Naidoos Abkehr vom Verschwörungsglauben: Es kann nur besser werden
Xavier Naidoo veröffentlicht ein Video, in dem er sich von „rechten und verschwörerischen Gruppen“ distanziert. Ein guter Anfang, aber nicht genug.
Am Dienstag überraschte Xavier Naidoo seine Fangemeinde – und viele andere, die ihn teilweise schon seit Jahren kritisch beobachten. Nicht dadurch, dass er verschwörungsideologische Inhalte verbreitet hat. Stattdessen hat er auf Youtube und auf Instagram ein Video geteilt, in dem er sich dafür entschuldigt, dass er sein näheres Umfeld, Fans und andere Menschen „mit verstörenden Äußerungen irritiert und provoziert“ habe. Er distanziere sich „von allen Extremen“, insbesondere von „rechten und verschwörerischen Gruppen“. Bis zum Mittwochmittag wurde das Video auf YouTube und Instagram mehr als 500.000-mal aufgerufen.
Nun sagt Naidoo, er habe „Dinge gesagt und getan“, die er heute bereue. Er sei „von Verschwörungserzählungen geblendet“ gewesen. Auch wenn er dabei vage bleibt, nicht sagt, was genau ein Fehler gewesen sei, was er aber vielleicht auch jetzt noch glaube: das Video ist ein Anfang. Sein Statement reicht allerdings nicht aus, um ihn wieder in den Kreis der Mehrheitsgesellschaft aufzunehmen, ihn als einen Menschen wahrzunehmen, der sich gegen gruppenbezogene Menschenfeindlichkeiten wie Antisemitismus, Rassismus, Homofeindlichkeit stellt.
Denn diese Feindlichkeiten hat Naidoo lange Zeit selbst vertreten. Erst im Dezember 2021 urteilte das Bundesverfassungsgericht, dass die Expertin für Verschwörungserzählungen bei der Amadeu-Antonio-Stiftung, Melanie Hermann, Naidoo als „Antisemiten“ bezeichnen durfte. Naidoo vertrat auf seinen Social-Media-Kanälen Verschwörungserzählungen wie die, dass Kinder von einem pädophilen Elitenetzwerk festgehalten werden. Er zog Parallelen zwischen der Corona-Impfung und der Zombieapokalypse. Im Mai 2021 sperrte Youtube nach kurzer Zeit ein Video, in dem Naidoo mit anderen Musikern zusammen gegen die Corona-Impfung singt.
In „Ich mach da nicht mit“ säuselt er ins Mikro: „Dieses Gift kommt niemals in eure Körper rein.“ Ein anderer Musiker ruft dazu auf, sich zu bewaffnen und den „tiefen Staat“ zu vernichten, ein Verschwörungsmythos, der insbesondere von der QAnon-Bewegung aufgegriffen und in das Weltbild eingepasst wird. Im Hintergrund explodiert ein Impfzentrum. Im selben Monat veröffentlichte das Musikprojekt „Die Konferenz“ das Lied „Heimat“, an dem Naidoo ebenfalls mitgewirkt hat – gemeinsam mit Hannes Ostendorf, dem ehemaligen Sänger der Rechtsrock-Band Kategorie C, der 1991 an einem Brandanschlag auf ein Asylheim in Bremen beteiligt war.
Schon vor Corona auffällig
Doch Naidoo fiel auch schon vor Corona mit verschwörungsideologischen Äußerungen auf. 2011 sagte er im „ARD-Morgenmagazin“, Deutschland sei ein „besetztes Land“. Die Erzählung von der andauernden Besetzung ist eine Lüge, die besonders in der Reichsbürger*innen-Szene genutzt wird. Passend zu dieser offensichtlichen ideologischen Nähe trat Naidoo im Oktober 2014 bei einer „Montagswache“ vor dem Bundestag auf und sprach zu den etwa 300 Teilnehmenden. Vor der Bühne: Transparente mit Aufschriften wie „Friedensvertrag jetzt. Nur so können wir uns von dem alliierten Diktat befreien“ und „Hochverrat im Bundestag“. Es wurden Hefte verteilt, die die Lüge von der „BRD-GmbH“ verbreiteten.
Wer möchte, kann Naidoo also sicherlich als einen Menschen bezeichnen, der sowohl die Mythen der Reichsbürger*innen als auch die von QAnon in Deutschland noch populärer gemacht und dadurch zur Gefahr durch Rechte beigetragen hat.
Kontakt in die Szene abbrechen
Und jetzt der Sinneswandel. In dem Video sagt Naidoo, er habe ihn durchlebt, weil seine Frau aus der Ukraine komme und er Freunde und Familie aus dem Land holen musste. Er sei „bestürzt und aufgerüttelt“ von der „russischen Invasion“. Dabei wirkt er ernst, gefasst, organisiert. Er schildert seine „Suche nach Wahrheit“, während der er auf Irrwege gekommen sei. Am Ende noch mal eine Entschuldigung und die Bitte um Verzeihung.
Doch wenn Naidoo es ernst damit meint, wenn er wiedergutmachen möchte, dass er verschwörungsideologische Lügen unter seinen Anhänger*innen verbreitet hat, und welche Folgen das unter Umständen für uns als gesamte Bevölkerung hatte, dann kann das nicht das Ende sein. Es muss eine Abkehr erfolgen von allen Kontakten, die er im verschwörungsideologischen Millieu pflegt – egal, wie praktisch sie sein mögen. Diese Abkehr könnte als Opfer gedeutet werden, das er aus Reue erbringen muss. Doch vor allem wäre sie ein Zeichen und Selbstschutz. Denn wie soll Naidoo einen Ausstieg schaffen, wenn die Menschen, die ihn in seinem Verschwörungswahn gestützt haben, noch in seinem Umfeld sind?
Fehler klar benennen
Außerdem muss Naidoo klar benennen, welche Fehler er gemacht hat. Er muss sich selbst darüber klar werden, wen er bei welcher Gelegenheit wodurch verschwörungsideologisch beeinflusst oder durch Verschwörungsideologien direkt oder indirekt verletzt hat. Er kann nicht vage von einem „Irrweg“ reden und hoffen, dass sich die Opfer seiner vorherigen Äußerungen angesprochen und gewürdigt fühlen.
Eine Entschuldigung besteht im Idealfall aus mehreren Komponenten:
1. „Es tut mir leid, dass“,
2. Eine klare Benennung des Fehlers oder der Tat
3. Eine Erklärung, weshalb man den Fehler oder die Tat begangen hat
4. Eine Absichtserklärung: „In Zukunft möchte ich …, um mein Verhalten wiedergutzumachen.“
Diese Entschuldigungskette hält Naidoo bisher nicht durch. Besonders der letzte Punkt fehlt schmerzlich in seinem Video: Was gedenkt Naidoo nun zu tun?
Er sollte sich öffentlich und bei jeder Gelegenheit gegen Verschwörungserzählungen aussprechen. Ein*e Aussteiger*in kann für Verschwörungsgläubige glaubhafter sein als ein Mensch, der schon seit Jahren gegen Verschwörungsideologien argumentiert. Naidoo weiß, wie es sich anfühlt, in ein Loch aus Lügen hineingezogen zu werden. Er weiß aber auch, wie es ist, diesen Sturz zu erkennen und zu versuchen, sich vom Glauben zu lösen. Diese Erfahrungen können wertvoll sein – wenn er sie öffentlich äußert, nicht nur für ihn selbst, sondern auch für alle Zuhörenden.
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