FPÖ Wählern, die zur ÖVP übergelaufen sind - nicht gewählt haben - sie sind also in den Bereich der Nichtwähler gewechselt.

    Das österreichische Chaos schläft also momentan nur unter der Decke - deshalb die Aussagen der Bräunlichen nach der Wahl das sie sich neu organisieren wollen.

    • @06438 (Profil gelöscht):

      Dass die FPÖ ihr (über Jahrzehnte aufgebautes) Wählerpotenzial in der einen Wahl nicht endgültig verloren hat, liegt irgendwo auch in der Natur ihres gegenwärtigen Problems: Es ist - noch - temporär, da an einzelne Akteure gebunden, deren nachgewiesene Unseriosität den moralisierenden Duktus der Partei stört.

      Die früheren Wähler der FPÖ werden aber, wie schon nach Haiders Abgang, neue Gesichter vorgesetzt bekommen und denen wieder glauben, dass SIE ja nicht solche Dreckschweinchen sind. Und zwar weil sie es glauben WOLLEN. Weil sie auch gerne wieder von oben auf die Liberalen und die Linken (und natürlich die Immigranten) herabsehen und sie als Verbrecher und/oder Volksverräter beschimpfen können wollen. Bis wieder einer ihrer Tribune stolpert...

      Insofern hilft wohl nur dranbleiben und weiter aufdecken, wie sehr die Rattenfängerei mit allen Mitteln bei den Rechtspopulisten zum ganz normalen Geschäft gehört. Vielleicht(!) merkt dasen Klientel irgendwann, dass das ein unvermeidlicher Teil des Politgeschäfts mit der Dumpfheit und der Angst ist. Aber ich würde nicht drauf wetten.

      • @Normalo:

        Die FPÖ könnte tatsächlich dauerhaft einbüßen. Seit Kurz gibt es 2 stramm rechte Parteien. Die FPÖ fürs Grobe und die ÖVP für die, die ein etwas netteres Erscheinungsbild mögen. Inhaltlich sind die Unterschiede kaum vorhanden.

        • @warum_denkt_keiner_nach?:

          Halte ich nur für realistisch, wenn die FPÖ so blöd wäre, jetzt wieder mit der ÖVP zu koalieren. Deshalb wird sie das nicht tun - bzw. den Preis so hoch schrauben, dass selbst ein FPÖ-naher Kurz eine Koalition nicht vertreten könnte.

          Ergo ist am wahrscheinlichsten, dass Kurz mit den Grünen oder der SPÖ koaliert und dafür ein Stück nach links schwappt (den Kurz bekommen Sie ebenso leicht auf "stramm rechts" festgenagelt wie einen Pudding an der Wand). Das dürfte (fast) zwangsläufig die rechte Flanke wieder etwas öffnen und Platz für ein Wiedererstarken der FPÖ schaffen. Kurz könnte einstweilen seinen Koalitionspartner in einen merkelschen Kuschel-Würgegriff nehmen und sich für die nächste Wahl an an seinen Wählern schadlos halten.

          Ganz ehrlich ist so ein überraschend überlegener Sieg wie der der ÖVP aufgrund der fehlenden Koalitionsaussagen vor der Wahl ein "mixed blessing". Es kann zwar niemand ohne Kurz regieren, aber er kann auch immer mehr falsch machen als die Anderen. Kommt es nicht zu einer Regierungsbildung, hat ausschließlich ER versagt. Wenn also die möglichen Koalitionspartner der Versuchung der Macht und der Pöstchen nur glaubwürdig genug widerstehen können, hat Kurz in den Verhandlungen ein ziemlich schlechtes Blatt (ok, "Wenn..." ;-))

          • @Normalo:

            Kurz hat im Wahlkampf immer wieder davon geschwärmt, wie gut er zusammen mit der FPÖ regiert hat. Und zwar mit einem Programm, dass zu 90% FPÖ war.

            Wie sollen SPÖ oder Grüne mit so einem Mann zusammen kommen, ohne ihre Seele zu verkaufen?

            • @warum_denkt_keiner_nach?:

              Wie gesagt hat die FPÖ auch ganz hervorragende Günde, NICHT mit der ÖVP in die Regierung zu gehen und dies auch als einzige Partei schon ziemlich deutlich (wenn auch nicht unrevidierbar) klargestellt. Außerdem hat sie von allen Parteien die beste Ausrede, in die Opposition zu gehen ("sicherlich keinen Regierungsauftrag vom Wähler") und dort am meisten zu gewinnen. Ergo: Die sind raus, weil sie schlicht nicht wollen.

              Ganz anders schaut es bei den Grünen aus. Die sind Mit-Wahlgewinner und daher in der Pflicht, sich nicht um die Verantwortung zu drücken. Und "Verantwortung" schreibt sich halt nach diesem Wahlergebnis mit einem großen "V" wie "Volkspartei". Also werden die beiden sich irgendwie zusammenraufen.

              Meine Prognose also: Die Wiener Grünen werden das Zünglein an der Waage sein., und die zu überzeugen, wird für Kurz richtig teuer. Aber er wird's am Ende machen, weil es ihm immer noch lieber ist als mit Rendi-Wagner regieren zu müssen, und die Grünen viele populäre Themen haben, die man kapern kann.

              • @Normalo:

                "Und "Verantwortung" schreibt sich halt nach diesem Wahlergebnis mit einem großen "V" wie "Volkspartei"."

                Ach Gott. Wieder die Mär von den Volksparteien...

                Aber im Ernst. Ich habe heute einen Kommentar eines österreichischen Journalisten gelesen, in dem er darlegte, dass Kurz auch eine Minderheitsregierung anstreben könnte. Seine Ausführungen klangen schlüssig. Kurz könnte sich dann seinen Mehrheiten suchen, wie er sie braucht. Zumindest für 1 oder 2 Jahre. Und dann greift er nach der absoluten Mehrheit...

                • @warum_denkt_keiner_nach?:

                  Klingt mir weit hergeholt. Das Thema Minderheitsregierung kommt zwar zuverlässig immer wieder um die Ecke, wenn die Koalitionsfrage kompliziert wird. Aber letztlich kann man mit sowas nicht anständig (=programmatisch, planbar) regieren, und deshalb macht das auch niemand, solange es irgendwie anders geht. Die anderen Parteien haben ja nichts davon, den allein Regierenden gut aussehen zu lassen - und dass sie Kurz keine Kanzlermehrheit geben, wenn keiner von ihnen mitregiert, haben sie schon im Frühjahr gezeigt.

                  Ich sehe daher nicht, wie er sich mit sowas einen Gefallen tun könnte, es sei denn, eventuelle Blockaden blieben nicht an ihm kleben. Dafür müssten z. B. die Koaltionsgespräche schon so einseitig scheitern, dass Kurz für Alles, was dann kommt, der Konkurrenz den schwarzen Peter zuschieben kann. So deppert werden sie sich kaum anstellen.

                  Aber wenn Kurz es richtig macht, wird mindestens eine Partei keinen anderen Weg aus der Falle haben, als mitzuregieren. Der offensichtliche Kandidat dafür sind wieder die Grünen - auch weil sie den Präsidenten stellen.

                  PS Was kann ich dafür, dass der Haufen, ohne den keine Mehrheit möglich ist und der als einziger zumindest stimmenmäßig als "Volkspartei" durchgehen kann, auch noch genau so heißt? ;-)

                  • @Normalo:

                    Warten wir's ab. An baldigen Neuwahlen können eigentlich nur die Grünen und Kurz ein Interesse haben. Deshalb halte ich es durchaus für möglich, dass es eine Duldung durch die Parteien gibt, die sich erst einmal sortieren müssen. Aber natürlich sind das nur Möglichkeiten, die man nicht ausschließen sollte.

                    Persönlich glaube ich, dass die Grünen in einer Koalition mit Kurz nur verlieren können. Aber vielleicht sieht man das in Österreich anders. Und schließlich müssen das auch die Österreicher entscheiden und nicht wir.

                    PS: Volkspartei klingt halt immer etwas nach Volksempfänger.

    • 9G
      91491 (Profil gelöscht)
      @06438 (Profil gelöscht):

      Interessante Analyse !



      Danke für den Link.

  • In einer Regierung mit den Grünen kann Kurz seine Politik weitestgehen fortführen, falls er bereit ist, erhebliche Zugeständnisse im Umweltsektor zu machen.

    Angesichts der unmittelbar bevorstehenden Klimakatastrophe, die wir abzuwenden nur noch wenige Jahre Zeit haben, werden die Grünen lieber sozial Schwache und Geflüchtete opfern, wenn im Gegenzug nur der Strom- und Benzinpreis verdoppelt wird.

    • @Elroy Banks:

      Dann müssten die Grünen aber Dingen wie Weltoffenheit und Menschenrechten abschwören...

  • Österreich war schon einmal unter faschistischer Diktatur. Hoffentlich geht's diesmal glimpflich aus. Zur Not gewährt Deutschland politisch Verfolgten Asyl.

    • @C.O.Zwei:

      Das ist eher Unwahrscheinlich. Die Bayrische Grenzpolizei wird sie nicht reinlassen.

  • Der Wähler ist zu respektieren und ich beglückwünsche Herrn Kurz.

  • Personenkult rockt (Trump, Johnson, Thunberg); Kurz geht ja noch, aber die Tendenz macht mir Sorge --》 Bohlen als nächster Kanzler??

    • @unbekannter Biber:

      Bloß nicht, dann müssten ja alle singen :-)

  • "Dank des guten Abschneidens der Grünen wird er drei Optionen für Zweierkoalitionen haben."

    Wenn sich die Grünen mit diesem Halbnazi einlassen, ist ihnen nicht zu helfen...

    • @warum_denkt_keiner_nach?:

      Ähem...hallo, geht’s noch?! „Halbnazi“?! Sebastian Kurz ist von der ÖVP, nicht von der FPÖ!

      • @Saile:

        Es kommt auf die praktische Politik an. Nicht auf den Namen der Partei. Und Kurz macht die Politik der extremen Rechten. Er ist sogar eine Ikone der Rechten.

      • @Saile:

        So dumm wird er hoffentlich nicht sein. Wäre die beste Wahlwerbung für die FPÖ.

        • @NN:

          Kurz hat im Wahlkampf immer wieder betont, wie gut ÖVP und FPÖ miteinander regiert haben...

      • @Saile:

        Ja, Halbnazi, denn er hat mit den Nazis paktiert.

        Wäre er von der FPÖ, würde mann ihn Vollnazi nenne

  • Personenkult rockt (Trump, Johnson, Habeck, Thunberg): Kurz geht ja noch, aber die Tendenz macht mir Sorge --》 Bohlen for chancelor:D

  • Herr Kurz hat alles richtig gemacht. Glückwunsch.