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Nahost-Konflikt in Berlin(Un-)sagbare Parolen

Eine Berlinerin wird für die Verwendung der Losung „From the River to the Sea“ verurteilt, doch die Strafbarkeit ist nicht unumstritten.

Schriftzug „From The River To The Sea“ auf einem Fenster der Humboldt Universität Foto: Axel Schmid/Reuters

Berlin taz | Das Amtsgericht Tiergarten hat am Dienstag eine Frau aus Berlin wegen Verwendung der Parole „From the River to the Sea – Palastine will be free“ zu einer Geldstrafe von insgesamt 600 Euro verurteilt. Die 22-Jährige soll die Parole auf einer verbotenen Versammlung in Neukölln am 11. Oktober 2023 geäußert haben.

Dem Gericht kam es hier vor allem auf den Kontext – der zeitlichen Nähe zum Überfall der Hamas auf Israel am 7. Oktober 2023 – an. Die Losung könne in diesem Zusammenhang nur als Leugnung des Existenzrechts Israels und Befürwortung des Angriffs verstanden werden, begründete die Vorsitzende in ihrem Urteil.

Die Verwendung der Parole ist umstritten, ein pauschales Verbot sei aber rechtswidrig, entschied zuletzt der bayerische Verwaltungsgerichtshof im Juni. Das Gericht hatte damit einer Beschwerde gegen das Verbot der Parole auf einer genehmigten Demonstration in München stattgegeben.

Mannheimer Gericht widerspricht Bundesinnenministerium

Maßgeblich für eine Strafbarkeit ist nach geltender Rechtsprechung der sogenannte „objektive Empfängerhorizont“ – also wie Unbeteiligte die Losung verstehen. Laut einer Verfügung des Bundesinnenministeriums vom November wird die Parole grundsätzlich der Hamas zugeordnet. Wer sie äußert, dem soll automatisch das Kennzeichen der Terrororganisation zugeordnet werden.

Dieser Auffassung widersprach aber das Landgericht Mannheim Mitte Juni in letzter Instanz. Aus Sicht der Kammer bleibe der Ausspruch „allgemein gehalten“, dessen Geschichte sei komplex und „eine Zueigenmachung der Parole durch die Hamas“ sei zu verneinen, so das Gericht in seiner Urteilsbegründung.

Die Parole ist zwar an einer Stelle der Hamas-Charta von 2017 zu finden, ihr Ursprung liegt aber vermutlich in der britischen Mandatszeit und wird von Pa­läs­ti­nen­se­r*in­nen seit den 1960er-Jahren verwendet. Das Urteil gegen die Berlinerin ist noch nicht rechtskräftig.

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24 Kommentare

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  • Bei der Urteilsbegründung bezog sich die Richterin auf die »Staatsräson« und wiederholte das längst widerlegte Märchen von durch die Hamas geköpften Babys. Was würden Sie ihr entgegnen, wenn Sie die Chance dazu hätten?

    Ich würde ihr vorhalten, dass die Geschichte mit den Babys schon längst als Lüge offenbart und widerlegt wurde. Und dass seit dem 7. Oktober mindestens 16.000 Kinder in Gaza durch die israelische Kriegführung ermordet wurden. Ich würde ihr auch gerne sagen, dass die sogenannte Staatsräson nicht jüdisches Leben schützt – im Gegenteil. Die »Staatsräson« wurde auf Grundlage des Naziregimes aufgebaut, was danach nie aufgearbeitet wurde. Wo Nazis in einem Land, welches nie wirklich entnazifiziert wurde, in höhere Ämter gehoben wurden. Solch einer »Staatsräson« werde ich mich niemals beugen!

    Wie geht es jetzt für Sie weiter?

    Wir werden das Urteil nicht hinnehmen, sondern gehen in Berufung. Ich werde die Strafe erst mal nicht bezahlen. Dann wird der Fall im Landgericht weiter verhandelt und das Urteil hoffentlich aufgehoben.



    www.jungewelt.de/a...nungsfreiheit.html

  • Würde mich sehr wundern, wenn die Vorsitzende als Urteilsbegründung tatsächlich die Leugnung des Existenzrechtes Israels angeführt hätte, da dieses in Deutschland keinen Strafttatbestand darstellt.

    Die Verwendung des Slogans im Kontext zum kurzen zeitlichen Abstand des Massakers kann man schon als Billigung einer Straftat ansehen, zumal die Voraussetzungen, wie eine hinreichende Öffentlichkeit, gegeben waren.

    Im Gegensatz zum Mannheimer Urteil wird hier auch kein Bezug auf den Verbotserlass des BMI hergestellt sondern grundsätzlich Paragraph 140 StGB herangezogen.

    • @Sam Spade:

      "kann man schon"



      Man muss es aber nicht zwangsläufig und das ist nicht nur eine Spitzfindigkeit: das Gericht legt hier ja eine erstmal mehrdeutige Aussage im für den Angeklagten schimmstmöglichen Sinn aus. Das ist eine höchst problematische Vorgehensweise, deren Folgen weit über den aktuellen Fall herausgehen - weil erst einmal legale Meinungsäußerungen mittels einer Hermeneutik des Verdachts im strafbaren Sinne interpretiert werden. Ich schreibe das hier beinahe jeden Tag: aber man sollte sich, jenseits der konkreten politischen Sympathien, einmal überlegen, welche Folgen so ein Vorgehen für demokratische und rechtsstaatliche Standards in Deutschland hat.

    • @Sam Spade:

      Bestraft wird die Billigung eines Verbrechens. Die Richterin führte aus, dass die durch den Spruch implizierte Vernichtung Israels im Kontext des 7. Oktober eine Billigung der an diesem Tag verübten Verbrechen ist.

  • Ursprünglich war der Slogan „Teil eines Aufrufs zur Errichtung eines säkularen und demokratischen Staates im gesamten historischen Palästinensergebiet“, erinnert sich der auf die Region spezialisierte Historiker Maha Nassar auf der Forward-Website . Und fügte hinzu: „Die Palästinenser hofften, dass dieser Staat sie vor jeglicher Unterdrückung schützen könnte, sei es durch Israelis oder durch die umliegenden arabischen Länder.“ »



    Man müsste der Person schon konkret nachweisen können, dass diese damit zur Vernichtung Israels aufruft. Pauschal zu sagen: da diese Person an einer Pro-Palästinensischen-Demonstration teilnimmt reicht als Beweis ist absolut unzureichend.



    Ist "Free Palestine" allein in Deutschland auch verboten?



    Ich persönlich finde dieses Verbot lächerlich, man kann in alles etwas hineininterpretieren wie man es gerade braucht.

    • @Des247:

      In Anbetracht der Kontexte, in dem dieser Satz in den vergangenen Monaten zumeist verwendet wurde: Wie viele Interpretationsarten sehen Sie denn?

      • @Waldreamer:

        „Das Recht des jüdischen Volkes auf das Land Israel ist ewig und unbestreitbar […] Daher werden Judäa und Samaria keiner ausländischen Autorität übertragen; Zwischen dem Meer und dem Jordan wird es nur einen Raum israelischer Souveränität geben“ (Likud-Programm, 1977)

      • @Waldreamer:

        Ich sehe 3 Interpretationen



        1. die von dem Historiker Maha Nassar, der Aufruf zur Errichtung eines säkularen und demokratischen Staates im gesamten historischen Palästinensergebiet



        2. die Besatzer ziehen sich aus den palästinensischen Gebieten zurück



        3. die Variante aus Israels Sicht, die Vernichtung des Staates Israel inklusive der Vertreibung aller Juden.

        Haben sich nicht die Rechtsextremen der israelischen Regierung offen für einen jüdischen Staat "from the river to the sea" ausgesprochen? Bekommen die auch Strafen? Wer im Glashaus sitzt sollte nicht mit Steinen werfen.

        • @Des247:

          Die israelische Regierung vermasselt es sich zurzeit aus eigener Verschuldung mit der internationalen Unterstützung, soweit sind wir auf einer Linie. Deren Nutzung des Spruchs war aber gerade nicht das Thema.

          Möglicherweise kommt es darauf an, wo man selbst die Verwendung von "From the River to the Sea" mitbekommen hat. Wir alle informieren uns schließlich individuell. Ich vernehme leider oft eine Verankerung in der, wie Sie es nennen, "Variante aus Israels Sicht".

        • @Des247:

          Israel reicht bereits from the river to the sea. Wenn Israelis den Spruch benutzen, ist das etwas anderes, als wenn Palästinenser und ihre Sympathisanten es tun.

          Es KANN einfach kein Palästina vom Jordan bis zum Mittelmeer geben, weil das zwangsläufig ein Verschwinden Israels bedeutet. Wie können Sie das eigentlich bestreiten? Tun Sie nur so?

          • @Suryo:

            Hier biegen Sie sich die Aussage aber zurecht: wenn Israelis (ohne "die" - das machen nämliche nur manche und zwar aus einem bestimmten politischen Spektrum) diesen Spruch benutzen, dann nicht, um auf die Geographie Israels hinzuweisen, sondern um den von Rechtsparteien wie Likud erhobenen Anspruch auf das gesamte historische Palästina, inklusive Gaza, Ostjerusalem und Westjordanland zu unterstreichen.

    • @Des247:

      Es kann ein freies Palästina geben, aber eben nicht vom Jordan bis zum Mittelmeer, weil das ZWINGEND LOGISCH die Beseitigung, also Vernichtung, Israels bedeutet, denn Israel liegt nun mal auch im betreffenden Gebiet.

      Ganz einfach. Jeder kapiert das. Auch Sie.

      • @Suryo:

        Im Zusammenhang mit dem Terrorangriff der Hamas auf Israel am 7. Oktober 2023 wird der Satz teilweise als antisemitisch interpretiert.[15] Die israelischen Historiker Amos Goldberg und Alon Confino wenden sich gegen eine generelle Verurteilung des Slogans als „antisemitisch“ oder gar als Aufruf zur Vertreibung oder Vernichtung jüdischer Israelis. Wer dies tue, müsse im Umkehrschluss israelische Forderungen nach einem Groß-Israel (vom Mittelmeer bis zum Jordan) dann allgemein als Aufruf zur Vernichtung der Palästinenser ansehen.[8] Die Bezeichnung des Slogans als „antisemitisch“ sei „ein mächtiges Instrument in den israelischen, deutschen und anderen politischen ‚toolboxes‘, um die Existenz des palästinensischen Volkes und seine Verbindung zu Palästina zu leugnen, die Besatzung und Unterdrückung zu verfestigen und den Schrei nach Freiheit und nach Recht zum Schweigen zu bringen“.



        de.wikipedia.org/w...e_River_to_the_Sea

        • @Des247:

          Das Gericht ist dieser Argumentation nicht gefolgt.

          Nochmal: in unmittelbarem zeitlichen und sächlichen Zusammenhang zu den Massakern vom 7. Oktober ist der Spruch eine Billigung dieser Massaker. Er soll ausdrücken, dass das schlimmste Pogrom an Juden seit der Shoa Teil des palästinensischen Freiheitskampfes sei, dass die Vergewaltigungen, Morde und Entführungen legitim seien, um ein "freies Palästina" zu erlangen.

          • @Suryo:

            nochmal:



            Die Bezeichnung des Slogans als „antisemitisch“ sei „ein mächtiges Instrument in den israelischen, deutschen und anderen politischen ‚toolboxes‘, um die Existenz des palästinensischen Volkes und seine Verbindung zu Palästina zu leugnen, die Besatzung und Unterdrückung zu verfestigen und den Schrei nach Freiheit und nach Recht zum Schweigen zu bringen“.



            Sie sollten meine Meinung akzeptieren. Sie und auch irgendwelche Richter können das so auslegen, ich eben nicht.

            • @Des247:

              Nein, ich akzeptiere ihre Meinung nicht, weil ich ihre Argumente für schwach und die des Gerichtes für stichhaltiger halte.

              • @Suryo:

                Artikel 5



                Freiheit der Meinung, Kunst und Wissenschaft

                (1) Jeder hat das Recht, seine Meinung in Wort, Schrift und Bild frei zu äußern

                Frage: sind Sie für die 2-Staaten-Lösung? Und wenn nicht, für welche Lösung sind Sie?

  • Es ist wie bei der AfD oder anderen Rechtsextremen. Es gibt Codes, man testet die Grenzen aus, überschreitet sie mal, Gerichte entscheiden mal so, mal so.

    Jeder und jede, der und die halbwegs reflektiert durchs Leben wandelt, weiß ganz genau, was diese Parole zu bedeuten hat. Israel muss weg.

    Wer hingegen behauptet, damit wäre ein friedliches Zusammenleben von Juden und Palästinensern in einem Staat gemeint, der ist entweder so unfassbar naiv, dass es schmerzt, oder er ist eben wie Höcke, der "Alles für" ins Publikum brüllt und das die Sache an seiner statt zu Ende bringen lässt.

    • @Jim Hawkins:

      Im britischen Guardian steht viuel mehr über das Urteil. Die Richterin führte z.B. aus, dass sie die Ansicht anderer Gerichte, der Spruch zwei zweideutig, nicht nachvollziehen könne. Im Kontext des 7. Oktober meine er ausschliesslich die Vernichtung des Staates Israel und sei damit die Billigung einer Straftat.

      Dogwhistling beherrschen nicht nur Rechte. Natürlich wollen die, die den Spruch in Deutschland skandieren, die Vernichtung von Israel, und natürlich fordern sie nicht, dass die dort lebenden Juden vor dieser Vernichtung freies Geleit und ein faires Resettlementverfahren bekommen.

      Überhaupt: gibt es unter den "Pro-Palis" eigentlich Leute, die ganz ernsthaft Vorschläge machen, wie eine "Beseitigung" Israels völker- und menschenrechtskonform vonstatten gehen könnte? Natürlich nicht.

      • @Suryo:

        "und ein faires Resettlementverfahren bekommen"

        Und auch das wäre Ethnical Cleansing, nicht wenige jüdische Israelis sind schlicht aus dem Gebiet des Mandats, aus dem Gebiet des Osmanischen Reiches, oder Geflüchtet aus den arabischen Staaten der MENA Region.

        • @ToSten23:

          Natürlich. Aber so weit denken die „From the river“-Rufer ja nicht mal. Israel soll einfach irgendwie verschwinden, dann ist alles gut.

  • Dieses Urteil ist sehr zu begrüßen und ich hoffe diesem werden noch viele Folge. Offensichtlich ist das Gericht zu der Erkenntnis gekommen, dass der Spruch im Kontext in dem er von der Studentin verwendet wurde eben nicht legal ist. Und man muss schon blind und mit dem Klammerbeutel geschlagen sein, wenn man bei den leider viel, zu vielen hasserfüllten Demonstrationen die offiziell unter dem Label propalästinensisch laufen nicht zu erkennen meint, dass auf diesen Veranstaltungen in aller erster Linie gegen Israel und Juden im Allgemeinen gehetzt wird. Ich finde in diesem Kontext so explizit im Artikel darauf abgestellt wird, dass der Spruch umstritten sei. Das ist letztlich egal, denn dieses Gericht hat den Kontext bewertet und für strafwürdig befunden.

  • Ich fände es interessant, wenn man das Strafgeld der israelischen Armee zukommen ließe. Natürlich nur nach einer vorherigen Ankündigung.

    Frei nach dem Motto: „Ihr könnt gerne demonstrieren. Aber wenn ihr verbotene Parolen brüllt, werdet ihr eine empfindliche Strafe bezahlen, müssen die der IDF zugute kommt. Und jetzt wünsche ich euch viel Spaß beim demonstrieren.“

  • Ein völlig richtiges und nachvollziehbares Urteil. Man kann nicht kurz nach einem Massaker der Hamas so tun, als meine man mit einem



    Palästina vom Jordan bis zum Mittelmeer ein Land, in dem Palästinenser und Juden in friedlicher koexistenz und Freiheit leben. Natürlich meint man damit die Vernichtung von Israel und damit mindestens auch die Vertreibung der Juden.